K. STAU FFER DIE MUTTER DES KUNST-
LERS (RADIERUNG) 1B
Mit Genehmigung der Verlagskunsthandlung Amsler & Ruthardt, Berlin W. 8
I
KARL STAUFFER-BERN
Von Georg Jacob Wolf
m Kulturbilde der Schweiz nehmen heute Wertmesser für alle menschliche Tätigkeit
die schönen Künste, ebenso wie im Gesell- obenan steht, kann der Künstler nicht bestehen,
schaftsieben ihre Vertreter, eine weit be- Sein Streben hat mit Nützlichkeit nichts zu
deutungsvollere Stellung ein, als dies noch schaffen und die Art seines Arbeitens mit der
vor ein paar Jahrzehnten der Fall war. Da- geregelten Tagesarbeit der anderen Berufe
mals, als das öffentliche und private Sammler- nichts gemein. Sie ist unkontrollierbar, macht
tum der Schweiz noch nicht in der Weise ent- Pausen oder verzehrt wieder förmlich den
wickelt war wie in unseren Tagen, war auch Hervorbringenden, so daß der Künstler unter
die Person des Künstlers den Schweizern noch stetig Fleißigen sich zeitweilig ausnimmt wie
keineswegs eine verehrungswürdige, sondern ein Tagedieb ... In unserem republikanischen
eher eine unbegreifliche, oft sogar eine komische Staatswesen regiert, was eine große Stärke
Erscheinung. Mancher Lebenskonflikt hat in der Schweiz ausmacht, ein strenger Bürger-
dieser unerbaulichen Tatsache seine Wurzel, geist, der es nicht gerne sieht, daß neben dem
und das Mißverhältnis zwischen Künstlern und Willen des Ganzen der Einzelwille sich zur
Umwelt war ein so augenfälliges, daß es von Geltung bringe. Jeder soll sich der gegebenen
einsichtsvollen Männern vor der breiten Oeffent- Ordnung des Staates und der Sitte als nütz-
lichkeit diskutiert wurde. Gottfried Keller vor liches Glied einordnen, und er wird von seinen
allem ergriff das Wort und nach ihm in schöner Mitbürgern in dem Maße geschätzt, als er an
Ausführlichkeit Walter Siegfried, dessen be- seinem Teil sichtlich zur Erhaltung und För-
rühmter Künstlerroman „Tino Moralt" eigent- derung der großen gemeinsamen Sache bei-
lich auf der Grundlage eines solchen Konflikts trägt. Wer sich in Gegensatz zu dieser For-
zwischen Künstler und Bürgern beruht. Sieg- derung stellt, wer sich persönlichen Leistungen
fried sagt: „Wo die Nützlichkeitsfrage als in dieser Form entzieht, und, für seine Indi-
Die Kunst für Alle XXVII. -. i. Januar totj \ 49 19
LERS (RADIERUNG) 1B
Mit Genehmigung der Verlagskunsthandlung Amsler & Ruthardt, Berlin W. 8
I
KARL STAUFFER-BERN
Von Georg Jacob Wolf
m Kulturbilde der Schweiz nehmen heute Wertmesser für alle menschliche Tätigkeit
die schönen Künste, ebenso wie im Gesell- obenan steht, kann der Künstler nicht bestehen,
schaftsieben ihre Vertreter, eine weit be- Sein Streben hat mit Nützlichkeit nichts zu
deutungsvollere Stellung ein, als dies noch schaffen und die Art seines Arbeitens mit der
vor ein paar Jahrzehnten der Fall war. Da- geregelten Tagesarbeit der anderen Berufe
mals, als das öffentliche und private Sammler- nichts gemein. Sie ist unkontrollierbar, macht
tum der Schweiz noch nicht in der Weise ent- Pausen oder verzehrt wieder förmlich den
wickelt war wie in unseren Tagen, war auch Hervorbringenden, so daß der Künstler unter
die Person des Künstlers den Schweizern noch stetig Fleißigen sich zeitweilig ausnimmt wie
keineswegs eine verehrungswürdige, sondern ein Tagedieb ... In unserem republikanischen
eher eine unbegreifliche, oft sogar eine komische Staatswesen regiert, was eine große Stärke
Erscheinung. Mancher Lebenskonflikt hat in der Schweiz ausmacht, ein strenger Bürger-
dieser unerbaulichen Tatsache seine Wurzel, geist, der es nicht gerne sieht, daß neben dem
und das Mißverhältnis zwischen Künstlern und Willen des Ganzen der Einzelwille sich zur
Umwelt war ein so augenfälliges, daß es von Geltung bringe. Jeder soll sich der gegebenen
einsichtsvollen Männern vor der breiten Oeffent- Ordnung des Staates und der Sitte als nütz-
lichkeit diskutiert wurde. Gottfried Keller vor liches Glied einordnen, und er wird von seinen
allem ergriff das Wort und nach ihm in schöner Mitbürgern in dem Maße geschätzt, als er an
Ausführlichkeit Walter Siegfried, dessen be- seinem Teil sichtlich zur Erhaltung und För-
rühmter Künstlerroman „Tino Moralt" eigent- derung der großen gemeinsamen Sache bei-
lich auf der Grundlage eines solchen Konflikts trägt. Wer sich in Gegensatz zu dieser For-
zwischen Künstler und Bürgern beruht. Sieg- derung stellt, wer sich persönlichen Leistungen
fried sagt: „Wo die Nützlichkeitsfrage als in dieser Form entzieht, und, für seine Indi-
Die Kunst für Alle XXVII. -. i. Januar totj \ 49 19