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Kraus, Theodor
Hekate: Studien zu Wesen und Bild der Göttin in Kleinasien und Griechenland — Heidelberger kunstgeschichtliche Abhandlungen, N.F. 5: Heidelberg: Carl Winter, Universitätsbuchhandlung, 1960

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https://doi.org/10.11588/diglit.57160#0060
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56

II. Die kleinasiatische Hekate

Auf alle Fälle spricht alles dafür, daß Hekate ursprünglich eine einheimische
„Muttergottheit“ war, und dies erklärt die Beziehungen zu den kleinasiatischen
Göttinnen ebenso wie die Abweichungen von den Gedanken und Formen im
griechischen Raum westlich der Ägäis. F. Schachermeyr hat die Bereiche, die
den vorgriechischen Göttinnen Kleinasiens zufielen, voneinander zu sondern
gesucht und sie einen „Kreis von Ideen“ genannt, „der sich in variablen Ver-
körperungen um das Prinzip der weiblichen Gottheit rankte“.265 In diesem
Zusammenhang teilt er Hekate der Unterwelt zu. Eine solche Differenzierung
durchzuführen ist sehr schwierig, weil all diese Gottheiten uns meist erst aus
griechischer Zeit und griechischen Quellen greifbar werden, wo ein ursprünglich
universaler Charakter schon zugunsten spezieller Wesenszüge, die wohl oft erst
nach ihrem Eingehen ins griechische Pantheon sich so einseitig entwickelten,
zurücktrat. Der Name „Muttergöttin“, den auch wir hier anwenden, ist freilich
mehr ein Verabredungswort, das oft nur das Prinzip des Weiblichen an sich
meint, weniger die besondere Wesenheit des Mütterlichen.
Im Falle Hekates scheint aber nicht nur in den älteren kleinasiatischen
Schichten der Bezug zu Tod und Unterwelt zu fehlen: Auch bei Hesiod, dem
ersten Zeugen der Übernahme nach Griechenland, ist er nicht vorhanden. Wie
ist das möglich, wenn er wirklich das Wesen der kleinasiatischen Hekate be-
stimmte? Die chthonischen Züge, die die Hekate von Lagina zweifellos besaß,
hat Laumonier gebührend betont.266 Aber sie allein machen Hekate doch noch
keineswegs zur ausschließlichen Unterweltsherrin und Totengöttin in ihrer Hei-
mat. Deshalb haben wir hier versucht, das ursprüngliche Wesen der Göttin
komplexer zu zeichnen, weniger stark in einer bestimmten Richtung zu fixieren.
Auch Nilsson hat in Hekate eine große karische Göttin gesehen.267 Wenn er
nun aber folgert, sie müsse bereits in ihrer Heimat enge Beziehungen zu Spuk
und Zauber gehabt haben, da es sonst keine Erklärung für die griechische Hekate
gäbe,268 so erscheint mir die Sachlage doch etwas weniger einfach, vor allem da
die kleinasiatischen Denkmäler und Vorstellungen keineswegs für die Gespen-
sterherrin zu sprechen scheinen. Auch in Lagina kann ich nichts dergleichen fin-
den. Verlief der Prozeß der Übernahme nach Griechenland nicht komplizierter,
kamen nicht noch andere Komponenten dazu, die eben Kleinasien gar nicht an-
gehören? War der Eingliederung in den Kreis der griechischen Götterwelt nicht
schon eine Verschmelzung der Karierin mit anderen Wesen vorausgegangen? So
sei im folgenden versucht, einen anderen Vorschlag gleichsam schrittweise zu be-
gründen.
265 Schachermeyr, Poseidon 123.
260 Laumonier, Cultes 412ff.
267 Nilsson, GGRel. I2 725. Eine „Mere tres grande, tres manifeste, tres sauveuse“ nennt
Laumonier, Cultes 423 die anatolische Hekate.
268 So anscheinend auch Laumonier, Cultes 425, unter Berufung darauf, daß Hekate
manchmal Mutter der Kirke und der Medea ist, und mit Bezug auf Perses-Perseis.
Es scheint mir indes fraglich, ob auf Grund dieser griechischen Quellen und Vor-
stellungen die magische Seite Hekates in Kleinasien verankert werden kann!
 
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