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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 35.1920

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Braun-Vogelstein, Julie: Die ionische Säule
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https://doi.org/10.11588/diglit.44574#0012
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Julie Braun-Vogelstein, Die ionische Säule.


Während Theoretiker und Praktiker der Baukunst zur Zeit der Renaissance
und des Klassizismus1) sich vorzugsweise mit jenen von Vitruv als Locken ge-
deuteten Windungen und dem Problem ihrer Nachbildung befaßten, stellten die
Archäologen der anthropomorphen Symbolik eine andere gegenüber. Die
Voluten, auch von ihnen als das Wesentliche angesehen, führten sie auf Tier-
vorbilder2) zurück, und indem sie ihnen eine kultische Bedeutung beilegten3),
schien die Entstehung des Kapitells damit begründet zu sein.
Gingen alle diese Erklärungen immer wieder über die Säule als Gebilde
hinaus und suchten sie ihr eine Erfüllung jenseits ihrer selbst zu geben, so be-
trachteten Stieglitz, Kugler und Schnaase4) die Formen mehr als Ausdruck von
Kraft, Bewegung oder Druck, ohne jedoch andere als ästhetische Gründe für ihre
Auffassung geltend zu machen und ohne damit mehr als eine Schilderung des
Eindruckes geben zu wollen 5).
Erst Karl Bötticher brach der Erkenntnis Bahn, daß das Grundwesen aller
Bauformen in den statischen Verhältnissen der Architekturglieder beruhe. In dem
ersten, 1844 erscheinenden, Bande seiner Tektonik der Hellenen fand der ionische
Stil noch keine eingehende Erörterung, aber die Wirkung der Gesamtanschauung
konnte nicht ausbleiben.
Guhls Schrift über die ionische Säule6) bedeutet die Wende. Er bricht mit
der allgemeinen Auffassung, die in den Voluten den Hauptteil des ionischen Ka-

■) Siehe die bei E. Guhl, Versuch über das Ionische
Kapital (Journal für die Baukunst XXI 1845),
aui S. 190 genannten Werke. Neuerdings: F. C.
Penrose, On the Origin and Construction of the
Jonic Volute (Journal of the Royal Institute of
British Architects), London 1902, 21 ff.
2) Winckelmann, Versuch einer Allegorie. Sämt-
liche Werke Bd. IX. Donaueschingen 1825.
S. 200: »Es hatten auch die Kapitaler Antheil
an der Allegorie und in gewisser Maße können
die aus Schlangen geformten Voluten ionischer
Kapitaler an einigen erhaltenen Werken hier
angeführt werden, weil die Spiralwindung dieser
Glieder einer Schlange ähnlich ist, oder weil
diese zu jenen den ersten Begriff gegeben.«
Stackeiberg, Apollotempel zu Bassae, 40, führt
aus, daß die »Verzierung der dem Ionischen Ka-
pital charakteristischen Voluten.unzweifel-
haft von Widderhörnern herrühren«. Vgl. auch
J. G. v. Hahn, Motive der Ionischen Säule. Wien
1862. Er sieht in der Schnecke das Vorbild.
3) Stackeiberg a. a. O. 41 unter Ablehnung der
»gezwungenen Beziehung der Voluten auf Haar-
locken«.
4) C. L. Stieglitz, Beiträge zur Geschichte der Aus-
bildung der Baukunst I. Leipzig 1834. S. 122:
»Bei der Construction des dorischen Capitäls

geht Alles aus der Nothwendigkeit hervor, die
Naturgesetze in einfacher Bildung aufstellend;
bei der jonischen hingegen zeigt sich das Pro-
dukt aus der Bewegung der Kraft hervorgegangen,
wodurch die Volute entstand.« F. Kugler, Hand-
buch der Kunstgeschichte. Stuttgart 1842, 159:
»Statt der rohen unbeweglichen Form des do-
rischen Abacus wird sodann aber ein Glied an-
gewandt, welches ein reiches glänzendes Leben
entwickelt und die Kraft des vom Gebälk nieder-
wirkenden Druckes in kühner geistreicher Ent-
faltung zeigt.« C. Schnaase, Geschichte der
bildenden Künste. II. Düsseldorf 1843, 31
und zumal 37: »Das Gesetz elastischer Be-
wegung«. Vgl. auch Hegel, Vorlesungen über die
Ästhetik II. (10. Bd. 2. Abt. der vollständigen
Ausgabe seiner Werke). Berlin 1836, 326:
»Die Schneckenwindungen am Polster deuten
das Ende der Säule an, die aber noch höher
steigen könnte, doch sich in diesem möglichen
Weitergehen hier in sich selber krümmt.«
5) Erwähnenswert ist auch Rumohrs Erklärung des
Stiles »als ein zur Gewohnheit gediehenes Sich-
fügen in die inneren Forderungen des Stoffes«.
(Italien. Forschungen I. Berlin-Stettin 1827, 87).
6) Λ. a. O.
 
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