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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 29.1918

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Ring, Grete: Die Brüder Boisserée als Kenner und Sammler
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https://doi.org/10.11588/diglit.6188#0044

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Die Brüder Boisseree als Kenner und Sammler

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Stil wird in dem kleinen Johannes der Pinakothek,
in dem Frankfurter Altmännerporträt sicher erfaßt;
die Darmstädter Darstellung im Tempel wird ohne
Zögern dem »Meister des Kölner Dombildes« gegeben.
Und wie eine Erleuchtung kommt es Sulpiz nach
der niederländischen Reise des Jahres 1841 (Lüttich,
6. September): »meine Überzeugung ist nun, daß
unser großer Eyck (der Columbaaltar) von Roger van
Brügge ist. . ., daß also die Bilder von Benucci (Kopie
nach Rogers Johannesalter im Städel, Frankfurt) und
von Nieuwenhuys (Johannes- und Marienaltar, jetzt
im Kaiser-Friedrich-Museum), die Grablegung von
Keverberg, jetzt im Haag im Museum, alle von Roger
sind . . .« Neben solchen Inkunabeln der Attributio-
nistik finden sich Klarlegungen kunstgeschichtlicher
Zusammenhänge. Für Sulpiz' Lehrer Friedrich Schlegel,
der in der Europa kühn die allgemeinsten Umrißlinien
der Entwicklung der altdeutschen Kunst von Eyck
über Dürer zu Holbein zieht, war das Kölner Dom-
bild noch eine späte Arbeit »aus der Zeit des voll-
endeten Stils« gewesen (Europa II 137), die Folge der
Lyversberger Passion schien ihm in ungleich ältere
Zeiten zu gehören. Sulpiz stellt das Verhältnis richtig
und weist der Passion ihren späten Platz an. Er ist
sich des Einflusses der Niederlande auf die deutsche,
insonderheit kölnische Malerei der zweiten Hälfte
des Quattrocento bewußt und erkennt die Abhängig-
keit von Rogier bei Herlin von Nördlingen, den der
Hofrat Hirt, zu Sulpiz' überheblichem Spott, über
Eyck hinaus zu einem deutschen Raffael hatte er-
nennen wollen. Größere Zusammenhänge werden
dem Forscher klar, er bemerkt bei Erwerbung des
Marktbildes von Bueckelaer, »daß der ganze Teniers
darin liege«, er vergleicht ein kühl gehaltenes Männer-
porträt des Pencz mit Pontormo. Verblüffend er-
scheint manches Qualitätsurteil, so über das Darm-
städter Exemplar der Madonna des Bürgermeisters
Meyer, das Sulpiz »ein Original scheint, das Original
des Dresdner Holbein«; den Augsburger Frauen-
kopf, den die Zeitgenossen als einen Lionardo an-
sehen, zu dem man wallfahrten müsse, entlarvt S.
als »ein abscheulich leichenhaftes, kaltes, manieriertes
Bild . . ., welches sogleich an die Niederländer er-
innert, die das italienische Helldunkel nachzuahmen
gesucht« (31. Januar 1842). Die Liste der erstaun-
lichen Bemerkungen läßt sich beliebig verlängern,
selbstverständlich ist es ebenso möglich, eine Reihe
von Irrtümern und Fehlschlüssen aufzudecken, wobei
es nur natürlich scheint, daß die zu strengen Urteile
im wesentlichen fremdem, die zu günstigen dem
eigenen Besitz gelten. Die Boisseree sind und bleiben
in erster Linie Sammler und alle Gelehrsamkeit muß
ihnen letzten Endes dazu dienen, das zum Sammeln
erforderliche Rüstzeug zu schaffen.

Die Brüder mit dem unzertrennlichen Freunde
Bertram bedeuteten ihrer Zeit einen neuen Sammler-
typ, indem sie sich über die Kuriositätenliebhaberei
der vergangenen Epoche, die noch nach der Kunst-
kammer schmeckte, zielbewußt erheben. Ausgangspunkt
ist ihnen das altdeutsche Ideal der Romantik, doch ist
«s lehrreich, das Fortschreiten von den Ergüssen

schwärmerischer Bewunderung, die den Gefolgsleuten
Friedrich Schlegels in der Jugend natürlich waren, zu der
ruhig sachlichen, beinahe nüchternen Betrachtung der
Kenner und Sammler zu verfolgen. Das Sammeln ist
den Söhnen eines alten Kaufmannsgeschlechts nicht nur
Freude, sondern ernster Beruf und Geschäft. F.-R.
gibt Gelegenheit, die Sammeltätigkeit des Kölner
Trios von den Anfängen zu verfolgen und ihre Er-
scheinung im Zusammenhang des zeitgenössischen
Sammelwesens zu erfassen. Da tritt der abenteuerliche
Baron Hübsch auf, noch einer früheren Generation
zugehörig, es erscheint inmitten seines chaotischen
Haufens wenig gepflegter Reste der greise Kanoni-
kus Wallraf, daneben der gewählt sammelnde
Pick, ständig um schickliche Umgebung für seine
Schätze bemüht, weiter der behäbige Fochem,
die Lieversberg und Bettendorf, in Oberdeutschland
die Wallerstein und Rechberg. Mit allen diesen
standen die Boisseree in Beziehung, in geistigem und
Bilderaustausch, doch gaben sie sich stets als die
Anreger, deren Rat und Hilfe von allenthalben ein-
geholt werden muß. Die Tauschgeschäfte, die die
Boisseree mit den übrigen Sammlern treffen, fallen
meist stark zu ihren Gunsten aus, nur wo sie der
Versuchung erliegen, Fremdartiges, Neues zu erwerben,
geraten sie in Nachteil und tauschen einmal Lochner
gegen Strigl, den Marieniebenmeister gegen die harte
Sintflut »van Manders« ein. Vor allem kommt es vor,
daß das auf Kölner Kunst eingestellte Urteil vor ober-
deutschen Denkmalen versagt. So läßt sich Sulpiz
das Original des Holzschuhers entgehen und ersteht
dafür den maßlos überschätzten Pelleraltar.

Das, was den Boisseree stets den Vorteil vor der
Gesamtheit der mitstrebenden Sammler gab, war
neben der überlegenen wissenschaftlichen Schulung
ihre gesellschaftliche Gewandtheit, die sie ihre Kollek-
tion aufs vorteilhafteste in Szene setzen ließ. Die
Ausstellungen der Bilder in Heidelberg und Stuttgart
wurden zu gesellschaftlichen Ereignissen erster Ord-
nung gestaltet: Kaiser und Könige, Gelehrte, Adel
und Künstler von Rang versammeln sich zu dem
durch Kommentierung geschickt belebten Anschauungs-
unterricht. Kein Kunstmittel wird verschmäht, um
die Wirkung der Bilder zu steigern, und es kann
nicht ausbleiben, daß das, was einst echte Begeiste-
rung gewesen ist, am Ende zur Routine erstarrt. Die
Künste des Scheinwerfers müssen spielen, um die
Bilder ins rechte Licht zu setzen, und wo in
Heidelberg noch Bertrams alter Bibermantel her-
gehalten hatte, das Licht abzublenden, ist in Stutt-
gart schon eine stimmungsvolle Abblendeeinrichtung
bereitet. Ein hübsches Bild aus der späteren Zeit
zeigt das Trio in seinem gemeinsamen Wirken: »Mel-
chior wird noch immer die Bilder schleppen, Bert-
ram den commentarius perpetuus in süßen Zucker-
worten machen und Sulpiz in der Stube bei den
Aposteln sitzen und den Bildern die Nativität stellen.«
(Görres an S. B., April 1818.) Eigentlicher Kritik
sind die Boisseree selten begegnet; sie stehen durchweg
erfolgreich da als »verzogene Kinder, denen alles die
Cour macht« (Rauch an Schinkel). Unter den Lobes-
 
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