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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 29.1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.6188#0038

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55

Literatur

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einen engeren Zeitraum als den eines Jahrhunderts zu be-
stimmen. Ein moderner Kunsthistoriker, der zwischen
futuristischen Malerschulen aufwächst, könnte keine inter-
essantere Forschungsmaterie finden als die Glanzzeit der
persischen Miniaturenmalerei — aber freilich, auch die Kunst-
geschichte geht nach Brot und auch sie ist auf das akade-
mische Prokrustesbett gespannt, wo alle Materien skalen-
mäßig gewertet und staatlich gestempelt sind. Und da
stehen Traktate etwa über Lokalschulen deutscher Bild-
hauerei weit höher in der Wertung und werden besser
belohnt als außereuropäische Kunstforschung. Solange für
islamische, indische und chinesische Kunst keine Lehr-
kanzel an einer deutschen Universität errichtet wird, wird
einer der wichtigsten Bausteine für eine künftige geistige
Weltstellung Deutschlands fehlen.

So kommt es, daß die Beschäftigung mit der islamischen
Miniaturenmalerei bisher den Sammlern überlassen war.
Die Münchener Ausstellung 1910 von Meisterwerken
mohammedanischer Kunst scheint den beiden Sammlern
Martin und Schulz den entscheidenden Anstoß zur Aus-
arbeitung ihrer längst geplanten zusammenfassenden Dar-
stellung der islamischen Buchmalerei gegeben zu haben.
F. R. Martins The miniature painting and painters of
Persia, India and Turkey erschien bereits 1912 (2 Bände,
London, B. Quaritch) und Ph. Walter Schulz' Die persisch-
islamische Miniaturenmalerei1914 (2 Bände, Leipzig, Hierse-
mann). Martins Werk ist in erster Linie bewundernswert
wegen seines geradezu unübertrefflich schönen Tafelbandes,
in dem auf zweihunderteinundsiebzig Büttenpapiertafeln
eine Fülle von tonig meist ausgezeichneten Reproduktionen
sich entfaltet. Nimmt man dazu die zweihundert Tafeln
des Schulz'schen Werkes, deren technische Herstellung
auch viel Lob verdienen und die viel neues Material
bringen, so ist durch diese beiden Bände jede künftige
Arbeit auf einem so reichlichen, ja erschöpfenden An-
schauungsmaterial basiert, wie es nicht allen Zweigen der
europäischen Kunstgeschichte in so handlicher Zusammen-
fassung zur Verfügung steht. Ganz besonders die euro-
päische Schwesterkunst der Buchmalerei entbehrt einer
derartigen reich dotierten Gesamtdarstellung, die imstande
wäre, weiteren Fachkreisen eine mühelosere Erkenntnis der
Gesamtentwicklung zu vermitteln, vollständig.

Die textlichen Abhandlungen der beiden Werke sind
sehr verschieden. Martin gibt auf etwa hundert Seiten
eine angenehm lesbare übersichtliche Darstellung der ara-
bischen, persischen, türkischen und indischen Malschulen,
freilich reich an vorläufig unbeweisbaren Behauptungen
und oft zu Widerspruch herausfordernd, doch voll Fein-
heiten in der Wertung der einzelnen Werke und anregend
durch Vergleiche mit europäischen. Weniger angenehm
zu lesen ist der zweihundert Seiten starke Textband von
Schulz. Der Leser wird durch die zahllosen in den Text
verwobenen Literaturvermerke gestört und die vielen Zitate
aus anderen Autoren bringen das Buch um den Reiz der
Persönlichkeit. Es mangelt die abgerundete Gestaltung
des in jahrelanger mühevoller Arbeit gesammelten Mate-
riales. Viel Wissen, aber noch nicht Wissenschaft. Frei-
lich deckt sich der Verfasser im Vorwort durch seine be-
scheidene Einführung des Werkes als »Beitrag« und seiner
Person als »Handlanger, der Bausteine zum Neubau her-
beischafft«, die »ein Baumeister später beurteilen und dann
seine Wahl treffen möge«, gegen jede strenge Kritik. Seine
Leistung ist jedoch trotz des Einwurfes eine höchst achtens-
werte, befreiend vor allem durch die richtige Erkenntnis
des interasiatischen Charakters dieser Kunst, durch die Be-
tonung des schon früh einsetzenden durchdringenden Ein-
flusses des buddhistischen Kulturkreises im Gegensatz zum

bisher zu stark betonten hellenistisch-byzantinischen und
durch die wiederholten Hinweise auf die entscheidende
Rolle, welche die Türkvölker und Chinesen beim Entstehen
dieser Mischkunst gespielt haben. Auf Detailkritik muß
hier verzichtet werden. Sie würde uns in ein Labyrinth
von Einzelfragen führen. Was beiden Werken völlig fehlt,
ist die eigentlich kunstgeschichtliche Analyse und Ge-
staltung, die eben nur von einem geschulten Kunsthistoriker
einmal wird geleistet werden können. Dazu genügt das
nunmehr vorliegende Bildermaterial vollständig. Gerade
für diese kunstwissenschaftlich einzig wichtige ästhetisch-
systematische Betrachtung eignet sich die islamische Buch-
malerei durch ihre Anonymität, die ihr trotz zahlreicher
Künstlernamen kraft der Eigenart jeder orientalischen Kunst
innewohnt, ganz besonders. Die Unkenntnis der persön-
lichen Umstände, Beziehungen und gegenseitigen Be-
einflussungen der Künstler zwingt hier den Forscher, eine
Kunstentwicklung bis auf ihre Höhe und in historisch sonst
gut belegte Zeit herab nach außerpersönlichen Gesetzen
aus der Landschaft, Rasse und den Geist der beteiligten
Völker und Kulturen zu erklären. Formal erscheint die
persische Buchmalerei schier unerschöpflich und gehört
darin zu den hervorragendsten Leistungen menschlicher
Kultur überhaupt. Freilich ist ihre Bedeutung mit der
Form erschöpft und sie unterliegt aus diesem Grunde im
Vergleich mit der chinesischen Malerei, die, getragen von
der Philosophie des Ostens, bis zur Darstellung der reli-
giösen Beziehungen des Menschen zur Natur und damit
zur Gestaltung schlichtesten aber auch tiefsten Menschen-
tums vorgedrungen ist. Davon weiß die persische Malerei
nichts. Die Wohnstätten des Volkes stellt sie nicht dar
und sein Seelenleben beachtet sie nicht. Sie blieb stets
aristokratisch exklusiv und hat die Mauern der Palast-
gärten höchstens durchbrochen, um die Fürsten auf die
Jagdgefilde zu führen. Ernst Diez

Curt Glaser, Edvard Münch. Berlin, Bruno Cassirer, 1917.

Nach Meier-Gräfes zu wenig konzisen und zu journa-
listischen Schriften zur modernen Kunst, nach Hausensteins
zu einseitig soziologisch orientierten und häufig zu wenig
wissenschaftlich fundierten Essays und Fritz Burgers zu
verworrenen mit Philosophemen durchsetzten Arbeiten über
neuere und neueste Kunst bedeutet Glasers Munchbuch
eine wahre Wohltat. Überaus klar und ruhig geschrieben,
überall von gereiftem Urteil zeugend wird dieses Buch
dazu beitragen, Münch und seiner Kunst neue Freunde
zu werben, das Verständnis für den genialen nordischen
Meister in weiten Kreisen zu wecken und zu erhöhen.
Es berührt höchst sympathisch, keine überschwenglichen
Apostelrufe zu vernehmen. Glaser weiß, daß Münch keiner
lärmenden Propaganda bedarf, und so fühlt sich der Ver-
fasser angesichts dieser grandiosen Kunst nur als Diener
am Wort. Ein abschließendes Urteil über Münch ist ja
heute noch unmöglich und ein Buch über einen lebenden
Meister immer ein heikles Ding. Mit Glück hat aber Glaser
für ein solches Buch die rechte Weise gefunden und gibt
mit einer Einführung in die Kunst Münchs unauffällig eine
Einführung in die Probleme der modernen Kunst über-
haupt. Die Bekenntnisse des Verfassers über Kunst und
Künstler im allgemeinen verleihen dem Buch eine besondere
Wärme und machen es über den Rahmen einer Munch-
biographie hinaus wertvoll. Besonders gelungen scheinen
mir die Kapitel »Das Schicksal des Künstlers« und »Persön-
lichkeit und Entwicklung«. Dagegen fällt es auf, daß gerade
ein so feiner Kenner moderner Graphik wie Glaser für die
graphischen Arbeiten Münchs weit weniger treffende Worte
gefunden hat als für das malerische Werk. Aug. L. Mayer.

Inhalt: Kunstakademien und Kunstgewerbeschulen. Von Paul Schumann. — Wilhelm Oiesecke f, Maxime Collignon t- — Personalien. _

Schließung der Kunstausstellung im Olaspalast zu München. — Ein Jahr Kestner-Gesellschaft. — Neue Literatur zur Geschichte der
islamischen Miniaturenmalerei. Curt Olaser, Edvard Münch.

Verantwortliche Redaktion: Gustav Kirstein. Verlag von E.A.Seemann, Leipzig, Hospitalstraße IIa
Druck von Ernst Hedrich Nachf, G.m.b.H., Leipzig
 
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