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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 29.1918

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Heise, Carl Georg: Ausstellung von Werken neuerer Kunst aus Hamburger Privatbesitz
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https://doi.org/10.11588/diglit.6188#0048

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Ausstellung von Werken neuerer

Kunst aus Hamburger Privatbesitz

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Bilder, ist selbständiger und innerlicher, obgleich auch
seine Malweise ohne Frankreichs große Vorbilder
undenkbar ist. Deutscher wirken, obgleich auch rein
impressionistisch gerichtet, Beckmann und Rösler,
da in ihnen schon eine durch Liebermann geschaffene
Berliner Tradition lebendig zu wirken beginnt.

Weit bedeutender stellt sich die Gruppe derer dar,
die ihre Mitkämpfer und Führer in verwandten ger-
manischen Ländern haben, die Münch und Hodler zu
den ihren zählen. Die Anschauung lehrt es, daß
etwa zu Nolde von Münch aus leichter ein Weg zu
finden ist als von Cezanne, zu Schmidt-Rottluff leichter
von Hodler als von Picasso. Hodler ist mit einer
monumentalen, leicht plakathaften Studie zur »Nacht«,
einem Selbstbildnis, einer Landschaft und zwei rhyth-
mischen Einzelfiguren gut, aber nicht ungewöhnlich
vertreten, von Münch dagegen sind Bilder ausgestellt,
die zu den besten gehören, die er geschaffen hat:
eine Schneelandschaft mit klaren, kraftvollen Linien;
eine leicht dekorativ gehaltene Darstellung hell ge-
kleideter Mädchengestalten am Meeresstrand, zart in
Farbe und Ausdruck, doch ohne Weichlichkeit; eine
nackte Jünglingsfigur von hinreißender Frische in
knappem, drastischem Vortrag. Daneben zeigen zwei
der selteneren Frühbilder seine Herkunft von im-
pressionistischem Handwerk und genrehafter Auffas-
sung. Dann folgen die stärksten Begabungen des
jungen Nachwuchses mit zum mindesten je einem
charakteristischen Werk. Voran Kokoschka mit einer
großen, an den Rändern chaotischen Komposition,
die sich jedoch im Zentrum erschütternd zusammen-
ballt zu einem Menschenpaar: die männliche Ge-
stalt, wie unter dem Alpdruck beängstigender Ge-
sichte vorwärts starrend in die Nacht, die Frau in
sanftem Schlummer neben ihm ruhend, »ganz ein-
gebettet in Frieden«. Von Franz Marc wird ein
Pferdebild gezeigt aus der Zeit des Übergangs zum
aufgelösten Stil. Trotz der kühnen, fast ornamental
geordneten Überschneidungen der dichtgedrängten
Tierleiber leidet die Charakteristik der Pferde nicht,
die bei knapper Formensprache und völlig unnatura-
listischer, heiterer Farbigkeit eindringlich und über-
zeugend bleibt. Sehr zu begrüßen ist es, daß end-
lich auch in Hamburg die lange verkannte Worps-
weder Malerin Paula Modersohn-Becker die
verdiente Würdigung gefunden hat. Neben einigen
nicht sehr belangreichen Skizzen hängt eines ihrer
reifsten Bilder der Spätzeit, wohl 1907 in ihrem
letzten Lebensjahr gemalt und nicht ganz voll-
endet: eine Mutter, die ihr Kind säugt, auf weißem
Rund hingekniet vor dunklen Pflanzen und tief-
grünem Himmel. Die Komposition ist von einer
erschütternden naiven Größe und erhebt sich weit
über das zufällige Naturvorbild zu symbolischer Ge-
walt. Für die besonders farbig sehr fein abgestimmte
dekorative Haltung mag Gauguin das Vorbild gewesen
sein, aber die deutsche Künstlerin ist erdhafter, kräf-
tiger und ernster. Gut vertreten sind ferner u. a.
Rohlfs, Kanoldt und Jawlensky.

Ein wichtiger Sonderraum enthält Werke der
Maler, die ehemals der Dresdener Künstlergruppe

»Brücke« angehörten und die noch heute charak-
teristische Gemeinsamkeiten aufweisen. Vielleicht sind
sie die selbständigsten, im besten Sinne deutschen
Maler der jungen Generation. Pechstein ist mäßig,
und auch Kirchner mit drei frühen, heiteren Land-
schaften nicht hinreichend vertreten. Von Heckel
sind auch vor allem Landschaften zu sehen, ernsthafte,
ansprechende Arbeiten, die aber hinter den reiferen
Werken der Kriegsjahre zurückstehen. Am stärksten
wirkt eine klar gezeichnete Landstraße im Grünen,
überstrahlt von einer Sonne von suggestiver Leucht-
kraft. Die meisten seiner einstigen Weggenossen aber
überragt Schmidt-Rottluff, dessen Bilderund Zeich-
nungen drei Wände füllen. Es ist ein entschiedenes
Verdienst der Hamburger Sammler, daß sie seine herbe,
scharfsinnige Kunst mit besonderer Liebe gepflegt haben.
Es heißt seine Bedeutung gründlich mißverstehen, wenn
man in seinen Werken, wie das nicht selten geschieht,
nur oberflächliche dekorative Werte erkennen will.
Auch er hat sich langsam herausgerungen aus im-
pressionistischen Anfängen — zwei schöne Land-
schaftsbilder und eine Zeichnung der frühen Zeit
bezeugen es — und ist dann zu straffer Formung
und schlichtem, gesättigtem Ausdruck mit einer un-
erbittlichen Konsequenz aufgestiegen, die selbst denen
Achtung abzwingt, die bis auf die letzte Höhe nicht
zu folgen vermögen. Am unmittelbarsten sprechen
die Landschaften. Hier läßt sich der Beschauer am
leichtesten leiten, nur den stark herausgearbeiteten
wesentlichen Eindruck aufzunehmen und die gestei-
gerte Form als gesteigertes Leben zu genießen. Aus
einer Alpenlandschaft spricht überwältigend die Hoheit
des Gebirges, nur Hodlers starken Prägungen ver-
gleichbar. Aber auch der suggestiven Gewalt der
aufs äußerste vereinfachten, aber ausdrucksstarken Fi-
gurenbilder wird man sich bei eingehender Betrach-
tung nicht verschließen können. Form und Farbe
werden zu zwingender Einheit. Damit soll nicht
geleugnet werden, daß diese geradlinige Entwicklung
eine Gefahr in sich schließt: festzulaufen in formel-
hafter Verarmung. Die theoretische Einsicht, die
immer bei ihm der schöpferischen Gestaltung voraus-
zueilen scheint, erfindet eine kühne, aber erzwungene
Kurzschrift, für deren überzeugende Belebung, so
könnte man fürchten, die ausführende Hand nicht
immer wird ausreichen können.

Gerade umgekehrt ist der Schaffensprozeß bei
Nolde. Auch er gibt sich in ernsthafter Selbst-
kritik Rechenschaft über Art und Grenzen seiner
Kunst. Aber im Augenblick der Gestaltung selbst ist
sein Intellekt ausgeschaltet. Er wird beherrscht von
der Gewalt seiner Visionen. Er ist ihnen ausgeliefert
fast gegen seinen Willen. Immer wieder triumphiert
über alle vorgesetzte Stilrichtung die ungestüme Kraft
seines natürlichen Künstlertums. Das Vulkanische, Un-
berechenbare seiner Produktion kann aber nur dem
roh und verletzend erscheinen, der in die Tiefe seiner
Empfindungen nicht mit hinabzusteigen versteht, der
nicht fühlt, wie neben männlicher Kraft, fein abge-
stuft, auch zarteste Wallungen ihren künstlerischen
Ausdruck finden. Der Nolde-Saal ist der eindrucks-
 
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