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Tietze, Hans: Der Blaue Reiter
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.13090#0584
DER BLAUE REITER
TEODORO WOLF-FERRARI PRIMAVERA
X, Internationale Kunstausstellung Venedig 1912
i gegen die neue Kunst im Namen eines Ideals nichts durchgemacht haben, geraten in den
| zu führen, das irgendwo in den Sternen ge- Troß jener Umstürzler und ziehen laut schrei-
i schrieben stünde; denn mit ohnmächtigem Trotz end mit, wie sie sonst an solideren Richtungen
und verstaubter Schulweisheit ist jetzt nichts schmarotzt haben. Soll der Kritiker mit un-
auszurichten, da die neue Kunst von allen erbetener Weisheit den Fanatikern in den Arm
Seiten unaufhaltsam hereinsickert und unheim- fallen, die an ihre Mission glauben; oder soll
lieh mächtig anschwillt; jetzt heißt es sich er seine Ueberredungskraft an die stümpern-
kalten Blutes fragen, was sie für die Künstler den Nachbeter wenden, an das Füllsel, das da
bedeutet, die daran glauben, und was sie vom oder dort gleich unwichtig wäre? Ich denke,
Publikum verlangt, an das sie sich wendet. wir belassen die wahren Künstler in der selbst-
Ueber ihr Verhältnis zu den Künstlern hat gewählten Hölle, die ihnen Himmel dünkt,
der Kritiker nicht viel zu sagen. Denn wenn lassen die anderen dort hinwelken, wo sie
diese Formen imstande sind, mächtigen Emp- wollen und denken lieber an das arme Publi-
findungen zu stark tönenden Saiten zu werden, kum, zu dessen Schutz und Verteidigung die
wenn diese Abstraktionen, ihrem eigenen rasch Kunstkritiker ja erfunden worden sind,
wachsenden Kanon gehorchend, als Elemente Dieses arme Publikum weiß sich allerdings
einer neuen Sprache gehandhabt werden können, gegen eine neue Kunst nur zu gut zu ver-
so ist es unbegreiflich, warum der Kritiker teidigen; der natürliche Konservatismus der
darüber in Erregung geraten sollte. Künstler Menge, die Unlust, sich geistige Güter in
von starker Begabung, die zum Teil alle Fege- schwerer Arbeit selbst zu erkämpfen, schützen
feuer des raffiniertesten Impressionismus durch- es vor dem Mitgerissenwerden und der be-
i gemacht haben, streifen mit kühner, meinet- häbigste Bürger oder der reservierteste Büro-
1 wegen frevler Hand, allen erdenschweren krat weiß sich neue Kunst mit wohlfeilen
I Materialismus ab und versuchen eine rein Spaßen und lärmender Entrüstung so gut vom
geistige Welt aufzubauen; Nachempfinder, die Leibe zu halten wie ein gelernter Rezensent.
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TEODORO WOLF-FERRARI PRIMAVERA
X, Internationale Kunstausstellung Venedig 1912
i gegen die neue Kunst im Namen eines Ideals nichts durchgemacht haben, geraten in den
| zu führen, das irgendwo in den Sternen ge- Troß jener Umstürzler und ziehen laut schrei-
i schrieben stünde; denn mit ohnmächtigem Trotz end mit, wie sie sonst an solideren Richtungen
und verstaubter Schulweisheit ist jetzt nichts schmarotzt haben. Soll der Kritiker mit un-
auszurichten, da die neue Kunst von allen erbetener Weisheit den Fanatikern in den Arm
Seiten unaufhaltsam hereinsickert und unheim- fallen, die an ihre Mission glauben; oder soll
lieh mächtig anschwillt; jetzt heißt es sich er seine Ueberredungskraft an die stümpern-
kalten Blutes fragen, was sie für die Künstler den Nachbeter wenden, an das Füllsel, das da
bedeutet, die daran glauben, und was sie vom oder dort gleich unwichtig wäre? Ich denke,
Publikum verlangt, an das sie sich wendet. wir belassen die wahren Künstler in der selbst-
Ueber ihr Verhältnis zu den Künstlern hat gewählten Hölle, die ihnen Himmel dünkt,
der Kritiker nicht viel zu sagen. Denn wenn lassen die anderen dort hinwelken, wo sie
diese Formen imstande sind, mächtigen Emp- wollen und denken lieber an das arme Publi-
findungen zu stark tönenden Saiten zu werden, kum, zu dessen Schutz und Verteidigung die
wenn diese Abstraktionen, ihrem eigenen rasch Kunstkritiker ja erfunden worden sind,
wachsenden Kanon gehorchend, als Elemente Dieses arme Publikum weiß sich allerdings
einer neuen Sprache gehandhabt werden können, gegen eine neue Kunst nur zu gut zu ver-
so ist es unbegreiflich, warum der Kritiker teidigen; der natürliche Konservatismus der
darüber in Erregung geraten sollte. Künstler Menge, die Unlust, sich geistige Güter in
von starker Begabung, die zum Teil alle Fege- schwerer Arbeit selbst zu erkämpfen, schützen
feuer des raffiniertesten Impressionismus durch- es vor dem Mitgerissenwerden und der be-
i gemacht haben, streifen mit kühner, meinet- häbigste Bürger oder der reservierteste Büro-
1 wegen frevler Hand, allen erdenschweren krat weiß sich neue Kunst mit wohlfeilen
I Materialismus ab und versuchen eine rein Spaßen und lärmender Entrüstung so gut vom
geistige Welt aufzubauen; Nachempfinder, die Leibe zu halten wie ein gelernter Rezensent.
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