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Fr. Winter, Die Komposition der Ganymedgruppe des Leochares.

DIE KOMPOSITION DER GANYMEDGRUPPE
DES LEOCHARES.
Plinius spricht von dem Bildhauer Leochares nur in dem Abschnitt, in dem
er von der Bronzekunst handelt, XXXIV 79, und nennt unter den fünf Werken,
die er anführt, an erster Stelle die Gruppe des vom Adler entführten Ganymed.
Die erhaltene Marmornachbildung der Gruppe geht also auf ein in Bronze gear-
beitetes Vorbild zurück und es erhebt sich die Frage, ob nicht, wie in zahlreichen an-
deren Fällen, auch hier die Übertragung in das Marmormaterial zu Abweichungen
vom Original geführt hat. Nur Kekule, soviel ich sehe, hat in der kurzen Be-
sprechung, die er der Gruppe in der Griechischen Skulptur 3 S. 219 gewidmet hat,
dieser Möglichkeit Rechnung getragen. »Man darf die Frage aufwerfen, ob nicht
der ganze Baumstamm, an dem der Adler samt Ganymed hängt, und auch der Hund
samt der ganzen Basis Abweichungen von dem Original sind. Dieses war aus Bronze,
und wie Paionios bei seiner Nike die sehr hohe Aufstellung zu Hilfe genommen und
den das Gewicht haltenden Marmorblock für die Vorderansicht versteckt hat, so
drängt sich bei dem Ganymed des Leochares die Vermutung auf, die Gruppe möchte
ohne die die Wirkung störenden, aber für die Marmortechnik unvermeidlichen Zu-
taten des Baumstammes und der Basis in einer wenn auch mäßigen Höhe an einer
Wand angebracht gewesen sein. Für die Umbildung der Gruppe, die uns in einem
Exemplar in Venedig erhalten ist, steht dies außer Zweife1. Gerade *in der Zeit, der
Leochares angehört, ist es zuerst aufgekommen, Terrakottafigürchen, dann auch
Terrakottagruppen schwebend anzubringen, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß
für das, was in der Kleinkunst so häufig war, es auch in der großen Kunst nicht an
Beispielen fehlte.«
Ich möchte glauben, daß sich die Zutaten des Kopisten in engeren Grenzen
gehalten haben. Die frei schwebende Gruppe hätte sich doch auch in Marmor ohne
Stützen wiedergeben lassen, wie denn der Verfertiger der Umbildung inVenedig1)
solcher nicht bedurft hat. Wenn aber nicht technische Schwierigkeiten dazu nötig-
ten, so ist nicht recht einzusehen, weshalb der Kopist die Basis hinzugefügt haben
sollte. Der umgekehrte Vorgang, für den ja in dem venetianischen Exemplar ein
Beispiel vorzuliegen scheint, wäre an sich wahrscheinlicher. Auch fügt sich der
Hund, indem er auf dem festen Boden zurückbleibend und, wie der moderne Er-
gänzer gewiß richtig angenommen hat, mit Gebell zu seinem Herrn und dem Adler
emporblickend die Aufwärtsbewegung der Schwebenden verdeutlicht und ihren
Eindruck verstärkt, so glücklich in die Gesamtdarstellung ein, daß es schwer fällt,
sich dieses Motiv als eine nachträgliche selbständige Erfindung des Kopisten zu
denken. In der Zeit, in der das Original der Gruppe geschaffen ist, ist,
wie die Meleagerstatue3) und Bilder von attischen 3) und boeotischen 4) Grab-
reliefs zeigen, der Hund als charakterisierendes Attribut gern verwendet worden.

) Clarac PI. 407, 702. Kekule, Das akad. Kunst-
museum zu Bonn Nr. 237.
l) Kekule, Gr. Skulptur 2, S. 263.

3) Grabrelief vom Uissos.
4) Arch. Jahrb. 1913 Tat. 25 S. 335 Abb. 11. Vgl.
Österr. Jahresh. 1902 S. 99 f.
 
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