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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 27.1911-1912

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Michel, Wilhelm: August Brömse
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https://doi.org/10.11588/diglit.13090#0137

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AUGUST BROMSE

Gemüt Wirkende im Kunstwerke verwerfen.
Der Mensch ist eine Gesamtheit; auf ihn
wirkt nicht bloß das koloristische und lineare
Ereignis, wie es die Netzhaut faßt, sondern
auch das was ihn menschlich, auf dem Um-
wege über seine Leidens- oder Begeisterungsfä-
higkeit, anspricht. Brömse hat, und das ist sein
gutes Recht, die Leidenschaft der Reflexion;
Menschliches interessiert ihn, ergreift und er-
schüttert ihn, und wenn wir, die Genießenden,
nicht snobistisch verfälscht sind, werden wir
es dem Künstler immer danken, wenn er
Erlebtes, unter Einbeziehung des Gedachten
und des Erlittenen, in solchen Symbolen aus-
drückt, die schon ihrer Bedeutung nach eine
klare, vernehmliche Sprache sprechen. Voraus-
setzung ist dabei nur, daß diese Symbole rest-
los zur Form geworden sind. Hat Brömse
diesem Erfordernis in vereinzelten Fällen
nicht genügt, so werden diese Fälle doch
durch den Gesamteindruck seines Schaffens
entschieden zu Ausnahmen gestempelt. Das
erhärtet sein „Tantalus", der zwar nicht sehr
frei in der Zeichnung, aber sehr geschlossen
in der sinnlichen Gesamterscheinung ist, das er-
härtetseine ausgezeichnete „Predigt am Meere",
ein Blatt, dem man epische Wucht und Größe
zuerkennen muß, und insbesondere die be-
deutende, als Konzeption wie als technische
Leistung hervorragende apokalyptische Dar-
stellung der „Vision des Johannes". Der erste
Eindruck des Blattes ist etwas unruhig. Es
handelt sich um eine fast reine Strichätzung;
deshalb begegnen sich Licht und Schatten et-
was schroff und verwirrend, besonders im
Vordergrunde bei der Darstellung des felsigen
Grundes, von dem sich die Gestalt des
Sehers rein sinnlich, ich meine: rein der
Licht- und Schattenwirkung nach, nicht sehr
lebhaft abhebt. Nun hat Brömse aber den
guten Gedanken gehabt, in die Mitte des
Blattes eine große, ruhige, weiße Fläche zu
legen, an der das Auge sofort seine Erholung
findet und die auch der Erscheinung des
Evangelisten zu ihrem Rechte verhilft, indem
sie die schrille, gellende Bewegung des Körpers
und der linken Hand lebhaft hervorhebt. Diese
Bewegung, dieser dürre Prophetenarm mit der
beredten Hand sind so bedeutend, daß sie,
ihrem optischen Lautvermögen nach, den brül-
lenden, tosenden Wirrwarr des von links
heranbrechenden Weltuntergangs tatsächlich
übertönen. Dazu gesellt sich der zackige,
irgendwie eine Wildheit, einen Trotz ausdrü-
ckende Umriß des Adlers, und so wird der Seher
zum wirksamen Mittelpunkte des Bildes," auf

den alles bezogen ist. Man fühlt in dem ganzen
Blatte übrigens jenes echte, ungelogene Be-
hagen an der phantastischen Erfindung, die
sich in einigen Gesichten, wie in der Gestalt
des zottigen falben Pferdes, zu bedeutender
Kraft erhebt. Ueberhaupt gewinnt das Blatt
wesentlich an Nachdruck, je eingehender man
es betrachtet, je liebevoller man seinen Einzel-
heiten nachgeht. Es nimmt zwar die gefähr-
liche Rivalität mit den alten Illustratoren der
Apokalypse auf, aber man kann nicht sagen,
daß es diesen Kampf unrühmlich bestehe.

Künstlerisch noch reiner, jedenfalls sehr
frappant und eigenartig ist die Wirkung eines
anderen Blattes, dem der Künstler ein Wort
aus dem Prediger Salomonis als Thema unter-
gelegt hat: „Denn es gehet dem Menschen wie
dem Vieh; wie dieses stirbt, so stirbt er auch,
und haben alle einerlei Odem." Man sieht
rechts eine verhängte Bahre oder einen Kata-
falk mit einer Leiche, links freies Feld mit Dar-
stellungen menschlicher Herrlichkeit, mensch-
lichen und tierischen Sterbens. Sehr viel Weiß
neben wenigen starken Schatten, als stünde
alles unter glühender, vernichtender Sonne;
die Zeichnung, besonders des Leichnams, von
eindringlicher Charakteristik, das Ganze voll
hoher Reize und im Ausdruck fieberig, traum-
haft, unwirklich und auf eine kalte, geister-
hafte Weise gespenstisch.

Eine ganz besondere Rolle spielt in Brömses
Radierungen die Farbe. Ich bemerke im vor-
aus, daß nicht alle farbigen Blätter Brömses
als gelungen anzusprechen sind, dagegen ist
es sehr anzuerkennen, daß die Farbenbehand-
lung echt graphisch ist, d. h. nicht auf der Be-
malung der Platte, sondern auf mechanischem
Druckverfahren beruht. Auf diese Weise ist
jenes Blatt „Der Mönch" zustande gekommen,
das vielleicht als Brömses feinste und vor-
nehmste Arbeit zu gelten hat. Soviel ich er-
kennen kann, ist hier außer der Schriftplatte
eine Blau- und eine Rotplatte zur Verwendung
gekommen, aber der farbige Effekt, den diese
beiden Töne zusammen mit dem Ton der Schrift-
platte hervorrufen, ist von einem geradezu
erstaunlichen, rätselhaften Reichtum. Die ge-
heimnisvolle Dämmerung des dunklen Korri-
dors, in welchem die gebückte, vermummte
Gestalt des Mönches sichtbar wird, scheint
von allen Farben der Palette trunken und voll-
gesogen, eine Wirkung, die lediglich aus der
minutiösen, vom feinsten koloristischen Ge-
fühl geleiteten Bearbeitung der zwei Farben-
platten hervorgeht.

> Mit Vergnügen bemerkt man die Fortschritte

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