66
Schultze und der Komet.
Wie ich jestern Abend über den Pariser Platz jehe, sehe ich zufällig an
den Himmel rauf und betrachte mir die Sterne. Es ist doch eijentlich eine
Schande — sage ich zu mir — du weißt nicht einmal, welche« die Venu« ist
oder der Bär und die Zwillinge. Du mußt doch bald einmal einen Artikel
über Astronomie schreiben, weil du so jar nicht« davon verstehst!
Dann beeilen Sie sich man! — sagt eine Stimme hinter mir.
Wie so? — frage ich, drehe mir um und bemerke eine große Jestalt in
einem hellen Ueberzieher und einer jelben Sommermütze.
Weil am dreizehnten Juni Abend« um diese Zeit alles Or-
janische bereit« verrungenirt sein wird.
Ach, Unsinn! — sage ich — Jlooben Sie denn ooch dran?
Jeder muß zunächst an sich selbst glauben! — sagt er.
Na, wie denn? — sage ich — ich meine, ob Sie auch glauben, daß der
Komet kommen wird?
Gewiß! Er ist schon im Anzuge! — sagt er und knöppt sich sei-
nen Rock zu.
Entschuldigen Sie — sage ich, — mit wem ist mir denn die Ehre, diese
angenehme Bekanntschaft jewesen zu haben?
Bitte — sagt er — wollen Sie sich nicht bedienen? Dabei zieht er die
Brieftasche rau« und jibt mir seine Visitenkarte.
Ich halte sie jejen den Mondschein und lese:
-Ah! — sage ich — Sie sind e« selbst? Nun, da« freut mich ja recht
sehr, oder wa« dasselbe sagen will, Sie sind mir jänzlich jlcichgiltig. Jndeß,
ich denke, Sie wollten erst am KJ. Juni —
Allerdings — meinte er — ich bin heut Abend nur hier herunter ge-
kommen, um mir ein Bißchen umzusehen, ob e« sich überhaupt für mich der
Mühe verlohnt, später Berlin zu berühren.
Ach so! —sagte ich — Sie wollen also am dreizehnten Juni nicht Allen«
jleich aus einmal —
I bewahre — sagte der Komet — wo die Dinge schon von selbst ihrem Un-
terjang entjejen jehen, wa« soll ich mir da erst noch die Arbeit machen?
Da haben Sie Recht — sagte ich — nur nicht« doppelt! Wenn ich
Ihnen aber sonst am hiesigen Platze nützlich sein kann, so soll e« mit Ver-
gnügen geschehen.
Ihr Stand und Name? — fragte der Komet.
Schnitze, Localkomiker.
Sehr angenehm. Wollen Sie mir nicht da« Vergnügen machen, ein
kleine« bescheidene« Souper mit mir einzunehmen?
Ich sah nack der Uhr. E« ist jetzt acht — sagte ich — vor zehn Uhr
genieße ich nie Austern und Champagner.
Ach so! — meinte der Haarstern — ich verstehe. Sie fürchten ein Seidel
und harte Eier? Aber glauben Sie mir nur, mein beßter Herr Schultze, daß
wir da oben auch zu leben verstehen. Wenn Ihnen gefällig ist, so stecken wir
un« eine „Colossalos“ au, machen eine Promenade durch die Stadt und
nehmen dann unseren Nachttrunk bei Lutter und Wegner. Droschkääääääääää!—
Aus die Stunde! Nach 'm Alexanderplatz, und von da durch 'n Lustgarten
über'n Opernplatz nach dem Genödarmenmarkt. Wir brauchen keine Marken!
Keine Marken! Da« ist der Ruin de« Droschkenfuhrwesen«!
E« muß Alles ruinirt werden! sagte der Komet. Welch eine Herr-
liche Straße, und diese Menge von rothen Laternen. De« sind ja wohl die
sojenanuten Polkakneipen mit den Biermamsell«? Wird mir ein besondere«
Gaudium sein, dieser Wirthschaft ein Ende zu machen.
Zu spät! Zu spät, Kometeken! lachte ich und rieb mir vergnügt
die Hände.
Wa« ist das, recht« da, für ein Gebäude?
Die zweite Kammer, da« Abgeordnetenhaus, worin Herr Gerlach in dem
„lieblichen Garten" der Regierung zu wandeln pflegt.
So?. Also noch immer Volksvertretung, Parlamentarismus? — Na war
tet nur, ihr Herren, ich werde euch schon klein kriegen!
Zu spät, zu spät, Kometeken! Kleiner sind sie nicht zu kriegen, al«
wie sic schon sind!
Bei der Gluth meiner Cigarre sah ich die de« Kometen, welche innere
Wuth zu bezeugen schien.
Ei, sehn Sie mal da, diesen Löwen! Da« scheint ein Springbrunnen zu
sein. Wahrscheinlich zur Verschönerung der Stadt?
Auch. Hauptsächlich aber zur Steigerung der Miethen für die Leute, die
hier Häuser besitzen. Zwei Fenster mit Aussicht ohne Staub auf Wasserfall,
jährlich 50 Thaler mehr.
Abwarten! In acht Wochen wollen wir un« sprechen.
Zu spät, zu spät, Kometeken! Sämmtliche Wirthe hier am Don«
Hossplatz haben schon ihre Miether jesteigert.
Verdrießlich legte sich der Komet in die Wagenecke — bi« zur Spittel-
tirche.
Besuchen die Leute in diesem Stadttheil gern die Kirche?
Ich schwieg.
Nun? — fragte der Komet — Wollen Sie nicht?
I — erwiderte ich — wenn sie auch 'rein gehen wollten, Alle könne n
sie doch nicht 'rein.
Er bog sich au« dem Wagen und besah sich die Spittelkirche.
Wartet man! Ihr sollt schon Furcht bekommen, wenn ich am dreizehn-
ten Abend« den ersten Anstoß geben werde.
Zu spät, zu spät, Kometeken! Furcht haben sie jetzt schon, aber
keine Besserung!
Wir stiegen au« und tranken in einer Weinstube an dieser Gegend einGlaS
Maitrank.
Sehen Sie, Schultze — flüsterte der Komet mir zu — wenn diese« Ge-
tränk noch am 13. Juni grassirte, da« konnte mich abhalten zu kommen.
Sagen Sie, lieber Himmelskörper, — fragte ich ihn, als wir weiter fuh-
ren, auf dem Molkenmarkt — werden denn die Behörden auch unter Ihnen
leiden müssen?
Ich kenne keinen Unterschied! — versetzte er mürrisch.
Na dann hat Mancher wieder sehr klug gehandelt, daß er Ihnen zu
vorgekommen ist.
Ja, wer weiß!— versetzte der Komet —wenn Mancher noch gelebt hätte,
würde ich mich vielleicht gar nicht nach Berlin 'rin jettaut haben. Wir Ko-
meten sind ja Srzrevolu —
St! Stille! Hier kommt ja des neue Rathhau« hin. Der Preis für
die Baupläne ist schon ausgeschrieben.
Zu spät, zu spät! — lachte jetzt der Komet und schlug mir ein
Schnippchen.
In der Münzstraße beim KönigSstädtijchen Theater wiederholte sich die'
selbe Schadenfreude.
Al« wir durch den Lustgarten fuhren, knallte plötzlich ein Schuß. Ein
Haussier hatte sich am Durchgang bei der Börse eine Kugel durch den Kops
. gejagt, nachdem er vorher schon Gift genommen.
Der dumme Kerl! — höhnte der Komet — in acht Wochen hätte er das
weit einfacher haben können.
Diese trockene Bosheit sing jetzt au, mir etwa« unangenehm zu werden.
Auf der Schloßbrücke lehnte er sich wieder au« dem Wagen und machte
ganz abscheuliche Scherze über die Puppen.
Welche Gage hat eine Ballettänzerin? — fragte er mich beim Opernhaus —
und welche« Gehalt ein Elementarschnllehrcr?
Ich schwieg.
Nun, mein lieber Schultze? Warum auf einmal so schweigsam. Meine
Cigarre ist Ihnen wohl etwa« zu schwer?
Starker Tobak! — erwiderte ich — ich werde bei Lutter nur Soda
Wasser trinken.
Ei, sehn Sie mal, auf einmal so klein müthig? —sagte er und wollte fort
fahren — al« ich mich au« dem Wagen bog.
Ihnen ist unwohl, Schultze? —
Lassen Sie mich! sagte ich. Ich sehe wohl, mit hohen Herren ist
nicht gut — Cigarren rauchen.
Ich sprang au« der Droschke.
Aus Wiedersehn! rief er mir nach. — Am 13. Juni Abend« 8 Uhr
45 Minuten bin ich Ihnen sichtbar.
Da« heißt, mit bewaffnetem Auge?
Bewaffnet oder unbewaffnet! E« muß Allen« verrungenirt
werden! — lachte er höhnisch und war-verschwunden.
Mora l.
E« gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, wovon selbst ein
! richtiger Berliner Junge sich nicht« träumen läßt.
Wellkörper und Ilaar Stern. Mitglied mehierer Son-
nensysteme , correspondirendes Mitglied r er schieden er
Dunstkreise, Besitzer mehrerer höherer Schiees/e
u. s. ir. u. s. tr.
Kladderadatsch.
Schultze und der Komet.
Wie ich jestern Abend über den Pariser Platz jehe, sehe ich zufällig an
den Himmel rauf und betrachte mir die Sterne. Es ist doch eijentlich eine
Schande — sage ich zu mir — du weißt nicht einmal, welche« die Venu« ist
oder der Bär und die Zwillinge. Du mußt doch bald einmal einen Artikel
über Astronomie schreiben, weil du so jar nicht« davon verstehst!
Dann beeilen Sie sich man! — sagt eine Stimme hinter mir.
Wie so? — frage ich, drehe mir um und bemerke eine große Jestalt in
einem hellen Ueberzieher und einer jelben Sommermütze.
Weil am dreizehnten Juni Abend« um diese Zeit alles Or-
janische bereit« verrungenirt sein wird.
Ach, Unsinn! — sage ich — Jlooben Sie denn ooch dran?
Jeder muß zunächst an sich selbst glauben! — sagt er.
Na, wie denn? — sage ich — ich meine, ob Sie auch glauben, daß der
Komet kommen wird?
Gewiß! Er ist schon im Anzuge! — sagt er und knöppt sich sei-
nen Rock zu.
Entschuldigen Sie — sage ich, — mit wem ist mir denn die Ehre, diese
angenehme Bekanntschaft jewesen zu haben?
Bitte — sagt er — wollen Sie sich nicht bedienen? Dabei zieht er die
Brieftasche rau« und jibt mir seine Visitenkarte.
Ich halte sie jejen den Mondschein und lese:
-Ah! — sage ich — Sie sind e« selbst? Nun, da« freut mich ja recht
sehr, oder wa« dasselbe sagen will, Sie sind mir jänzlich jlcichgiltig. Jndeß,
ich denke, Sie wollten erst am KJ. Juni —
Allerdings — meinte er — ich bin heut Abend nur hier herunter ge-
kommen, um mir ein Bißchen umzusehen, ob e« sich überhaupt für mich der
Mühe verlohnt, später Berlin zu berühren.
Ach so! —sagte ich — Sie wollen also am dreizehnten Juni nicht Allen«
jleich aus einmal —
I bewahre — sagte der Komet — wo die Dinge schon von selbst ihrem Un-
terjang entjejen jehen, wa« soll ich mir da erst noch die Arbeit machen?
Da haben Sie Recht — sagte ich — nur nicht« doppelt! Wenn ich
Ihnen aber sonst am hiesigen Platze nützlich sein kann, so soll e« mit Ver-
gnügen geschehen.
Ihr Stand und Name? — fragte der Komet.
Schnitze, Localkomiker.
Sehr angenehm. Wollen Sie mir nicht da« Vergnügen machen, ein
kleine« bescheidene« Souper mit mir einzunehmen?
Ich sah nack der Uhr. E« ist jetzt acht — sagte ich — vor zehn Uhr
genieße ich nie Austern und Champagner.
Ach so! — meinte der Haarstern — ich verstehe. Sie fürchten ein Seidel
und harte Eier? Aber glauben Sie mir nur, mein beßter Herr Schultze, daß
wir da oben auch zu leben verstehen. Wenn Ihnen gefällig ist, so stecken wir
un« eine „Colossalos“ au, machen eine Promenade durch die Stadt und
nehmen dann unseren Nachttrunk bei Lutter und Wegner. Droschkääääääääää!—
Aus die Stunde! Nach 'm Alexanderplatz, und von da durch 'n Lustgarten
über'n Opernplatz nach dem Genödarmenmarkt. Wir brauchen keine Marken!
Keine Marken! Da« ist der Ruin de« Droschkenfuhrwesen«!
E« muß Alles ruinirt werden! sagte der Komet. Welch eine Herr-
liche Straße, und diese Menge von rothen Laternen. De« sind ja wohl die
sojenanuten Polkakneipen mit den Biermamsell«? Wird mir ein besondere«
Gaudium sein, dieser Wirthschaft ein Ende zu machen.
Zu spät! Zu spät, Kometeken! lachte ich und rieb mir vergnügt
die Hände.
Wa« ist das, recht« da, für ein Gebäude?
Die zweite Kammer, da« Abgeordnetenhaus, worin Herr Gerlach in dem
„lieblichen Garten" der Regierung zu wandeln pflegt.
So?. Also noch immer Volksvertretung, Parlamentarismus? — Na war
tet nur, ihr Herren, ich werde euch schon klein kriegen!
Zu spät, zu spät, Kometeken! Kleiner sind sie nicht zu kriegen, al«
wie sic schon sind!
Bei der Gluth meiner Cigarre sah ich die de« Kometen, welche innere
Wuth zu bezeugen schien.
Ei, sehn Sie mal da, diesen Löwen! Da« scheint ein Springbrunnen zu
sein. Wahrscheinlich zur Verschönerung der Stadt?
Auch. Hauptsächlich aber zur Steigerung der Miethen für die Leute, die
hier Häuser besitzen. Zwei Fenster mit Aussicht ohne Staub auf Wasserfall,
jährlich 50 Thaler mehr.
Abwarten! In acht Wochen wollen wir un« sprechen.
Zu spät, zu spät, Kometeken! Sämmtliche Wirthe hier am Don«
Hossplatz haben schon ihre Miether jesteigert.
Verdrießlich legte sich der Komet in die Wagenecke — bi« zur Spittel-
tirche.
Besuchen die Leute in diesem Stadttheil gern die Kirche?
Ich schwieg.
Nun? — fragte der Komet — Wollen Sie nicht?
I — erwiderte ich — wenn sie auch 'rein gehen wollten, Alle könne n
sie doch nicht 'rein.
Er bog sich au« dem Wagen und besah sich die Spittelkirche.
Wartet man! Ihr sollt schon Furcht bekommen, wenn ich am dreizehn-
ten Abend« den ersten Anstoß geben werde.
Zu spät, zu spät, Kometeken! Furcht haben sie jetzt schon, aber
keine Besserung!
Wir stiegen au« und tranken in einer Weinstube an dieser Gegend einGlaS
Maitrank.
Sehen Sie, Schultze — flüsterte der Komet mir zu — wenn diese« Ge-
tränk noch am 13. Juni grassirte, da« konnte mich abhalten zu kommen.
Sagen Sie, lieber Himmelskörper, — fragte ich ihn, als wir weiter fuh-
ren, auf dem Molkenmarkt — werden denn die Behörden auch unter Ihnen
leiden müssen?
Ich kenne keinen Unterschied! — versetzte er mürrisch.
Na dann hat Mancher wieder sehr klug gehandelt, daß er Ihnen zu
vorgekommen ist.
Ja, wer weiß!— versetzte der Komet —wenn Mancher noch gelebt hätte,
würde ich mich vielleicht gar nicht nach Berlin 'rin jettaut haben. Wir Ko-
meten sind ja Srzrevolu —
St! Stille! Hier kommt ja des neue Rathhau« hin. Der Preis für
die Baupläne ist schon ausgeschrieben.
Zu spät, zu spät! — lachte jetzt der Komet und schlug mir ein
Schnippchen.
In der Münzstraße beim KönigSstädtijchen Theater wiederholte sich die'
selbe Schadenfreude.
Al« wir durch den Lustgarten fuhren, knallte plötzlich ein Schuß. Ein
Haussier hatte sich am Durchgang bei der Börse eine Kugel durch den Kops
. gejagt, nachdem er vorher schon Gift genommen.
Der dumme Kerl! — höhnte der Komet — in acht Wochen hätte er das
weit einfacher haben können.
Diese trockene Bosheit sing jetzt au, mir etwa« unangenehm zu werden.
Auf der Schloßbrücke lehnte er sich wieder au« dem Wagen und machte
ganz abscheuliche Scherze über die Puppen.
Welche Gage hat eine Ballettänzerin? — fragte er mich beim Opernhaus —
und welche« Gehalt ein Elementarschnllehrcr?
Ich schwieg.
Nun, mein lieber Schultze? Warum auf einmal so schweigsam. Meine
Cigarre ist Ihnen wohl etwa« zu schwer?
Starker Tobak! — erwiderte ich — ich werde bei Lutter nur Soda
Wasser trinken.
Ei, sehn Sie mal, auf einmal so klein müthig? —sagte er und wollte fort
fahren — al« ich mich au« dem Wagen bog.
Ihnen ist unwohl, Schultze? —
Lassen Sie mich! sagte ich. Ich sehe wohl, mit hohen Herren ist
nicht gut — Cigarren rauchen.
Ich sprang au« der Droschke.
Aus Wiedersehn! rief er mir nach. — Am 13. Juni Abend« 8 Uhr
45 Minuten bin ich Ihnen sichtbar.
Da« heißt, mit bewaffnetem Auge?
Bewaffnet oder unbewaffnet! E« muß Allen« verrungenirt
werden! — lachte er höhnisch und war-verschwunden.
Mora l.
E« gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, wovon selbst ein
! richtiger Berliner Junge sich nicht« träumen läßt.
Wellkörper und Ilaar Stern. Mitglied mehierer Son-
nensysteme , correspondirendes Mitglied r er schieden er
Dunstkreise, Besitzer mehrerer höherer Schiees/e
u. s. ir. u. s. tr.
Kladderadatsch.