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Jolly, Julius
Recht und Sitte: einschliesslich der einheimischen Litteratur — Strassburg, 1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.23228#0055
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2. Familien- und Erbrecht.

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»Das indische Erbrecht« (Wien 1873) characterisirt sich als eine Übertragung
der Theorien Sir J. Lubbock's über die Familie der Urzeit und die ursprüng-
liche Gemeinschaft der Frauen unter den Stammesgenossen auf das indische
Recht nach dem in der 1. Auflage von West and Böhler's Digest vor-
liegenden Material. Von deutschen Juristen haben sich neuerdings namentlich
Kohler8 und Leist9 mit indischer Rechtsgeschichte beschäftigt, ersterer vom
Standpunkt der vergleichenden Rechtswissenschaft und mit besonderer Be-
rücksichtigung der modernen Gewohnheitsrechte, die er auf Grund der Gazet-
teers nach einheitlichen Gesichtspunkten bearbeitet hat, letzterer in der Absicht
die Zustände der indogermanischen Urzeit zu reconstruiren. Parallelstellen zu
dem indischen Civilrecht aus den Pandekten und französischen Coutumes ent-
hält ein älteres Werk eines französischen Juristen in Indien10. Speciellere
Arbeiten werden an den geeigneten Stellen erwähnt werden, über die Be-
arbeitungen des buddhistischen Rechts s. §13, für Nepal sind die Arbeiten
von Hodgson benützt.

1 May. (ed. Mandlik) 56 u. ö. — 2 Vgl. ZDMG 44, 342—362. — 3 Das India
Office hat meinem Bittgesuch in Betreff einiger für vorliegende Arbeit wichtiger
officiellen Publikationen durch Übersendung der 26 Bände der Census Reports für
1891, sowie aller verfügbaren Bände des Gazetteer of India und der 2 Bände des
Ethnographie Glossary von RlSLEY entsprochen, eine Liberalität, die ich nicht
dankbar genug anerkennen kann. — 4 Sachau, Alberuni's India (2 Bde., Lond. 1S88).
— 5 Nach St. Julien und Beal. — 61. St. 13, 466—71. — 7 Sitzungsber. der phil.l,
hist. Kl. d. b. Ak. d. Wiss. 1876, 1877; ZVR I, 234—260; ZDMG 44, 350—36o;|3
46, 413—426. — 8 Altind. Processrecht (Stuttg. 1891); ZVR 3 und 7—ii. — 9 Gräco-l|
italische Rechtsgeschichte (Jena 1884); Alt-arisches Jus gentium (das. 18S9); Alt-
arisches Jus civile, i. Abt. (das. 1892) u. a. — 10 E. Gibelln1, Etudes sur le droit
civil des Hindous (2 vol., Pondichery 1S46L).

2. FAMILIEN- UND ERBRECHT.

§ 15. Polyandrie und Promiscuität. Habensich in der alten Litte-
ratur Indiens noch Spuren und Überreste der geschlechtlichen Promiscuität,
des Mutterrechts, der Polyandrie und verwandter Institutionen erhalten, die nah
neueren Theorieen überall den Ausgangspunkt für die Entwicklung des Familien-
lebens gebildet haben?1 Da die Leviratsehe {niyogd) auch anders erklärt
werden kann (§ 20), so liegt die greifbarste Spur solcher Einrichtungen in der
Polyandrie oder Gruppenehe vor. Das bekannteste, oft angeführte Bei-
spiel derselben, die Ehe der DraupaiTi mit den fünf Pändavabrüdern, den
Haupthelden des Mah.2, scheint wie die meisten Rechtsgebräuche der epischen
Litteratur auch in den Smrtis einen Reflex gefunden zu haben in einer Stelle
des Äp. 2, 27, 2 ff, welche die Übergabe eines Mädchens an ein ganzes Ge-
schlecht als einen veralteten, jetzt verbotenen Brauch erwähnt. Noch deut-
licher spricht sich hierüber Brh. 27, 20 aus, der aber die Gruppenehe {kule
kanyäpradänam) als nur »in anderen Ländern« d. h. als im Süden üblich,
dort aber als noch in der Gegenwart samprati gebräuchlich bezeichnet-1. Auch
in den wenigen anderen Fällen, die neben der Ehe der Draupadt dem Mah.
als Belege für Polyandrie (bahfinäm ckapatnitä oder ekasyä balncbhartrta) zu
entnehmen sind, handelt es sich hauptsächlich um eheliche Verbindungen einer
Frau mit einer Anzahl von Brüdern. Auch die bekannte Regel M. 9, 182 u. a.,
dass der Sohn eines von mehreren Brüdern als der gemeinsame Sohn aller
gelten soll, kann, wenn man sie überhaupt gegen die Erklärungen der Com-
mentatoren auf polyandrische Verhältnisse beziehen will,_ nur auf solche Gruppen-
ehen gehen. Hienach besteht eine unverkennbare Ähnlichkeit zwischen der
 
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