1. Hekate in Athen im fünften Jahrhundert v. Chr.
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Die Nachtseite Hekates, ihre gespenstische Natur, fehlt in den beiden Aischy-
losstellen völlig. Ist dies Zufälligkeit der Erhaltung? Oder ist es der konserva-
tiven Religiosität des Aischylos zu verdanken, die Μ. P. Nilsson betont hat?425
Jedenfalls ist die sophokleische Hekate eine ganz andere Gestalt. Die Anrufung
in den Rhizotomoi (Fr. 492 Nauck) sei im vollen Wortlaut wiedergegeben:
"Ηλιε δέσποτα καί πΰρ ιερόν,
τής Είνοδίας Εκάτης έγχος,
τό δι’ Ούλύμπου πωλοϋσα φέρει,
καί γης άνιοΰσ’426 ίεράς τριόδους
στεφανωσαμένη δρυί καί πλεκταϊς
ώμων σπείραισι δρακόντων.
Wilamowitz hat die Verse so meisterlich besprochen,427 daß hier unnötige
Wiederholungen vermieden werden können. Hervorgehoben aber sei seine
Äußerung, daß Hekate nicht als Mondgöttin auftrete und Helios als der
Ahnherr Medeas angerufen sei. Denn die Verbindung Hekates mit Helios ist
in der Tat vorhellenistisch nicht bezeugt — zu Hekate als Mondgöttin wurde
bei Betrachtung der kleinasiatischen Hekate schon einiges gesagt.428 Hingewiesen
sei auch darauf, daß Hekate die Fackel hat — dies wird für ihre Bildgestalt
wichtig werden — und daß sie die Herrin der Dreiwege ist. Die Schlangen
gehören zur chthonischen Natur, zu ihrem Wesen als Totengöttin:429 Die Herrin
des nächtlichen Himmels, der Weggabelungen, der Unterwelt und der Toten
hat Sophokles so zum ersten Male in ihrer ganzen dunklen, unheimlichen Größe
mit Meisterhand gezeichnet.
425 Nilsson, GGRel. I2 750.
426 So Wilamowitz (s. folg. Anm.); ναίουσ’: Nauck.
427 Wilamowitz, GdH. I 173. Vgl. ferner Usener, RhM. 58, 1903, 332 m. Anm. 3. R.
Wünsch, Antikes Zaubergerät aus Pergamon 23. Eitrem, SOsl. 21, 1941, 46.
428 Der Hekatepriester Menophilos in Lagina, der mit dem Priesteramt für Helios und
Rhodos betraut wurde (o. S. 41 f. m. Anm. 187), besagt dafür nichts: Die Kulte von
Rhodos mit denen von Lagina zu verbinden, war eine Tat der Rhodier, als Lagina
unter ihre Herrschaft geriet. Deshalb könnte man auf keinen Fall etwa aus den
Münzen von Stratonikeia, auf denen Hekate den Halbmond hat (o. S. 51), schlie-
ßen, daß sie wegen ihrer Mondnatur Helios im gemeinsamen Kult verbunden war.
Die Grabstele des Gaios in Istanbul, wo über dem Reliefstreifen mit Men, der drei-
leibigen Hekate und dem Mann (Gott oder Priester?) mit der Doppelaxt die Büste
des Helios sitzt (s. Anhang I, Phrygien Nr. 4), ist ein Zeuge des Synkretismus
der späteren Kaiserzeit. Zur Verbindung des Helios mit den Muttergottheiten
K. Schauenburg, Helios 45 ff. (Hekate: 47). Eine mythologische Beziehung versucht
Kerenyi, Eranos-Jahrbuch 10, 1943, 113 über den Namen Perse herzustellen; dies
erscheint mir unsicher.
429 s. Ziegler, ARW.13, 1910, 247. Küster, Schlange 112 ff. Malten, RM. 38/39, 1923/24,
324 Anm. 1. — R. Wünsch, Antikes Zaubergerät aus Pergamon 25 bringt die Schlan-
gen der Hekate mit den Attributen der Erinyen zusammen, Pestalozza, Acme 5,1952,
556 will sie auf die minoische Schlangengöttin zurückführen. Letzteres entbehrt
jedoch der nötigen Stützen.
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Die Nachtseite Hekates, ihre gespenstische Natur, fehlt in den beiden Aischy-
losstellen völlig. Ist dies Zufälligkeit der Erhaltung? Oder ist es der konserva-
tiven Religiosität des Aischylos zu verdanken, die Μ. P. Nilsson betont hat?425
Jedenfalls ist die sophokleische Hekate eine ganz andere Gestalt. Die Anrufung
in den Rhizotomoi (Fr. 492 Nauck) sei im vollen Wortlaut wiedergegeben:
"Ηλιε δέσποτα καί πΰρ ιερόν,
τής Είνοδίας Εκάτης έγχος,
τό δι’ Ούλύμπου πωλοϋσα φέρει,
καί γης άνιοΰσ’426 ίεράς τριόδους
στεφανωσαμένη δρυί καί πλεκταϊς
ώμων σπείραισι δρακόντων.
Wilamowitz hat die Verse so meisterlich besprochen,427 daß hier unnötige
Wiederholungen vermieden werden können. Hervorgehoben aber sei seine
Äußerung, daß Hekate nicht als Mondgöttin auftrete und Helios als der
Ahnherr Medeas angerufen sei. Denn die Verbindung Hekates mit Helios ist
in der Tat vorhellenistisch nicht bezeugt — zu Hekate als Mondgöttin wurde
bei Betrachtung der kleinasiatischen Hekate schon einiges gesagt.428 Hingewiesen
sei auch darauf, daß Hekate die Fackel hat — dies wird für ihre Bildgestalt
wichtig werden — und daß sie die Herrin der Dreiwege ist. Die Schlangen
gehören zur chthonischen Natur, zu ihrem Wesen als Totengöttin:429 Die Herrin
des nächtlichen Himmels, der Weggabelungen, der Unterwelt und der Toten
hat Sophokles so zum ersten Male in ihrer ganzen dunklen, unheimlichen Größe
mit Meisterhand gezeichnet.
425 Nilsson, GGRel. I2 750.
426 So Wilamowitz (s. folg. Anm.); ναίουσ’: Nauck.
427 Wilamowitz, GdH. I 173. Vgl. ferner Usener, RhM. 58, 1903, 332 m. Anm. 3. R.
Wünsch, Antikes Zaubergerät aus Pergamon 23. Eitrem, SOsl. 21, 1941, 46.
428 Der Hekatepriester Menophilos in Lagina, der mit dem Priesteramt für Helios und
Rhodos betraut wurde (o. S. 41 f. m. Anm. 187), besagt dafür nichts: Die Kulte von
Rhodos mit denen von Lagina zu verbinden, war eine Tat der Rhodier, als Lagina
unter ihre Herrschaft geriet. Deshalb könnte man auf keinen Fall etwa aus den
Münzen von Stratonikeia, auf denen Hekate den Halbmond hat (o. S. 51), schlie-
ßen, daß sie wegen ihrer Mondnatur Helios im gemeinsamen Kult verbunden war.
Die Grabstele des Gaios in Istanbul, wo über dem Reliefstreifen mit Men, der drei-
leibigen Hekate und dem Mann (Gott oder Priester?) mit der Doppelaxt die Büste
des Helios sitzt (s. Anhang I, Phrygien Nr. 4), ist ein Zeuge des Synkretismus
der späteren Kaiserzeit. Zur Verbindung des Helios mit den Muttergottheiten
K. Schauenburg, Helios 45 ff. (Hekate: 47). Eine mythologische Beziehung versucht
Kerenyi, Eranos-Jahrbuch 10, 1943, 113 über den Namen Perse herzustellen; dies
erscheint mir unsicher.
429 s. Ziegler, ARW.13, 1910, 247. Küster, Schlange 112 ff. Malten, RM. 38/39, 1923/24,
324 Anm. 1. — R. Wünsch, Antikes Zaubergerät aus Pergamon 25 bringt die Schlan-
gen der Hekate mit den Attributen der Erinyen zusammen, Pestalozza, Acme 5,1952,
556 will sie auf die minoische Schlangengöttin zurückführen. Letzteres entbehrt
jedoch der nötigen Stützen.