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Kunstgewerbliche Rundschau: Verkündigungsblatt des Verbandes Deutscher Kunstgewerbevereine — 4.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.8371#0055
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55 -r-

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den breitesten ?chichten, jeglichc Lrfolg versprechende Rcform anzusetzen
hätte, sür Alles, was ihnen das Kunstgewerbc zu liescrn hat, nur
ein einziges Schönheitsideal: „den Luxus der oberen Zehn-
tausend"I

Ls läßt sich nicht leugnen, daß ein Theil der Schuld an dieser
unerfreulichen Thatsache den Producenten zur Last fällt, die vorläufig
mit einer Unmenge neuer, wohlfeiler lNateriale, die Themie nnd Technik
tagtäglich erfinden, nichts Anderes anzufangen wissen, als mit ihnen
altbekannte, werthvolle Materiale nachzuahmen; die weitaus größere
hsälfte der Schuld aber tragen die Tonsumenten, das großo Publikum
selbst, das von jedem Gebrauchs- und noch mehr von jedem Luxusgegen-
stande sordert, er solle mehr scheinen, als er ist, er solle — imitirenl

Mr werden es nicmals zu einem eigenen, dauernden Stil bringen,
so lange das große publikum
nicht zur Trkenntniß kommt,
daß es nicht nur schöner,
sondern auch ... anstän -
diger ist, keine Glas-
malereien an den Fenstern
zu haben, als „papierne",
keine Gobelins an die
Wand zu hängen, als „g e-
malte", keine Goldpokale
auf den Tisch zu stellen, als
solche aus ... gestanztem
Messingblech

IHOLRIVIO

8x. Geschäftskarte. von Arthur B. Barrett.

(Nach tituäio.)

Diese Material-Imitationswuth unseres billigen Aunstgewerbes,
das völlig vergißt, daß kein Material schlecht genug ist, um als
„Surrogat" dienen zu müssen, hat zur naheliegenden Folge die höchst
verderbliche Marotte der Formenimitation, die sich heute nicht
nur in geringwerthigen, sondern auch in kostspieligen Werken jder
Kunstindustrie breit macht: man denke an goldene Bleistifte in Form
eines Nagels, an silberne Aschenschalen, die einen. . . zerfetzten Stiesel
darstcllen, an Thermometer, die sich für eine mittelalterliche Streitaxt

82. Geschäftskarte. von Fred Apxleyard.
(Nach Dlls Ltuäio.)

ausgeben und an tausend ähnliche vermeintlich origi-
nelle Dingel Aus diese Art können sich niemals
Grundtypen für die Formgebung der einzelnen kuust-
gewerblichen Gegenstände heransbilden, und diese
bleibt einzig und allein der Node überlassen, der
Mode, die durch den ununterbrochenen Wettkampf
der bemittelten oder der minder bemittelten Stände, in
welchem die ersteren sich immer von den letzteren zu
unterscheiden, diese es jenen gleich zu thun streben, zu
wahnsinnigen, die Ausreifung eines Stils von vorn-
herein vereitelnden Sturmschritt angetrieben wird.
kjier sitzt der Feind, der die schöpferische Kraft unseres
Aunstgewerbes lahm legt: wir brauchen „sociale
Stile"!

Die Sachverständigenkreise — die „Archäologen
und sdädagogen" bjerrn Baffier's — haben das
bereits lange erkannt und sind eifrig bemüht, gutc
Nuster billiger kunstgewerblicher Gegenstände zu schasfen; aber damit
diesem nicht genug dankenswerteu Beginnen sicherer Trsolg verbürgt
werde, muß vorerst das ganzc große Publikum dazn gebracht werden,
diese einfacheren, gediegeneren Arbeiten dem schwindelhast herausstasfirten
schlechten Aram, den es bislang gefordert hat, und der ihm bislang
geboten ward, vorznziehen; und das erheischt eine Umsormung mehr
noch als seiner geschmacklichen, seiner sittlichen Anschauungen I Das
ist die einzige durchführbare und vielleicht leicht durchführbare Refor-
mirung, die sich der Zeitgeist zu Gunsten der schöpferischen Araft im
Uunstgewerbc ctwa gefallen ließe, weun tferrn Baffier's hochtrabender
Ausdruck „Zeitgeist-Reformirung" hier verwerthet wcrden kann, wo
es sich lediglich um eine Lrziehungsfrage handelt!

Unsere Schulkinder lernen heutigentags so vielerlei; man könnte
ihnen wohl auch noch die für ihren ganzen künftigen Lebensweg so
werthvolle Lrkenntniß einimpfen, daß es keine Schande ist, weniger
reich zn sein als die allerobersten Zehntausend, — daß es aber eine
Schande ist, ihren Luxus copiren zu wollen — auf Aosten der Ge-
diegenh eit!

Fritz Minkus.


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