560
Allgemeine Bemerkungen.
als möglich zu vergeistigen strebte, trat jetzt wiederum ein ge-
wisser E,ealismus, welcher das körperliche Leben in seiner Selb-
ständigkeit durchzubilden bemüht war ; statt der Gemeinsamkeit
des Gefühles, welches die künstlerischen Leistungen erfüllt,
welches mehr das Ganze, und das Einzelne vorzugsweise nur in
seinern Bezuge zum Ganzen berücksichtigt, welches somit die
Formen der Architektur und die der bildenden Kunst als gegen-
seitig bedingte behandelt hatte, ward jetzt ein iiberwiegender
Sinn für das Einzelne in seiner Abgeschlossenheit lebendig.
Diese Vereinzelung der künstlerischen Interessen bereitete aber
der modernen Kunst einen Uebelstand, der sich gleich bei ihrem
Beginne zeigt und der bis auf den heutigen Tag noch keineswegs
gelöst ist, den nämlicli, dass die Wechselwirk'ung der verscliie-
denen Kunstgattungen zerrissen, dass fortan nicht mehr auf die
eigentlich orgänische Gliederung des monumentalen Ganzen hin-
gearbeitet, dass die Architektur oline den innerlichen Bezug auf
die bildende Kunst und diese ohne denselben Bezug aufjene be-
handelt ward. So hat man eigentlich nicht sowohl von einer
modernen Kunst, als eher nur von den Künsten des modernen
Zeitalters zu sprechen. Die Gothik, welche bisher mit ihren
Bau- und Zierformen die Malerei und Sculptur beherbergt und
beherrscht hatte, war schon an sich der Ausgelebtheit nahe und
passte niclit mehr zu der veränderten allgemeinen Sinnesrichtung;
der Kealisnius aber , welcher jetzt die Oberhand bekam, ist
schlechthin geneigt, sich gegen jede Umgebung und Einrahmung
zu isoliren und unabhängig zu erklären. Zugleich jedoch brachte
eine grosse allgemeine, wesentlich von Italien ausgehende Cul-
turströmung: die Verehrung des Alterthums, aucli die an-
tike Architektur wieder empor und diese erschien nun als das
ewig Neutrale und Weltgültige sowolü gegeniiber den beiden
andern Ivünsten, als in ihren besondern Aufgaben. Die Grösse
und Originalität, mit welcher nun die Renaissance die antiken
Formeii handhabt, kann es doch nie vergessen machen , dass
diese zu den architektonischen Massen und Räumlichkeiten, welche
der Geist und die Bedürfnisse der Gegenwart erforderten, zumeist
nur in einem dekorativen Verhältniss standen, und dass die De-
koration, als ein Aeusserliches , nimmer zu einer lebenvollen
Kunst führen kann. Die Architektur nimmt demnach in der
künstlerischen Entwickelung des modernen Zeitalters nur eine
zweite Stellung ein ; das v rorzliglichste Interesse beruht hier auf
den Werken der bildenden Künste.
Was die letzteren anbetrifft, so könnte es zwar ebenfalls
scheinen, als ob auch sie durch jencs realistische Streben und
durch das Studium der Antike auf einer verhältnissmässig nied-
rigen und von der letzteren abhängigen Stufe hätten müssen
festgehalten werden. Dies war jedoch — ob im Einzelnen auch
manche befangene und unselbständige Richtung hervortreten
Allgemeine Bemerkungen.
als möglich zu vergeistigen strebte, trat jetzt wiederum ein ge-
wisser E,ealismus, welcher das körperliche Leben in seiner Selb-
ständigkeit durchzubilden bemüht war ; statt der Gemeinsamkeit
des Gefühles, welches die künstlerischen Leistungen erfüllt,
welches mehr das Ganze, und das Einzelne vorzugsweise nur in
seinern Bezuge zum Ganzen berücksichtigt, welches somit die
Formen der Architektur und die der bildenden Kunst als gegen-
seitig bedingte behandelt hatte, ward jetzt ein iiberwiegender
Sinn für das Einzelne in seiner Abgeschlossenheit lebendig.
Diese Vereinzelung der künstlerischen Interessen bereitete aber
der modernen Kunst einen Uebelstand, der sich gleich bei ihrem
Beginne zeigt und der bis auf den heutigen Tag noch keineswegs
gelöst ist, den nämlicli, dass die Wechselwirk'ung der verscliie-
denen Kunstgattungen zerrissen, dass fortan nicht mehr auf die
eigentlich orgänische Gliederung des monumentalen Ganzen hin-
gearbeitet, dass die Architektur oline den innerlichen Bezug auf
die bildende Kunst und diese ohne denselben Bezug aufjene be-
handelt ward. So hat man eigentlich nicht sowohl von einer
modernen Kunst, als eher nur von den Künsten des modernen
Zeitalters zu sprechen. Die Gothik, welche bisher mit ihren
Bau- und Zierformen die Malerei und Sculptur beherbergt und
beherrscht hatte, war schon an sich der Ausgelebtheit nahe und
passte niclit mehr zu der veränderten allgemeinen Sinnesrichtung;
der Kealisnius aber , welcher jetzt die Oberhand bekam, ist
schlechthin geneigt, sich gegen jede Umgebung und Einrahmung
zu isoliren und unabhängig zu erklären. Zugleich jedoch brachte
eine grosse allgemeine, wesentlich von Italien ausgehende Cul-
turströmung: die Verehrung des Alterthums, aucli die an-
tike Architektur wieder empor und diese erschien nun als das
ewig Neutrale und Weltgültige sowolü gegeniiber den beiden
andern Ivünsten, als in ihren besondern Aufgaben. Die Grösse
und Originalität, mit welcher nun die Renaissance die antiken
Formeii handhabt, kann es doch nie vergessen machen , dass
diese zu den architektonischen Massen und Räumlichkeiten, welche
der Geist und die Bedürfnisse der Gegenwart erforderten, zumeist
nur in einem dekorativen Verhältniss standen, und dass die De-
koration, als ein Aeusserliches , nimmer zu einer lebenvollen
Kunst führen kann. Die Architektur nimmt demnach in der
künstlerischen Entwickelung des modernen Zeitalters nur eine
zweite Stellung ein ; das v rorzliglichste Interesse beruht hier auf
den Werken der bildenden Künste.
Was die letzteren anbetrifft, so könnte es zwar ebenfalls
scheinen, als ob auch sie durch jencs realistische Streben und
durch das Studium der Antike auf einer verhältnissmässig nied-
rigen und von der letzteren abhängigen Stufe hätten müssen
festgehalten werden. Dies war jedoch — ob im Einzelnen auch
manche befangene und unselbständige Richtung hervortreten