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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 35.1920

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Braun-Vogelstein, Julie: Die ionische Säule
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https://doi.org/10.11588/diglit.44574#0058
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Julie Braun-Vogelstein, Die ionische Säule.

Zierate, deren Formkeim pflanzlichen Vorbildern entnommen ist, bringen bei
freierem Schalten mit den Motiven und bei der Ausbildung rein ornamentaler
Werte eine Vereinung der X^oluten in gebogener oder flacher Linie. Dieses latente
Muster, aus dem dekorativ-rhythmischen Gestaltungstrieb geboren, geht bisweilen
wie ein leises Begleitmotiv neben der Blütenzeichnung her und ist z. B. auf der
aegaeischen Amphora bei Seager a. a. O. Tafel VII noch ganz in dem pflanzlichen
Bilde beschlossen: jene bogenförmige Umrandung der »umschriebenen Palmette«.
Werden die Schmuckmotive zu Mustergruppen zusammengefügt, wie etwa
auf der Mittelverzierung einer kretischen Kanne des 7. Jh. (Tafel III Abb. 5 a)
oder auf dem Schilde des Euphorbostellers1) (Tafel III Abb. 6 a), so ergeben sich
aus der Verschlingung und Vermischung mannigfacher Formelemente zu orna-
mentaler Einheit bald aufsteigende, bald bogenförmig verbundene Voluten, je
nachdem die miteinander verwachsenen Teile getrennt und angeschaut werden
(Tafel III Abb. 5 b, 5 c und Abb. 6 b, 6 c).
Bei völliger Auflösung des Urbildes in seine Bestandteile sondern sich auch
aus Blütenmotiven bisweilen horizontal verbundene Voluten als Einzelglieder her-
aus, z. B. auf der Münchener Vase Nr. 1356, wenn freilich auch das Ornament
dort in umgekehrter Richtung — auf dem Rücken liegend — erscheint (Tafel
III Abb. 7 a, b, c). Den Gesetzen des natürlichen Daseins entrückt, ordnen sich
die Formen zu rein dekorativer Bestimmung.
Es soll nun durchaus nicht behauptet werden, daß diese oder eine ähnliche
Vasenverzierung, daß die Linie der flachverbundenen Spirale von den Tongefäßen
auf das ionische Sattelkapitell übertragen wurde. Die obige Betrachtung dient
einzig dazu, einen Einblick in das ornamentale Geschehen zu gewinnen und zu
erweisen, wie sich ein Motiv aus den Musterordnungen geläufiger Vorbilder halb
zufällig schon zu selbständiger Bedeutung erheben kann, und wie in der allgemeinen
festeren Prägung der Schmuckglieder zu dekorativen Gebilden mit der Entfrem-
dung vom Naturvorwurf auch die leichtere Lösbarkeit aller Teile eintritt.
Berlin-Zehlendorf. Julie Braun-Vogelstein.

>) Böhlau spricht auch hier von einer »umschriebenen Palmette«, es ist aber das Spizblatt und nicht
der Palmettenrest im Bogen umrandet.
 
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