Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

SL

Sonntag, den k. November 1853.

VI' Jahrgang.


Wochenkalender.

Montag, den 7. November.
Die Zeitungen haben viel zu thun
Mit Redcliffe und Omer Paschen,
Vom Morgenblatt bis zum Abendblatt
Den ganzen Tag zu waschen!
Dienstag, den 8. November.
Die Zeitungen möchten heute gern
Die öeser überraschen:
Allein sie können weiter nichts,
Als wieder ein Bißchen waschen!
Mittwoch, den 9. November.
Die Zeitungen bringen Neues herbei
AuS allen Depeschentasckcn;
Doch näher beseb'n, ist'S wiederum
Das Alte — nur ausgewaschen!

Wochenkalender.
Donnerstag, den !0. November.
ES waschen die „Times" vor aller Welt
Alt-EnglandS schwarze Bündel,
Der „Siecle" bängt zum Trocknen aus
Die tricolore Windel!
Freitag, den N. November.
Das „Journal «lesvedats^ bringt mit
kräftiger Hand
Den türkischenSchlafrock zurSchweife;
Es meint, die Flecken gingen nur 'rauö
Mit russischer — grüner Seife!
Sonnabend, den !2. November.
Und nach dem fremden ZcitungSgewäsch
Die heimischen Zeitungen Haschen;
Sie waschen eö noch einmal auf —
Und e- hat sich doch nicht ge-
waschen!

Hnmoristisch-slltyrischks Wochenblatt.
Mtzlichcs und Wisscnswcrlhcs ms dcm Gebiete der Länder- und Bölkerkimdc.

In Folge einer in der TageSpresse mehrfach zur Sprache gekommenen Unannehmlichkeit, welche dem Gutsbesitzer H. L. Anspach
auS Elbing kürzlich in dem Städtchen Zwingenberg widerfahren ist, sind die Unterzeichneten mit so vielen Anfragen über die
Eristenz, die Localität und Natur von Hessen-Darmstadt behelligt worden, daß sie sich genöthigt gesehen haben, der horrenden
Unwissenheit, welche über diesen wichtigsten Punct der civilisirten Welt im gesammten deutschen Volke herrscht, durch die hier
folgende Abhandlung ein ebenso rasches als schmerzloses Ende zu machen.
Die Großmacht Hessen-Darm st adt umfaßt ein Reich, bestehend auS drei Provinzen von so bedeutender Aus-
dehnung, daß deren Verlegung nach Berlin bei dem gegenwärtigen Mangel an größeren Mittelwohnungen für kleine
Leute mit Hofraum und Gartenpromenade wohl zu den erlaubten Wünschen gehören dürfte. Für die etwaige Placirung derselben
würden wir alö den geeignetsten Raum daS Köpenicker Feld Vorschlägen.
Die Einwohnerzahl deS GroßherzogthumS kann nicht genau angegeben werden. Am letzten Freitag Nachmittags schätzte
man dieselbe auf etwa 860,000; doch ist anzunehmen, daß dieselbe seitdem aus dem jetzt nicht mehr ungewöhnlichen Wege der Aus-
wanderung sich bedeutend verringert bat. Die Bevölkerung dieses Reiches ist eine fleißige und betriebsame. Handel und Wandel
blühen, besonders der letztere. Die Beschäftigung der Einwohner besteht in Ackerbau, Weinbau und Fabrikarbeit, hauptsächlich
aber in der Anlegung von Banken, in der Stiftung von Koalitionen und in der „Jnhaftirung und Jnhaft-
haltung" preußischer Unterthanen, welche im Besitz von preußischen Fünfthalerscheinen und so kurzsichtig sind, daß
sie daran denken können, dieselben auf darmstädtischem Gebiet besehen zu wollen.
Die Wissenschaft wird daselbst außer mehreren niederen auch aus der Hochschule zu Gießen gepflegt, welche zwar an
Zahl der Studirenden, weniger jedoch im Konsum geistiger Getränke den anerkanntesten norddeutschen Universitäten nachstehen soll.
Die Verwaltung ist in den beßten Händen. Die Polizei ist vorsichtig, und der GenSdarm wittert, wahrscheinlich
auS nahe liegenden Gründen, in dem auö einem Rachbarstaate über die Gränze kommenden Fremden leicht
einen Fälscher.
Die Justiz ist eine sorgfältige und, wenn der Landsgerichts-Assessor gerade nüchtern ist, fast eine eracte
zu nennen.
Die Haupt-dkational-Feste sind der 15. August, als der NapoleonStag, und der Krönungstag des gegen-
wärtigen Kaisers der Franzosen, dessen Datum indessen vorläufig noch nicht ganz bestimmt angegeben
werden kann.
So besitzt Hessen-Darmstadt alle Requisiten einer Großmacht— sogar einen eigenen Orden und ein eigenes Hof-
theater mit vollständiger Beleuchtung durch Thran lampen und einer Koloratursängerin mit dem dreigestrichenen 0
in der Brust, außer welcher Stimme diesem Reiche noch drei Stimmen im Plenum der deutschen Bundesversammlung
mitunter etwas belegt sein sollen.
Daß Hessen-Darm stadt an den orientalischen Wirren Schuld sei, kann nur der Neid oder die Unwissenheit be-
haupten; wieeS denn überhaupt zu den Vorzügen dieses glückt i ck en We ltr eicheS gehört, d aß es bekannt l ich gar keine Feinde
hat. Selbst Napoleon, nämlich der Große, der doch sonst auf manche deutsche Großmacht nicht immer ganz freundlich zu
sprechen gewesen sein soll — Hessen-Darmstadt feindlich zu behandeln hat er niemals auch nur den entferntesten Grund gehabt.
Im Gegentheil! Ihm hat die Landgrafschaft Hessen-Darmstadt ihre Promotion zum Großherzogthum ebenso zu
danken, wie gegenwärtig daS Großherzogthum Hessen-Darmstavt seine Erhebung zur Großmacht den Gelehrten des
Kladderadatsch.

Nr. SS u. SS erscheinen Sonntag den IS. November.
 
Annotationen