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Jolly, Julius
Recht und Sitte: einschliesslich der einheimischen Litteratur — Strassburg, 1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.23228#0010
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2 II. LlTTERATUR UND GESCHICHTE. 8. K.ECHT UND SlTTE.

von den ganz oder teilweise in Prosa abgefassten dJiarmasütra zunächst durch
ihre Form, indem sie durchweg in Versen, meist einfachen s'loka, geschrieben
sind, dann aber auch durch ihren Character, worüber in § 5. Doch scheinen
diese Werke, zu denen auch das Mänava dharmasästra, das angesehenste
und berühmteste aller indischen Rechtsbücher, gehört, zum Teil aus älteren
Dharmasütras entstanden zu sein und hängen daher wenigstens indirekt eben-
falls mit der vedischen Litteratur zusammen. Der Name smrti, der den
Dharmasütras und -s'ästras und auch noch manchen anderen Werken beigelegt
wird, bedeutet eigentlich »Erinnerung«, in dem Sinne, dass darin die Erin-
nerungen des heiligen Rsi der Vorzeit niedergelegt sind, im Gegensatz zu
s'ruti, der »Offenbarung«, d. h. den Vedas, welcher in Zweifelsfällen die höhere
Autorität eingeräumt wird. Zu der smrti kann man unbedenklich auch das
Mah. stellen, das nicht nur in den mittelalterlichen und modernen Rechts-
werken auf gleichem Fuss wie die dharmasästra behandelt und als Autorität
citiert wird, sondern schon von dem berühmten Kumärila im 8. Jh. n. Chr.
als die grosse von Vyäsa verkündete, auf dem Veda beruhende Smrti an-
gesehen wurde. Die epische Litteratur umfasst dann auch die puräna, die
schon Gaut. n, 19 als eine Rechtsquelle nennt und die auch thatsächlich
in den späteren Rechtswerken sehr häufig citiert werden (§ 10). Die jüngste
Stufe der indischen Rechtslitteratur bilden die Commentare und systematischen
Werke, die sich vom früheren Mittelalter ab an die Smrtis angeschlossen
haben. Als die Producte einer neueren Zeit und inspiriert von mächtigen
Fürsten und Ministern haben diese umfänglichen Compilationen nach und
nach die Smrtis so völlig aus dem Gebrauch verdrängt, dass zur Zeit der
Begründung der englischen Herrschaft über Ostindien die Mitäksarä, ein
Rechtscompendium des 11. Jahrhunderts, in dem grössten Teil Indiens als
das massgebende Werk galt. Für das historische Studium des indischen
Rechts, dem besonders an der Aufhellung der Anfänge gelegen sein muss,
ist diese Gruppe von Werken, deren Zahl Legion ist, besonders als Hülfs-
mittel für das Verständnis der Smrtis wichtig und unentbehrlich.

Neben den in ihren heiligen Büchern, in den Vedas und Smrtis, ent-
haltenen Überlieferungen erkennen die brahmanischen Verfasser der Smrtis
selbst als eine dritte Quelle des Rechts den Lebenswandel und die Lehre
frommer Männer sadäcära, sistägama u. dgl. an. In Beziehung auf das eigent-
liche Recht werden die besonderen Sitten und Einrichtungen der einzelnen
Länder, Kasten und Geschlechter (desajätikuladharma) vielfach als mass-
gebend hervorgehoben, allerdings nur insoweit sie dem heiligen Recht nicht
widersprechen. Die bedeutende Stellung, die hiemit dem Gewohnheitsrecht
eingeräumt wird, entspricht gewiss durchaus der Wirklichkeit und macht es
dem Rechtshistoriker zur Pflicht, den Spuren und Überresten des indischen
Gewohnheitsrechts nachzugehen. Diese Aufgabe ist um so wichtiger, weil die
Lust zu theoritisieren und das Standesinteresse die Brahmanen bei ihrer ju-
ristischen Schriftstellerei sehr stark beeinflusst haben, so dass man ihre Gesetzes-
vorschriften nicht ohne Kritik hinnehmen darf. Freilich fliessen die Quellen
des indischen Gewohnheitsrechts spärlich. Nur für die gegenwärtigen Zustände
steht in den fleissigen Sammlungen englischer Forscher ein reichliches und
zuverlässiges Material zu Gebot. Für die älteren Zeiten sind neben den Nach-
richten griechischer, chinesischer, arabischer u. a. ausländischer Beobachter
gelegentliche Angaben in der epigraphischen, historischen und poetischen
Litteratur besonders wertvoll.

§ 2. Die eigentlichen Dharmasütras. Der Name dharmasütra
kommt im eigentlichen Sinn nur denjenigen Werken zu, welche noch jetzt
Bestandteile einer grösseren Sammlung von Sütrawerken bilden. Das am
 
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