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nfe* Dev nnmittelbave Zivang.

Nachtgespräch eines Stadtverordneten.

Schläfst du noch nicht, Fra»? - Gut! Ich wollte dich noch etwas
fragen. Weißt du, was unmittelbarer Zwang ist? — Nein? Hm, das
wundert mich. Nun, es ist das-, waS der bekannte Erlkönig dem Knaben,
besten Name mir entfallen ist, androht, für den Fall, daß er nicht willig
folgt. — WaS dich der Erlkönig angeht? Das wirst du gleich hören. Du
weißt doch, daß der Minister »ns Stadtverordneten mit unniittelbarein Zwange
gedroht hat, falls wir den Antrag Singer auf die Tagesordnung setzen. —
Dann werde» wir cS natürlich auch bleiben lasten, meinst du? Ich weiß
doch nicht, ob sich das so von selbst versteht. Vielleicht setzen wir uns auf
die Hinterbeine. — Das wäre Blödsinn, behauptest du — und übrigens
habe der Minister ja so recht? Natürlich, opponiren mußt du mir immer.
Wenn ich einmal freisinnig bin, kehrst d» den Pnttkamer heraus; wenn
ich einmal mit BiSMarck gehe, bist du der reine Windthorst; wenn ich
einmal den Conservative» recht gebe, fährst du mich an wie der richtige
Eugen Richter.

Aber lassen wir das! Ich wollte dich nur fragen: wie stellst du dir
vor, daß die Sache wird, wenn wir nun wirklich de» Antrag Singer anf
die Tagesordnung setzen ? — Wie? Du stellst dir daS überhaupt nicht vor?
Die ganze Sache wäre dir vollständig — gleichgiltig, will ich sagen, denn
ich mag den von dir gebrauchten Ausdruck „Schnuppe" nicht wiederholen.
Du wirst aber sogleich erfahre», daß dir die Sache durchaus nicht egal
sein darf.

Höre also! Die Stadtverordneten sind versammelt, und der Antrag
Singer steht anf der Tagesordnung. Eben habe ich mich darüber zum
Wort gemeldet. Da hört man draußen Pferdegetrappel. Die Thüren werden
aufgerissen, und in den Saal dringt die reitende Schutzmannschaft. „Ergebt
euch!" ruft der Commandirende mit geschwungenem Säbel. „Unter keine»
Umständen!" erwidern wir, wie die alte Garde bei Waterloo. „Denn man
einhauen!" commandirt er. Und nun begibt sich eine Scene, welche aller
Beschreibung spottet.

Eilige mit Grauen
Fliehen von dannen,

Andere haue» ^

Einige springe»
lieber die Klingen.

Leichter als Töpfe

Werden gespalten
Herrliche Köpfe.

Da ist kein Halten,

Sind keine Pausen.

Gräßliches Grausen,

Gräulicher Mord!

Einige» gelingt es, ins Freie zu entkommen, aber sie entgehen damit
dem Verderben nicht, den» in der Königsstraße sind Geschütze aufgestellt
welche alles bestreichen. Andere flüchten auf den RathhauSthurm. aber die
Feuerwehr holt sie herunter. Gebunden werden sie den, Minister zu FW,
gelegt. Ich gehöre zu denen, welche sich unten im Saal bis auf's äußerste
zur Wehre setzen; aber umzingelt und in Stücke gehauen unterliege ich endlich
der zehnfachen Uebermacht. Mein letzter Gedanke bist du, Amalie, und Ei;,
bei» mit Erbsen und Sauerkraut, weil eS ein Donnerstag ist.

Noch ahnst du, da die Extrablütlcr noch nicht heraus sind, nichts v°u
dem Furchtbaren, das mit mir sich in Berlin C. begeben hat/da reißt e-i
furchtbar an der Klingel, und sie kommen mit mir angeschleppt. „Leg/
Sie ihn nur dahin!" sagst du — „Sie sehen ja. daß ich alle Hände roll
zu thnn habe. Ich bin eben beim Kaffeebreiinen."

Noch denkst d» an nichts Schlimmes, sondern nimmst bei mir nur eine
vorübergehende Geistesabwesenheit an, wie sie ja in aufgeregten Zeitläufte»
dann und wann vorkommt. Wie sie mich aber auswickcln und du beiiicrlst,
daß ich wie ei» EberS'scher Roman aus mehreren Theile» bestehe, du geht
dir ein fürchterliches Licht anf und mit einem crassen Schrei, den ich „je
vergessen werde, bist du auch schon in dich selbst zusamn,engestürzt.

Aber wie? d» wachst nicht mehr? Ein verdächtiges Geräusch, welche;
mich an das sägemühlenreiche und auch sonst durch Naturschönheiten aus-
gezeichnete Ockerthal erinnert, sagt mir, daß du ei,.geschlafen bist. So wenig
interessirst du dich für die lebensgefährlichen Angelegenheiten deines
So wenig Antheil nimmst du an seinem Heroismus! Da waren die kar
thagischen Frauen und, wenn ich nicht irre, die der Cimbern und Antonen
-doch ganz anders. Freilich, wen.i wir bei „„fern uiimittelbarsten Aeac/Mchv?
l° wenig Unterstützung in unserer guten Sache finden, bann ist cs nG am
besten, wir geben klein bei, fügen »ns in das Ministerial.Rescript und lafim
i'3 nicht darauf ankonimc», daß der unmittelbare Zwang über u»S hereim
bricht. O Weiber, Weiber! Das hätte ich nicht von dir gedacht, Amalie!

Ün-s ücm •Sofüntenfeßen.

„Andere Städtchen — andere Mädchen" — dachten die Füsiliere des
aus Erfurt nach Halle übcrsiedelnden Bataillons des 36. Regiments. Da
erschienen im neue» Garnisonort 40 Erfurter Köchinnen, um Stellung z.i
suchen.

Auf dem französisch-griechische» Verbrüderuugsbaukett, das vor kurzem
in Paris zur Feier der Unabhängigkeit Griechenlands stattfand, äußerte der
Grieche Vlasto, Frankreich sei da? zweite Vaterland eines jede» Griechen.

Wozu brauchen die Grieche» zwei Vaterländer? Ist nicht ihr erstes und
eigentliches Vaterland schon in solcher Verfassung, daß sie reichlich daran
genug haben könnte»?

Ein Fingerzeig.

Die KriegScorvctte „Sophie" hat von der Westküste Africa's Geiseln eines
Ncgerstainmcs mitgebracht, welcher wegen wiederholter Plünderung und
Ermordung dentschcr Ausiedcler gezüchtigt werden sollte.

Diesen Geiseln soll Berlin gezeigt werden, damit der Eindruck hoher
Cultur in de» harmlosen Naturkindern den Drang nach Civilisation er-

Wäre dies nicht auch der hunianste Weg, den man bei unsere» ein-
geborenen „Natnrkindern" einschlagen könnte?

Wenn man jemand, der ans Noth 1111b mangelnder Erziehung einen
schwere» Einbruch voll führte und dabei einige im Wege Stehende auf die
Seite schaffte,. nicht in das Gefängniß, sondern in daS Opernhaus, die
RnhnicShalle, die Nationalgalerie und zu Dreffel schleppte, würde das nicht
in ihm de» Wunsch rege machen, es alle Tage so gut zu haben, und mehr
zu seiner Besserung beitrage» als die schönste Einzelhaft.

Man versuche cS nur, wie mit den Schwarzen.

Der neue Philadelphia.

Die Selbstverkleinerung des Reichskanzlers scheint nun doch beschlösse»!
Sache zu sei».

Er will nur noch Reichskanzler bleibe».

Vor dem Handelsministerium, den, auswärtigen Amt und dm
Staatsniinisteriui» kann man jede» Tag ganze Haufen von Neugierig»
bemerken, welche sehen wolle», wie der Kanzler zurücktritt.

Interessant wäre es, wenn er zur selben Stunde ans allen drei Aemteni
zurück träte.

Und wie er das wohl machen würde?

Trage ii»st Ünioiort.

Lang schon hat im Grabgemach
Preußens Staatsrath sanft geruht,

Und jetzt ruft ihn Bismarck wach?
Sprich, warum er solches thut?

Ja, du wirst - 's ist wirklich wahr -
Bald de» Staatsralh Wiedersehn.

„Das Warum wird offenbar.

Wann die Tobten aiiferstehn."

Trost in Thränen.

Im schönen Lande der Kastanie», — Im schönen Spanien, — Hat man
verurtheilt zu acht Jährlcin — Von Redacteuren jüngst ei» Pärlcin. —
Vernimm dies, weither Journalist, — Der schon in herbem Duldenveh -
Gesessen still in Plötzensce, — Und danke Gott, daß Du ein Preuße bist!
 
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