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Gradmann, Eugen [Hrsg.]; Paulus, Eduard [Bearb.]
Die Kunst- und Altertums-Denkmale im Königreich Württemberg (Jagstkreis ; Halbbd. 1): Oberämter Aalen, Crailsheim, Ellwangen, Gaildorf, Gerabronn, Gmünd, Hall — Stuttgart, Esslingen, 1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.19989#0624
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602

Jagstkreis. Oberamt Hall.

verjüngter Schaft; Halsring; schlankes Kelchkapitell mit einfachem Übergang vom Rund- zum
Sechseck; das Blattwerk flach, fast nur ausgegründet, und von konventioneller Zeichnung roma-
nifchen Geschmacks. Es ist nicht ausgeschlossen, daß das Gewölbe erst nachträglich, um die Mitte
des 13. Jahrhunderts, eingebaut ift, famt der Säule. Zu demselben Umbau gehört vielleicht auch
die Säule im geradgestürzten Fenster an der Rückseite des Umgangs; sie hat ein Kelchkapitell mit
anliegenden Eckblättern und mit kugelartigen Eckvoluten, also eine Form der Übergangsstilperiode,
verwandt mit dem sog. Knospenkapitell der frauzösischen Frühgotik.

Gegen den unteren Hof hinaus spriugt aus der Mauerfläche ein schönes romanisches Löwen-
brustbild (Wappentier?) vor, desfen Sockelplatte durch die Brüstungsmauer zurückgreift und im
Umgang einen Tritt bildet. Es ist vielleicht für eine andere Stelle gearbeitet (als Säulenuntersatz).

Die Kapelle erinnert durch ihre Polygonform an gewisse niederrheinische Kleinbauwerke.
Vielleicht bedeutet aber diese Form hier die Eriunerung an eine alte Burgkapelle, die auf dem
inneren Thor der Grafenpsalz stand. (Abb. Atl. II T. 47. 51.)

An einigen Leibungen der Arkaden des Umgangs bemerkt man Spuren mittelalterlicher
Wandmalerei, Figuren von ritterlichen Jünglingen, wohl Heiligen, anscheinend aus dem 13. Jahr-
hundert, frühgotisch, auf den bloßen — mit Kalkwasser genetzten — Stein gemalt.

Die Kapelle selbst ist unter Neustetter 1562 (Zahlinschrift) ausgemalt worden. Diese Male-
reien aus Putz wurden 1900 aufgedeckt und aufgefrischt (auch ergänzt und übermalt). Der sechs-
eckige Raum ist geistreich behandelt als ein offener Pavillon. Am Sockel eine Brüstung. Darauf
Hermen von Atlanten, welche die Konsolen des Gewölbes zu tragen scheinen. Das Gewölbe über-
sponnen mit leichten Grotesken. Jn den Wandfeldern auf Predellen stehend Gruppen von Heiligen-
gestalten. An der Altarwand siud es die Bischöfe Erhart, Kilian, Nikolaus, Erasmus; und zu
ihren Füßen die Wappen des Probsts Stiebar, des Dekans Zobel, des Stifts und Neustetters.
An den übrigen Wünden je ein Paar Evangelisten und Propheten und Apostel (Daniel, Johannes
d. T., Petrus und Paulus), deren Tracht zum Teil seltsam gemischt ist mit der Mode des 16.
Jahrhunderts. Die Fenster sind eingefaßt mit gemalten Steinrahmen (Abb.).

Eine eiserne Thür mit kunstvollem Schloß aus dem 17. oder 18. Jahrhundert verwahrt

den ehemaligen Archivraum. Ähnlich kunstreichen Verschluß hat die eiserne Tür eines Wand-
fchranks beini Altar.

Den östlichen Teil der oberen Terrasse nimmt der ehemalige Kirchhof und

Friedhof mit der Stistskirche ein, den westlichen das ehemalige Kloster, dessen
westlicher Flngel abgebrochen ist (seit 1830). Auf dem Kirchhof, an der Nord-

seite, wo 1660 dafür eine Vorhalle der Kirche erbant wurde, stand vormals
ein Karner (earnarinm, Beinhaus) mit oberer Kahelle, erbant von Abt Ernfried II.
um 1460; und am nordöstlichen Eingang zum Kreuzgang die Kapelle der beiden
Johannes. Die Ilnterbanten des Nordflügels vom Kloster reichen hinab in den

unteren Hof.

Die Stiftskirche z. hl. Nikolaus (Atlas, B. 2 u. 3). Von einem roma-

nischen Münster sind erhalten die drei Türme und die llmfassung des südlichen

Kreuzarms bis zu einer gewissen Höhe. Alte Nachrichten, auch ein Bild, nnd der
Akkord für den Neubau geben Anhaltshunkte zu einer idealen Rekonstruktion des
Ganzen. Jm Akkord ist gesagt, die Maner gegen Norden und die alten Pfeiler

nnd Hochmauern des Mittelschiffs sollen abgebrochen, die Mauer gegen Süden aber
und der runde Chor sollen nur erhöht, Fenster durchgebrochen und Wandpfeiler ein
gesetzt werden. Die Höhe des alten Seitenschiffs gibt ein Pilaster am südlichen
Kreuznrm (Ostseite, Ecke bei der Küsterei) an, die Firsthöhe des Mittelschiffs eine
Spur vom alten Dachanschluß im heutigen Dachraum.
 
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