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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 29.1918

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Dresdner Brief, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6188#0199

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Dresdner Brief

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Hauptmanns, Max Liebermanns und Paul Wieckes
und einer frei aus dem Serpentinsteinblock gehauenen
schlafenden Frau wohl zur Geltung; nicht minder
Arthur Lange, der neben zwei lebenstreuen Büsten
einer lachenden sitzenden Frau auch eine Plastik für
einen Kriegerfriedhof ausgestellt hat; sowie Rein-
hold Martin Kuntze, dessen Büste Karl Gjellerups
ebenso stark in der Betonung inneren Lebens ist wie
seine Judith temperamentvoll und eigenartig grotesk
eindrucksvoll in der Bewegung, wie sie zum Mord
vorwärts schreitet.

Wie die Künstlervereinigung, hat auch wiederum
die Dresdner Kunstgenossenschaft eine Sommer-
ausstellung veranstaltet und zwar in den Räumen des
akademischen Ausstellungspalastes, die gewöhnlich der
Sächsische Kunstverein inne hat. Wenn man nicht
alle Darbietungen der älteren Generation im voraus
ablehnt, wird man sie als Ergänzung jener ersten
willkommen heißen. Denn erst beide gemeinsam
ergeben einen Überblick über die zahlreichen so
weit auseinandergehenden Bestrebungen, die gegen-
wärtig die deutsche Kunst kennzeichnen. Auch die
Kunstgenossenschaft hat zahlreiche auswärtige Künstler
herangezogen: unter 93 Malern sind nicht weniger als
53 auswärtige; nicht unwesentlich wird das Gepräge
der Ausstellung auch durch den Anteil des weiblichen
Geschlechts bestimmt, denn von den 93 Malern mit
190 Werken sind 23 Frauen mit 45 Werken, und
unter 51 Graphikern ebenfalls 13 weibliche Kräfte,
also ziemlich genau der vierte Teil der Aussteller ist
weiblichen Geschlechts. Daß die Arbeiten der Malerinnen
und Griffelkünstlerinnen der Ausstellung zur Unziprde
gereichen, wird niemand behaupten.

Die große Langwand des Hauptsaales hat man
wieder wie im Vorjahre Hans Unger eingeräumt,
dessen prächtige schmuckreiche Farbenkunst sich in
einem Dutzend von Bildnissen, sonstigen Figurenbildern
und Blumenslücken vor den Beschauern ausbreitet.
Das Hauptwerk ist diesmal das lebensgroße Bildnis
der Baronin T. mit ihren beiden Kindern, das in idealer
Auffassung zum Bilde gesteigert ist: Feierlichkeit und
Anmut reichen einander hier die Hände; und damit
geht die fein gedämpfte Stimmung der vollen Farben
trefflich zusammen. Der »Morgen« und die »Ceres«
— beide in goldgelb — sind weitere bezeichnende
Zeugnisse der in Farbenwohlklang und -pracht schwel-
genden Kunst Hans Ungers, nicht minder die roten und
orangenen Rosen in griechischerVase vor blauem Grunde.

Wesentlich herber — auch etwas ungleich in seinen
Leistungen — ist der tüchtige Robert Hahn, dessen
Kinderbild und Bildnis des Geh. Rats Dr. v. Seidlitz
seinen übrigen Arbeiten vorzuziehen sind. Richard
Müller, dessen Stärke im allgemeinen die Farbe nicht
ist, hat doch mit dem »Roten Herzen« eine auch
farbig erfreuliche Leistung zu verzeichnen: auch der
etwas gesuchte Gegenstand — ein nacktes Mäd-
chen in der Hängematte am Strande, dem ein ver-
liebtes kleines Gürteltier ein rotes Herz überreicht —
ist mit Geschmack und Anmut veranschaulicht. Den
sonstigen barocken Erfindungen des Künstlers, die
sich durch peinlichste Genauigkeit und Sauberkeit der

Zeichnung und Modellierung auszeichnen — etwa das
auf einem riesigen Seefisch reitende Mädchen mit der
Seerose im Munde ausgenommen — steht man mehr
oder minder zweifelnd gegenüber. Eine vorzügliche
Leistung ist sein weibliches Profilbildnis Dora Ronn-
thaler, das nicht zum Nachteil an altitalienische Vor-
bilder erinnert.

Eine Hauptstütze der Genossenschaftsausstellung
ist Freiherr C.#v. Ledebur, der in einer heiteren
Sommerlandschaft, einem Frühlingsabend bei Pillnitz
und einem feintonigen Schreibtisch-Stilleben sein aus-
geglichenes Können besonders bekundet. Unter den
Malerinnen ragt Fides Karny hervor: ihre Stilleben
sowie ihr Selbstbildnis erhalten ihr Gepräge durch
feinen Farbengeschmack, der überhaupt das Wesen
der weiblichen Malerei hier ausmacht und z. B. auch
in den Stilleben und Blumenbildern von Hildegard
Glade, Margarete Winkler und Anna Tittel-
bach oder in den Freilichtbildnissen von Johanna
Zschille von Beschwitz zutage tritt. Max Pietsch-
mann hat wiederum sein reizend an der Elbe ge-
legenes Landhaus benutzt, um uns eine Sommernacht
und einen Abend an der Elbe zu zeigen, die in ver-
schiedener malerischer Auffassung köstliche Sommer-
nachtsstimmung mit genußfrohem Verweilen vor dem
schiffbelebten Strom und dem stillen weiten Elbtal
mit seinen Lichterreihen veranschaulichen. Hildegard
von Machs lebensgroßes weibliches Bildnis, die ober-
bayerische Vorfrühlingslandschaft von Elisabeth
Andrä, die tonschöne, geschickt bildmäßig aufgefaßte
»Schwäbische Landschaft« von Paul Richard Bley,
das sonnige Flußtal im Trentino von Moritz Heidel
sind weitere erfreuliche Zeugnisse ansprechender
Dresdner Kunst, die sich auf bekannten und bewähr-
ten Bahnen bewegt.

Bei der Dresdner Graphik kommen im wesent-
lichen dieselben Personen in Betracht, dazu noch be-
sonders Georg Jahn, der sein bewährtes technisches
Können und seine klare einläßliche Art der Zeichnung
in einer figurenreichen Zeichnung »Hafen von Volen-
dam« und eine Reihe von anmutigen Radierungen —
besonders dem nackten Mädchen am Wasserspiegel
— neu erhärtet.

Reich und ansehnlich vertreten ist die auswärtige
deutsche, besonders die Münchener Kunst: den Ober-
lichtsaal beherrschen die großen monumentalen Akt-
bilder von Fr. Juan-Hof mann: »Don Juans Höllen-
fahrt«, »Vertreibung aus dem Paradiese« und »Morgen-
röte« (eine klassisch schöne große nackte Frau, die
die Erinnerung an Ingres wachruft, ohne dessen Kälte
zu besitzen). In diesen Werken einer zur Phantasie
gerichteten geistvollen Kunst einigen sich feuriges
Temperament und beherrschende Kenntnis des be-
wegten menschlichen Körpers. Verwandter Art, nur
etwas mehr dekorativ sind des verstorbenen Hans
Leskers große Gemälde »Fanatiker« und »Kain und
Abel«. An diese Gruppe großformatiger Bilder
schließt sich Gustav Wiethüchters (Barmen) in
rot, orange und gelb schwelgendes Gemälde »Prin-
zessin und Schweinehirt«. Nennen wir weiter
die eigenartig byzantinisch anmutenden biblischen
 
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