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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 29.1918

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Kurth, W.: Ein neuer Tizian und andere Erwerbungen im Kaiser-Friedrich-Museum zu Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.6188#0092

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Ein neuer Tizian und andere Erwerbungi

en im Kaiser-Friedrich-Museum zu Berlin

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eine dritte Erwerbung hinzuzufügen, die gleich jenen
erstgenannten nicht nur den einzelnen Schulen, sondern
der ganzen Galerie neuen Glanz verleiht. Und daß
es diesmal ein Meisterwerk der reifsten Hochrenais-
sance ist, wird gewisse Freunde des Museums mit
besonderer Freude erfüllen. Vor einiger Zeit tauchte
im österreichischen Kunsthandel die große Tafel einer
liegenden Venus mit einem Orgelspieler von Tizian
auf, ähnlichst der bekannten Komposition im Prado zu
Madrid. Und mit Unterstützung von Freunden konnte
das wertvolle Objekt für Berlin gesichert werden. Dem
Madrider Exemplar gegenüber, dem es an malerischen
Qualitäten nichts nachgeben dürfte, besitzt das Ber-
liner Exemplar vornehmlich in der Komposition Vor-
züge, die dem seltsamen Motiv eine größere Unge-
zwungenheit sichern. Der Orgelspieler sitzt hier nicht
wie im Prado (und auch allen bekannten Kopien) auf
dem unteren Rand des Lagers, sondern auf einer kleinen
Orgelbank, die sich unmittelbar dem Lager anschließt.
Das Motiv der Wendung zur Venus hin konnte so-
mit konsequenter durchgeführt werden, und indem
der Spieler das rechte Bein über den Schemel her-
übergenommen hat, so daß er rittlings sitzt, gewinnt
der Ausdruck des Moments in der Bewegung an
Lebhaftigkeit und Freiheit, die dem Prado - Spieler
fehlen. Dieselbe jugendliche Frische umfängt auch
den Kopf. Den fast zürnenden Ausdruck des Spielers
im Prado (durch die Störung des Hundes) beschwichtigt
hier ein leises Erstaunen über den Anblick der Schön-
heit: »so lockt und winkt das himmlisch süße Bild,
es nützt kein Schleier da und auch kein Schild«
(Ariost). In den fast rundlichen Formen des Kopfes
mit den rötlichblonden, kurzen Locken, der kleinen
leicht gestupsten Nase mit der kurzen Unterlippe und
den vollen blühenden Lippen wird man nicht leicht
Zeichen der habsburgischen Physiognomie abweisen
können. Jedenfalls will sich nicht eine entfernte
Ähnlichkeit mit Philipp verflüchtigen, wie auch trotz
aller sachlichen Einwände im Prado - Spieler Ottavio
Farnese man nicht vergessen kann. Das Kolorit
dieser Gestalt ist von jener souveränen Großartigkeit,
welche die sich annähernden Lokaltöne des Anzugs von
goldgelb in den Beinkleidern, kastanienbraun im Wams
und rostbraun in den türkischen Seidenärmeln in
Harmonie von dunklem Gold übergehen läßt und
durch den Gegensatz der kalten, weißgrauen Orgel-
pfeifen seine Mittel vereinfacht. Gerade in diesem
Kostüm gibt es Stücke, in denen man den sich dre-
henden oder flachgehaltenen, den butternden oder
trocken reißenden Pinsel Tizians in seiner ganzen
Trunkenheit bewundern kann. Schon allein die rote
Sammetscheide des kleinen Dolches im schwachen
Dunkel, wie eine verhaltene Glut unter der Asche,
hat den Zauber der Palette und Handschrift des alten
Tizian. Die Landschaft, die das Farbenmotiv weiter
führt in gold und grau, bringt nicht nur in ihrer
köstlichen Frische, es ist die Stimmung eines soeben
abgezogenen Gewitters, sondern auch in ihrer klaren
und ruhig gelegten Raumweite Werte, die der Prado-
komposition fehlen. Hierin steht das Berliner Exem-
plar näher der zweiten Venus in den Uffizien (Tribuna);

es sind dieselben voralpinen Berge, im Berliner Exem-
plar mit einem Bergschloß, zu dem eine Karosse im
munteren Trabe bergan fährt. Mehr mit der Uffizien-
Venus muß auch die Gestalt der liegenden Venus
selbst verglichen werden. Es ist derselbe schwere,
etwas pralle Körper, gegenüber den feineren, weicheren
Formen der Prado-Venus und folgt der Bewegung
in jedem Motiv, auch im Lavinia-Kopfiypus. Eben-
so behält das Berliner Exemplar den Amor bei, der
über die Schulter von hinten auf Venus einredet,
während, wie Burckhardt schon bemerkte, hier das
Prado - Exemplar wenig glücklich änderte. Auch
wird man die Faltenlage des roten Sammetmantels,
auf dem Venus liegt, und welche wie bei der Uffizien-
Venus der horizontalen Lage des Körpers entgegen-
stößt, lebendiger finden als die parallele Begleitung
der Falten in Madrid. Man möchte sich durch diesen
Vergleich das Berliner Exemplar zwischen dem in
Florenz und Madrid entstanden denken und konnte
das mit Titianus F. signierte Werk gegen 1548 setzen.
Die großen tiefen Akkorde auf dieser rechten Seite,
weißes Linnen, roter Sammet mit grünem Futter, roter
Tuchvorhang, sind die Gegenwerte zu jener Harmonie
von Grau und Gold auf der Spielerseite. Noch aber
muß genannt werden der weiße Pinscher, der aus der
linken Ecke kläffend hervorspringt. Ein kostbares
Stück Malerei; der ganze Mutwillen von Tizians
Pinsel hat hier sein Spiel entfaltet und die Erregt-
heit des Tieres launig umspielt.

Neben dieser Venus haben im Tiziansaal für kurze
Zeit noch andere Neuerwerbungen Platz gefunden.
Von der stillen Andacht von Giottos Marientod und
einigen anderen Erwerbungen war bereits hier die
Rede (vgl. Nr. 3, 1917). Zu den beiden Altarteilen
des venezianischen Trecentisten Lorenzo Veneziano,
den hl. Markus und Johannes den Täufer, die das
Museum seit 1906 besitzt, fügte ein glücklicher Zu-
fall zwei weitere Heilige von demselben Altar, den
hl. Bernard und Hieronymus, Tafeln, die im Klee-
blattbogen abschließen. Die anderen Erwerbungen
gehören dem Norden an. Aus der Sammlung Kauf-
mann stammt die Kreuzigung des Meisters von Hohen-
furth, des Hauptmeisters der ersten böhmischen Schule
(um 1360), welchem nach den Forschungen K. Emsts
auch die berühmte Glatzer Madonna des Kaiser-Fried-
rich-Museums zugewiesen werden muß. Besonders
in dem hellblumigen und zerstreuten Kolorit ergeben
sich Vergleichsmomente. Ein zweites Werk aus der
Sammlung Kaufmann weist mit seiner Formensprache
ebenfalls zu gotischem Stilempfinden zurück; es ist
die kleine Madonna vor der Gartenmauer, die dem
Flemalle-Meister und dem Jacques Daret nahe steht
Das Kolorit, besonders der schöne Klang des Wiesen-
grüns auf der Gartenmauer mit dem tiefen Indigo des
geblümten Vorhangs, gehört jedoch schon ganz der
aufstrebenden Kunst des 15. Jahrhunderts an. Ein
großes Breitbild des Meisters des Aachener Altars mit
der Anbetung der Könige, aus Mainzer Privatbesitz,
führt die Zeremonie in umständlicher Breite vor, um
rhit mehr Vergnügen an den Beigaben zu verweilen
und der Farbe ihre ganzen Skalen zu entlocken.
 
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