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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 29.1918

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Bötticher, Georg: Hat Schadow Goethes Gesicht abgegossen?
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https://doi.org/10.11588/diglit.6188#0060

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99

Hat Schadow Goethes

Gesicht abgegossen?

100

Der hier von mir unterstrichene Satz ist die ein-
zige Stelle, auf die Zarncke seine Behauptung: Schadow
habe Goethes Gesicht abgegossen, gründet. So all-
gemein und ungenau sie gehalten ist, würde sie doch,
obgleich Goethes Tagebuch nichts von solcher Ab-
formung weiß, Beachtung verdienen, wenn eben
Schadow als Berichterstatter zuverlässiger wäre, vor
allem aber, wenn — und jetzt kommen wir zum
Hauptpunkt in dieser Sache — ein wichtiger und aus-
schlaggebender Umstand nicht dagegen spräche.

Um diesen klar darzulegen, muß einiges voraus-
geschickt werden.

Bekanntlich hat Weisser zweierlei Masken von
Goethes Gesicht angefertigt, die beide in den Handel
gelangt sind. Eine — die eigentliche Abgußform —
mit geschlossenen Augen und das Haar bedeckender
Kopfbinde, und eine zweite mit hinzumodelliertem
Haar, Ohren und geöffneten Augen.

Von Schadows Maske dagegen existiert nur eine
Form: die bronzene und die gipsernen Masken zeigen
gleicherweise die Kopfbinde und die geöffneten Augen
(wenn auch in anderer Weise geöffnet wie auf der
Weisserschen Maske).

Schon dem Leipziger Psychiater Möbius waren
Bedenken aufgestiegen, daß Goethe sich zweimal
der lästigen Operation des Abformens unterzogen haben
sollte. Er stellt darüber und über die verschiedenen
Masken allerlei Betrachtungen an (Ausgewählte Werke
von P.J.Möbius. Leipzig 1903, Band III. Goethe
II. Teil) kommt aber nicht zur Klarheit darüber. Un-
genügende Kenntnis des Materials und Unvertrautheit
mit dem technischen Vorgange des Abgießens ver-
hinderten ihn, für sich selbst und andere Licht in
dies Chaos zu bringen.

Was Möbius nicht geglückt ist, hat der Bildhauer
Seffner in Leipzig, einer der bedeutendsten Porträt-
bildner Deutschlands, neuerdings erreicht. Dieser ist
seit längerem damit beschäftigt, auf Grund des
Weisserschen ersten Abgusses — also des einzigen
Materials, das die Züge des Dichters ganz getreu
aufbewahrt — eine Büste anzufertigen, von der er
absichtlich alles Stilisieren, alles Verschönern und
überhaupt Verändern in den durch Weisser fest-
gehaltenen Zügen fernhalten will. Ganz im Sinne
Goethes selbst, der, da Boisseree eine Büste von ihm
wünscht, den Weisserschen Abguß als »wohlgeraten«
und »in den Formen ganz genau« als Grundlage
dazu empfiehlt. Wohl hat ja schon Rauch diese
Maske für seine Büste Goethes benützt, aber, bei aller
Hochstellung derselben über alle Goethebüsten, ist
doch eine gewisse Stilisierung derselben, beispiels-
weise durch hervorgehobenes Kinn, nicht zu ver-
kennen. Seffner war bei seiner Arbeit an der Goethe-
büste, bei Vergleichung der Weisserschen ersten Maske
mit der sogenannten Schadowschen schon immer die
völlige Geichheit beider aufgefallen, die sich aufs
kleinste Gesichtsfältchen, wie auch auf jedes Fältchen
der das Haar deckenden Kopfbinde erstreckt. Muß
es nicht ganz unmöglich erscheinen, daß ein Gesicht
innerhalb neun Jahren auch im geringsten Detail keiner-
lei Veränderung erlitten haben sollte? Und ist es

denkbar, daß eine Kopfbinde von Schadow genau
bis auf den Millimeter an der gleichen Stelle und in
den völlig gleichen Falten wie auf der Weisserschen
Maske gelegt werden konnte?

Vielmal wiederholte, höchst gewissenhafte Ver-
gleiche beider Masken, die Seffner auch unter Her-
beiziehung kunstverständiger Freunde anstellte, brach-
ten ihn und alle, die diesen Vergleichen beiwohnten,
zu der unumstößlich festen Überzeugung: Hier liegt
ein und dieselbe Maske vor, und Schadow hat
lediglich die Abgußform Weissers von neuem
abgießen lassen.

Seine Angabe: »Sein Gesicht wurde auch in
diesen Tagen abgeformt«, ist natürlich keineswegs
eine beabsichtigte Täuschung, er hat sich nur — wie
ihm das sehr oft passiert — ungeschickt ausgedrückt
und sagen wollen: »Seine Gesichtsmaske wurde
auch in diesen Tagen abgeformt«. Nach diesem Neu-
abguß wird er die Augen geöffnet und ein Exem-
plar davon in Bronze haben gießen lassen; seine An-
gabe ist auch darin unklar und ungenau, er vermengt
Weimarer mit Berliner Tätigkeit, denn der Bronze-
guß hat zweifellos erst in Berlin stattgefunden.

Wir haben aber noch ein indirektes Zeugnis von
Goethe selbst dafür, daß er sich nur einmal, eben
durch Weisser, das Gesicht hat abformen lassen.

Im Jahre 1820 wandte sich Sulpiz Boisseree, im
Auftrag einer Frankfurter Gesellschaft von Goethe-
verehrern, an den Dichter mit der Bitte, Dannecker
einige Sitzungen zur Anfertigung seiner Statue zu
gewähren.

Goethe antwortete ihm hierauf am 27. Februar
1820 (Sulpiz «Boisseree. Stuttgart 1862. Zweiter Band,
Seite 273): »Wegen der Reise unseres trefflichen Dan-
neckers hierher sind mir diese Zeit über Zweifel auf-
gestiegen ... Es sind wohl sechs und mehr Jahre,
daß ich Gall zu Liebe, der bei uns einsprach, meine
Maske abformen ließ, sie ist wohl geraten; Weisser
hat sie nachher aufgesetzt und die Augen geöffnet,
sollte es nicht hinlänglich sein, wenn ich beides hin-
sendete? . . . Die Formen sind hier ganz genau, Geist,
Leben und Liebe muß ja ohnehin der Künstler hinein-
stiften . . .«

Könnte Goethe, der sich so lebhaft der Ab-
formung durch Weisser entsinnt, daß er sie vor »6
und mehr Jahren« — in Wahrheit geschah sie vor
13! — erlebt zu haben glaubt, eine erst vor vier
Jahren stattgefundene — eben die angebliche
durch Schadow — wohl vergessen haben? —
Ganz undenkbar.

Es bleibt dabei: Goethe hat sein Gesicht von
Schadow nicht abformen lassen. Die gegen-
teilige irrige Annahme ist entstanden auf Grund der
unlogischen Ausdrucksweise Schadows in seinem Tage-
buchbericht und der ungenügenden Prüfung dieses
Berichts, sowie der unsorgfältigen Vergleichung der
beiden Masken durch den sonst so gründlichen
Zarncke. Dieser hat wohl eine Empfindung davon
gehabt, daß die beiden Gesichtsmasken, von Weisser
und von Schadow, sich merkwürdig gleichen, »ob-
 
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