Julie Braun-Vogelstein, Die ionische Säule.
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neben dem darstellenden, uranfänglich nachahmenden Trieb ist der Spieltrieb tätig
und bildet sich in der Kunst zum Schmucktrieb, zum Formtrieb um. Doch selbst
solche Kunstformen, die deutlich das Naturvorbild verraten, lassen sich nicht
immer gerade nur auf die Palme zurückführen, und es scheint allzu einseitig, daß
Luschan nun auch jeglichen Volutenkelch als Palmdarstellung deutet1).
Eine Vermengung verschiedener Naturmotive ist nun bei ägyptischen Voluten-
kelchen unleugbar vorhanden. Doch was berechtigt uns, in einem Lande, das die
Lotus- wie die Papyrusblüte in jeglicher Technik nachbildete, das eine Lotus-, eine
Papyrussäule, ja eine Liliensäule neben der Palmsäule kannte, die unbeschränkte
Tyrannis des Palm-Motivs für den Volutenkelch anzunehmen? Sollte nicht eher
eine Mischung mannigfacher Motive zu ornamentaler Gestaltung vorauszusetzen
sein, eine allgemeine Unterwerfung vielfacher Naturvorbilder unter das Gesetz der
rhythmisch-dekorativen Form, die beherrschend wird?
Ob nun aber der Ä^oluten k e 1 c h durchaus nicht unbedingt auf die Palme
zurückzuführen ist, bei jenen Volutenbekrönungen kyprischer Stelen dürfte es
vielleicht angenommen werden. Hier diente das Ornament eben nicht künst-
lerischen, sondern kultischen Zwecken, hier ist es nicht Zutat, nicht Beigabe, hier
ist es nicht Zier, sondern Sinn, ist selbst Symbol und Gabe2).
Auf den Palmbaum deutet vielleicht auch die Zwickelpalmette der kyprischen
Stelenbekrönungen. Sie dient nicht wie auf ionischen Kapitellen als Bindeornament
zwischen Wlute und Wulst oder Welle, — diese Rundglieder fehlen den kypri-
schen Votivbildern ja — wohl aber erfüllt sie als verbreiternde Stütze von der
Volute zur Deckplatte hin eine wichtige Aufgabe. Daß die Zwickelpalmette an
dieser Stelle auch in Griechenland ihren Platz fand, beweisen u. a. die Konsol-
kapitelle von Amyklae und der Stelenkopf Tafel I Abb. 2, bei dem Raum und
Form für eine gleiche Verwendung gegeben ist3). Puchsteins Behauptung, die
Zwickelpalmette sei »eine echt attische Erfindung« 4), könnte angesichts der
■) Freilich hält er sich zumeist im allgemeinen und
wäre bei der Durchführung seines Prinzips viel-
leicht selbst stutzig' geworden. Welche Kon-
struktionen und kläglichen Flickereien diese Auf-
fassung, zum Dogma erhoben, aber nötig macht
zeigen Wurz’ Anwendungen auf Schritt und
Tritt. Er bringt wohl noch manches beweis-
kräftige Material, das Luschans Ansicht in ein-
zelnen Fällen bestätigt. (Merkwürdigerweise er-
wähnt er Luschans Entdeckung nur nebenher
und läßt die Theorie als seine eigene gelten.)
Doch bisweilen, wenn auch die willkürlichen
Deutungen nichts nützen, wenn die Funde selbst
unabweisbar gegen ihn sprechen, greift er zu
dem Hilfsmittel, Zutaten und Ergänzungen zur
Palmvolute anzunehmen. Der Palmbaum und
nur er allein ist nach Wurzscher Ansicht dar-
gestellt, aber man hat den Fruchtboden der
Lotusblüte oder den Hüllkelch der Papyrusdoldc
»hinzugefügt«. (Wurz, a. a. O. Abb. 78 u. 85.)
») Vgl. auch die Goldbleche aus Enkomi in Murray,
Smith, Walters, Excavations in Cyprus, London
1900, Tafel 7; Fig. 184 zeigt das Palmettcn-
Volutenmotiv gegenständig, und auf Fig. 517 ist
die Darstellung in ihrer symbolischen Bedeutung
augenscheinlich. Rene Dussaud, Les civilisations
prehclleniques, Paris 1910, 189fr. erklärt das
kyprische Kapitell als ein Komposit aus der
ägyptischen Lotus- und Papyrusblüte. Dagegen
sieht Thiersch (a. a. O. 264), wie schon oben
erwähnt, die Iriskrone in den kyprischen Voluten-
köpfen dargestellt.
3) Vgl. auch Wiegand, Die Archaische Poros-
architektur Abb. 66, 203, 204.
4) Puchstein I 55. Vgl. dazu Riegl a.’ a. Ö. 62
und seine Theorie von dem »Postulat der
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neben dem darstellenden, uranfänglich nachahmenden Trieb ist der Spieltrieb tätig
und bildet sich in der Kunst zum Schmucktrieb, zum Formtrieb um. Doch selbst
solche Kunstformen, die deutlich das Naturvorbild verraten, lassen sich nicht
immer gerade nur auf die Palme zurückführen, und es scheint allzu einseitig, daß
Luschan nun auch jeglichen Volutenkelch als Palmdarstellung deutet1).
Eine Vermengung verschiedener Naturmotive ist nun bei ägyptischen Voluten-
kelchen unleugbar vorhanden. Doch was berechtigt uns, in einem Lande, das die
Lotus- wie die Papyrusblüte in jeglicher Technik nachbildete, das eine Lotus-, eine
Papyrussäule, ja eine Liliensäule neben der Palmsäule kannte, die unbeschränkte
Tyrannis des Palm-Motivs für den Volutenkelch anzunehmen? Sollte nicht eher
eine Mischung mannigfacher Motive zu ornamentaler Gestaltung vorauszusetzen
sein, eine allgemeine Unterwerfung vielfacher Naturvorbilder unter das Gesetz der
rhythmisch-dekorativen Form, die beherrschend wird?
Ob nun aber der Ä^oluten k e 1 c h durchaus nicht unbedingt auf die Palme
zurückzuführen ist, bei jenen Volutenbekrönungen kyprischer Stelen dürfte es
vielleicht angenommen werden. Hier diente das Ornament eben nicht künst-
lerischen, sondern kultischen Zwecken, hier ist es nicht Zutat, nicht Beigabe, hier
ist es nicht Zier, sondern Sinn, ist selbst Symbol und Gabe2).
Auf den Palmbaum deutet vielleicht auch die Zwickelpalmette der kyprischen
Stelenbekrönungen. Sie dient nicht wie auf ionischen Kapitellen als Bindeornament
zwischen Wlute und Wulst oder Welle, — diese Rundglieder fehlen den kypri-
schen Votivbildern ja — wohl aber erfüllt sie als verbreiternde Stütze von der
Volute zur Deckplatte hin eine wichtige Aufgabe. Daß die Zwickelpalmette an
dieser Stelle auch in Griechenland ihren Platz fand, beweisen u. a. die Konsol-
kapitelle von Amyklae und der Stelenkopf Tafel I Abb. 2, bei dem Raum und
Form für eine gleiche Verwendung gegeben ist3). Puchsteins Behauptung, die
Zwickelpalmette sei »eine echt attische Erfindung« 4), könnte angesichts der
■) Freilich hält er sich zumeist im allgemeinen und
wäre bei der Durchführung seines Prinzips viel-
leicht selbst stutzig' geworden. Welche Kon-
struktionen und kläglichen Flickereien diese Auf-
fassung, zum Dogma erhoben, aber nötig macht
zeigen Wurz’ Anwendungen auf Schritt und
Tritt. Er bringt wohl noch manches beweis-
kräftige Material, das Luschans Ansicht in ein-
zelnen Fällen bestätigt. (Merkwürdigerweise er-
wähnt er Luschans Entdeckung nur nebenher
und läßt die Theorie als seine eigene gelten.)
Doch bisweilen, wenn auch die willkürlichen
Deutungen nichts nützen, wenn die Funde selbst
unabweisbar gegen ihn sprechen, greift er zu
dem Hilfsmittel, Zutaten und Ergänzungen zur
Palmvolute anzunehmen. Der Palmbaum und
nur er allein ist nach Wurzscher Ansicht dar-
gestellt, aber man hat den Fruchtboden der
Lotusblüte oder den Hüllkelch der Papyrusdoldc
»hinzugefügt«. (Wurz, a. a. O. Abb. 78 u. 85.)
») Vgl. auch die Goldbleche aus Enkomi in Murray,
Smith, Walters, Excavations in Cyprus, London
1900, Tafel 7; Fig. 184 zeigt das Palmettcn-
Volutenmotiv gegenständig, und auf Fig. 517 ist
die Darstellung in ihrer symbolischen Bedeutung
augenscheinlich. Rene Dussaud, Les civilisations
prehclleniques, Paris 1910, 189fr. erklärt das
kyprische Kapitell als ein Komposit aus der
ägyptischen Lotus- und Papyrusblüte. Dagegen
sieht Thiersch (a. a. O. 264), wie schon oben
erwähnt, die Iriskrone in den kyprischen Voluten-
köpfen dargestellt.
3) Vgl. auch Wiegand, Die Archaische Poros-
architektur Abb. 66, 203, 204.
4) Puchstein I 55. Vgl. dazu Riegl a.’ a. Ö. 62
und seine Theorie von dem »Postulat der