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Was wir wollen.

EmiMnser Zweck ist cs, dem zur Zeit im Bade weilenden Großstädter
siMD.die Lecture aller anderen Blätter entbehrlich zu machen, unserseits
S^Mdagegen ihm die Neuigkeiten des Tages in einer Form zu serviren,
wie fie den Anforderungen der Cur-Diät entspricht. Sensations-
Enten werden in unserem Organ keine Aufnahme finden. Aufregende
Nachrichten schließen wir ganz aus oder bringen sic erst, wenn wir
den Leser in genügender Weise auf fie vorbereitet haben. Unsere Stel-
lung wird demnach eine vermittelnde sein, unsere,Darstcllungsart eine
beruhigende, unsere Glaubwürdigkeit eine über allen Zweifel erhabene.

Vom Kriegsschauplatz.

Die neuesten Nachrichten vom Kriegsschauplatz haben den großen
Vortheil, für die Russen sowohl als für die Türken überaus günstig
zu lauten. Die allgemein erwartete große Schlacht dürfen wir schon im
Voraus als eine solche bezeichnen, bei welcher beide kriegführende Par-
teien sich den Sieg zuzuschreiben nicht verfehlen werden. Die angeblich
von Russen oder Türken begangenen Grausamkeiten stellen sich bei
wechselseitiger Beleuchtung immer mehr als grundlose Gerüchte oder auch
als harmlose Scherze heraus. Glauben wir den russophilen Blättern,
so ist der Kosak ein Mensch von so weichem Gemüth und von so großer
Empfindsamkeit, daß er auch in der größten Erbitterung noch nicht zum
— Kamm greift, aus Furcht, ei» lebendes Geschöpf zu verletze». Schenke»
wir den russophoben Journalen Glauben, so erscheint der Türke als
ein jovialer Lebemann, als eine grundehrliche Haut, und als ein voll-
endeter Cavalier — dem schönen Geschlecht gegenüber. Und wann»
sollen wir nicht, wenn es uns beruhigt, den Russophoben der Presse
ebenso wie den Russophilen aufs Wort glauben? Thun wir's, und
wir kommen zu folgendem Schluß: Wenn es auch sein mag, daß der
Türke mehr auf das Christenthum, der Russe mehr auf die Hu-
manität Gewicht legt, so viel steht jedenfalls fest, daß der Krieg auf
beiden Seiten mit einer Rücksicht und Zuvorkommenheit geführt
wird, welcher nachdenkenden Menschenfteunden kaum etwas zu wünschen

übrig läßt. —:-

Don Carlos in Gefahr.

Bei einem der letzten Gefechte begegnete es dem zu seiner Erholung auf
dem Kriegsschauplatz weilenden Don Carlos, daß er in Gedanken den
feindlichen Linien zu nahe kam. Kaum hörte er das heftige Schießen,
als er auch sofort von dem acuten Unwohlsein ergriffen wurde, von
welchem er bekanntlich schon in Spanien so viel zu leiden hatte. Nach-
dem er außer Hörweite der Geschütze gebracht war, gelang eS den von
allen Seiten herbeispringenden Aerzten, ihn in kurzer Zeit durch kräftige
Mittel so weit wieder herzustellen, daß er jetzt als außer Gefahr befind-
lich zu betrachten ist. Nur ein zeitweiliges Blaßwerden und Zittern
ist als Folge deS Ausgcstandenen noch zurückgeblieben.

Das Perron-Billet.

Während auf den amerikanischen Bahnhöfe» Alles drunter
und drüber geht, scheint man in Berlin sich in die Einführung von
Perron-Billets ä 20 Pf. ruhig gefügt zu haben. In der That war
eS ein Wunder, daß die berliner Eisenbahndirectionen diese anderwärts
längst schon eingeführte Ertrabesteuerung des reisenden PublicumS
sich so lange konnten entgehen lasten. ' Noch mehr wundern wir uns
darüber, daß nicht zugleich Perron-BilletS erster, zweiter und
dritter Classe cingeführt sind. Das Perron-Billet dritter Elaste
könnte das Recht zum Abschiednehmen in den Wartesälen verleihen;
bei dem zweiter Classe dürfte die Trennung auf dem Perron, bei
dem erster Classe in dem Coups stattfinden. Dem entsprechend
wären Perron-BillctS zun, Preise von 20, 37 und 51 Pf. auszugeben.
Fenier läge es nahe, von denjenigen Extra- oder Vergnüguiigszüglcrn,
welche bei der Rückfahrt vom Vergnügungsort in Folge plötzlich ver-
änderter Abfahrtszeit auf Bahnhöfen zurückgclasten werden und dort die
Nacht zubringen müssen, die Lösung eincS Schlaf- oder Warte-
billets im Preise von mindestens 73 Pf. zu verlangen.

Ist Berlin ein billiger Platz?

Diese Frage eignet sich besonders dazu, an Badeorten und Sommer-
frischen von ausgeflogcncn Berlinern in leidenschaftsloser Weise dis
cutirt zu werden. Einen Beitrag dazu liefert eine bei uns eingegangm
Zuschrift eines Berliners, welche die niedrigen Preise aller Lebens-
bedürfniste in Berlin hervorhebt. Unser Gewährsmann schreibt:
„Wohnungen bei Mutter Grün, mit Frühweckung durch den Schutz,
mann, sind noch in genügender Auswahl umsonst zu haben. Eine gute

Mittel-Havana in strohgelber oder grasgrüner Marke (leichter Brands

wird in der Nähe des Thiergartens zu 5 Pf. pro halbes Dutzend feil-
geboten. Schäfchen galten schon um Weihnachten nur 3 Pf. das Stück.
Wasserpest, sogenannter Canal-Spinat, wird mit 10 Pf pro5Ater
abgegeben. Frische Ananas aus Osdorf sind noch nicht eingetroffen.'
Demnach scheint Berlin wirklich ein nicht übernräßig theurer Aufent-
haltsort zu sein.

Interessantes ans Rom.

Interessant ist die Nachricht des „Lien public“, der zufolge der
wirkliche PapstPiusIX. schon vor dreiJahrcn gestorben wäre.
Die Jesuiten hätten dann, um sich das alte Regiment mit feinen
reichen Gefällen an Petcrspfcnnigen u. s. w. zu erhalten, schnell ein dem
Verstorbenen ähnliches Individuum herbcigeschafft, welches seit-
dem als angeblicher Pius IX. zu ihrem Vortheil die päpstliche Regie-
rung fortgesührt habe. Einigen Besuchern, die den alten kio Nono
noch gut in der Erinnerung haben, sei cs neuerdings auf gefallen, des
der jetzige Papst eigentlich ganz anders auSsähe. Durch SchwatzhafttM1
eines Stubenmädchens hätten sic dann erfahren, daß seit drei Zahm
schon ein Schein- oder Acticn-Papst, aus dem Poscn'schen gebürtig,
auf dem heiligen Stuhl säße.

Was nun die sogleich von den Ultramontanen ausgestellte Behaup-
tung von einem gleichfalls untergeschobenen Bismarck betrifft, fo
bemerken wir dazu lediglich, daß in diesem Falle, wenn wirklich Etwas
nicht ganz richtig sein sollte, doch eher noch der alte Bismarck für
unächt gehalten werden könnte.

Die Fleurs-barometres.

Die sogenannten Baromcterblumen, d. h. künstliche Blumen,
welche bei: „Schön Wetter" blau, bei „Veränderlich" grau und bei
„Regen" rosa erscheinen, sind bei unserer Damenwelt bald beliebt ge-
worden. Wäre cs nicht möglich, aus demselben Stoff, aus dem diese
Blumen gemacht werden, ganze Roben anzufertigen? Man stelle sich
vor, wie eine Landpartie, die am Morgen mit blauen Damen aufbratb,
am Abend, nachdem sich mittlerweile Rege» eingestellt hat, über und über
rosa zurückkehrt! Das Mißvergnügen über einbrcchcndcS schlechtes Wetter
dürfte durch dieses heitere Farbenspiel erheblich gemildert werden.

Auf der Promenade würde nian, wenn die Damen anfangc» grau
zu werden, seinen Schirm holen oder ein schützendes Obdach aufsuchcn.

Uebrigens möchten wir gem erfahren, wie die erwähnten Baro-
meter bl innen bei noch mehr sinkendem Quecksilber sich weiter verändern,
ob sie bei „Viel Regen" etwa gelb, bei „Sturm" braun und bei
„Erdbeben" schwarz werden.

Anklopfcn au Meerschweinchdnköpfe.

Die Untersuchungen des -Professors Westphal in Berlin haben
ergeben, daß „durch Klopfen an die Köpfe von Meerschweinchen Epilepsie
erzeugt wird". Ob bei den Meerschweinchen selbst oder bei den. Klopfenden
oder bei anderen Personen, ist aus dem Blatte, dem wir diese Notiz ver-
danken, nicht zu entnehmen. Um sicher zu gehen, empfehlen wir daher
Jedem, der mit Meerschweinchen in Berührung kommen sollte, nicht
an die Köpfe derselben zu klopfen.
 
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