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Kunst und Handwerk am Oberrhein: Jahrbuch des Badischen Kunstgewerbevereins und des Kunstgewerbevereins Pforzheim — 1.1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.12901#0025
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PFORZHEIMER¥ER<KUNST

Wieder einmal ertönt der Sdirei „Los vom
Ornament" und „Zurück zur Zweckkunß"!

Gibt es für die Gegenwart eine verkehrtere
Einteilung ? Zur Liquidation der Stilnachahmung
und des Naturalismus haftet der Aufrichtung von
Zweckmäpigkeitsfchranken wenigßens ein Sdiein
von Berechtigung an, nämlich, wenn die|e wie
damals vor 15 Jahren mit der Löfung von neuen
Aufgaben und der Anwendung neuer Materialien
begründet werden können. Heute jedoch iß man
fidiallerortsundallerwegeüberdieFehlerderNach-
ahmungszeit klar. Und die neuen Materialien und
Probleme haben längß ihre Anwendung, Berech-
nung und Form gefunden, jeder weip heute (oder
könnte es wijjen), wie eine zweckentfprechende
Seifenpackung, ein einwandfreies Glas, ein prak-
tischer Stuhl oderTi|di, ein Flugzeugmotor, ein ele-
gantes Auto und ein |achlicher Funkturm ausßeht.
Dazu bedarf es wirklich keiner Ausßellungen mehr,
wenn es jidi nicht um rein technijdie Fort|chritte han-
delt. Die Aufgabe |oldier Schaußellungen ißlängß
an gute Ladengejchäfte und Qualitätswarenhäufer
übergegangen. Aber gerade der Ruf „Losvom Or-
nament" offenbart, es handelt fich wieder um einen
Vorpop von intellektuell Eingeteilten auf kunßge-
werblichem Gebiet - auch unter den Künßlern.

Die Frage, welche zur Entjcheidung drängt, iß
doch gar nicht „Zierform" oder „Zweckform"
- denn ein Gegenßand kann mit oder ohne
Ornament fehl echt fein -, es handelt fich allein
darum, ob die Formgebung künßlerifch wert-
voll iß oder nicht. Alle diefe Dinge der fo-
genannten durchgeißigten Form, wie der Ausdruck
lautet, die wir gerne als Zeitausdruck (eben des
techni|chen Zeitalters) an(ehen und als neuzeit-
liche Bedürfniffe befriedigend und lebensgefühl-
(teigernd anerkennen, haben aber mit Kunß

nichts zutun. Fs iß fal|ch, einfadie Geräte
Mafch inen, Motorboote, Flugzeuge,Waffertürme,
Fabrikfdilote, Silos als Kunßleißung auszugeben.

Dies zeigt fdion eine einfache p|ydiologi|die
Erwägung. Die genannten Objekte werden aus
verßandesmäßigem Nadipnnen, dem Intellekt,
entwickelt, während die Kunßleißung aus dein
Gefühl entfpringl. Grund|ätzlidi verfdiiedene
Urjprungstheorien liegen vor. Nidit um die Ver-
wirklichung des Anjdiauungsbildes handelt es fidi
bei ihnen zunädlß, |ondern um möglidi|t gute
Berechnung von materiali(ti|dien Organismen,
die ganz bejtimmten Zwecken dienen.

Die |eeli|die Grundlage als urfdiöpferi|die Be-
dingnis fehlt und tritt höchßens dann und wann
bei der Zufammenfa|fung joldier beredmender
Gedankengänge in Eijdieinung.

Nidit nur die Werke der Kun(t, audi jene der
^/erkkunfr erheben An|prudi auf Dauerwerte,
während die Dokumente diejes modernen Zeit-
ßilesvon Anfang ein den Keim ihres kommenden
Unwertes in (idi tragen. Eine vorübergehende
Zweckbeßimmung rief fie auf den Plan. Wirtfdiaft
und Verkehr beßimmen ihr Werden, ihr Wefen
und ihren Untergang. Wie viele diefer urfprüng-
als _,,Kunßleißungen" gepriefenen, doch rein
techni|chen Arbeiten pnd im Verlauf der Jahre
- nidit |elten vom Künßler |elbß - umgeändert,
ja vernichtet worden - weil fie veraltet waren!

Fiel jemals ein Gegenßand guter Handwerks-
kunß diefem Sdiickjal anheim, audi wenn Jahr-
hunderte über ihn hinweggegangen waren ? Sind
uns die|e Kleinodien hißorifchen Handwerks nicht
vielmehr in der Gegenwart be|onders ans Herz
gewachfen?

Ein neues Regiment des nur kon|truktiven
Geißes entjpricht auch keineswegs dem Werden

XVll
 
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