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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 80.1930

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Heise, Carl Georg: Handgewebte Teppiche
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https://doi.org/10.11588/diglit.7097#0061
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Tcppich mit Würfe/n, handgefponncnc ungefärbte Wolle
tnfwurf und Ausfuhrung: Alen Müller. Lüheck

Verwirklichung des gleichen Zieles zu gelangen. Die einen
beharren mit einer gewiffen fanatifchenNachdrücklichkeit da-
rauf, daß der Erfindende immer ein freifchaffender Maler fein
müffe - fo fei es immer gewefen, vom Mittelalter bis zu den
höchftentwickelten Leiftungen des niederländifchen 17. und
des franzbfifchen 18. Jahrhunderts - ein Maler allerdings mit
den Möglichkeiten und den Bedingtheiten der Technik durch-
aus vertraut, in felbftlofer Zufammenarbeit mit dem Aus-
führenden verbunden. So entftehen heute z. B. die fchönen
Wandteppiche derLifeGujer nach Entwürfen von E.L.Kirchner,
der gemalte Entwurf verflicht fich den Erforderniffen der We-
berei anzupaffen,der ausgeführte Teppich dient der Verwirk-
lichung der künftlerifdien Idee des Malers mit feinen befon-
deren textilen Ausdrucksmitteln. So entftand durch Max
Sauerlandts Initiative in der Webeklaffe Brinckmann der
Hamburger Kunftgewerbefchule ein großer Gobelin nach ei-
nem Entwurf von Karl Schmidt-Rottluff, wohlder gelungenfte
Verfuch diefer Art.

Mit gleicher Heftigkeit wenden die Anderen ein; wer nicht
felber den Webftuhl zu bedienen verliehe, werde nie Ent-
würfe machen können, die wirklich werkgerecht ausfallen,
mehr noch: weben und erfinden fei ein letztlich untrennbar
einheitlicher künftlerifcher Prozeß, fo wie auch ein Maler
nicht die Entwürfe eines Anderen ausführen könne. Bei diefer
Gruppe ftehen die alten Bildwirkereien nach Entwürfen von
Raffael bis Boucher niedrig im Kurs und das felbfterfundene
einfache, materialgerechte Flächenornament wird höher ge-
wertet als die noch fo gut dem Maler nachempfundene tex-
tile Umfetzung eines fremden Entwurfs. Es fei zugegeben,
daß unferem modernen Empfinden diefes ftrengere Prinzip
ftärker zufagt - doch hüte man fich davor, aus diefer Forde-
rung der Einheit der Perfon von Entwerfendem und Ausfüh-
rendem eine conditio sine qua non zu machen. Die überzeu-
gendften Leiftungen folcher ganz aus dem Material heraus
erfundenen und gearbeiteten Webereien finden wir heute
vielleicht im Deffauer Bauhaus (Gunta Stölzl) und in der
Webeklaffe der Kunftgewerbefdiule in Halle (Benita Koch-
Otte). Ein fcheinbar beweifendes Beifpiel für diefe Theorie
find die in den letzten Jahren auf der Leipziger Meffe viel
beachteten Arbeiten von Alen Müller, eindrucksvoll durch
den fchlichten, aber ftark betonten Materialreiz (alle Nu-
ancen ungefärbter Schafswolle, vom reinen Weiß über helles
Gelb und alle Arten von Braun zu Grau und tiefem Schwarz).
Am heften gelingen ihr die Teppiche nach eigenen, meift geo-
metrifchen Muftern bis zu einem ganz einfach ftilifierten Baum
von fymetrifch ausgewogenem Geäft. Arbeiten derfelbenWe-
berin nachEntwürfen des dekorativ hochbegabten ungarifchen
Malers Boffanyi bleiben trotz größerem Reichtum der Form-
erfindung hinter den vollftändig eigenen Leiftungen zurück,
der Zwiefpalt der Perfönlichkeiten bleibt fpürbar.

Aber es gibt überrafdiende Gegenbeifpiele - meift folche
allerdings, bei denen eine durch viele Jahre hindurch fdion
beftehende, auch örtliche Arbeitsgemeinfchaft diefen natür-
lichen Zwiefpalt hat überwinden laffen: die Bildwirkereien
der Wanda Bibrowicz nach Entwürfen von Max Wislicenus,

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