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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 29.1918

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Kurth, W.: Berliner Bildnisse 1848-1918 (Ausstellung der Berliner Sezession)
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https://doi.org/10.11588/diglit.6188#0201

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377

Berliner Bildnisse 1848-1918 (A

usstellung der Berliner Sezession

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Bekanntes wiederholt auftritt. Mit dem Reiz des Neu-
artigen hätte eine Ausstellung Berliner Landschafter
— wenn es nun schon darauf ankam, die unfrei-
willige Lücke im Sommerprogramm wenigstens retro-
spektiv auszufüllen — vielleicht auch noch einen
höheren retrospektiven Wert verbunden. Die Vor-
stellung von der künstlerischen Physiognomie Berlins
ist aber immer noch so unentschieden, daß jeder
Beitrag zur Klärung Beachtung verdient.

Die Ausstellung beginnt mit jener Zeit der fünf-
ziger Jahre, in der die künstlerischen Erkenntnisse der
Stadt sich durch Anregungen Münchens und Düssel-
dorfs ein weiteres Gesichtsfeld steckten und die Trocken-
luft gespannter Geistigkeit dem frischeren Zug eines
etwas verspäteten Biedermeiertums langsam weichen
mußte. Eine Tugend nahm man mit hinüber; man
blieb ohne Phrase. Und dieser Segen jeder anständigen
bürgerlichen Gesinnung ruhte bis in das Ende der
sechziger Jahre auf der Bildniskunst dieser Stadt.
Kein historisches Ideal vergangener Zeiten konnte,
Haltung und Physiognomie bestimmend, Einwirkung
erlangen. So will der beruhigte aber doch sichere
Ausdruck eines Männerkopfes von Ludwig Knaus (1847)
als ein besonderes Merkmal gewertet sein. Denkt man
an die drei Malerbildnisse von Lessing, Sohn und
Hildebrandt von seinem Düsseldorfer Studiengenossen
Hübner (Nat.-Gal., Berlin), so wird im Gegensatz zu
der flatterhaften theatralischen Romantik die berlinische
Note besonders deutlich. Und das Porträt der Frau
Sußmann-Heiborn von Knaus von 1863 hat noch
jene einfache Einstellung, die das Momentane ver-
meidet und durch die gut disziplinierten Kunstmittel
der Komposition und Farbe den Eindruck des Un-
befangenen bewahren hilft. Selbst für das große
Schadowbildnis von Karl Steffeck ist die Einstellung
in das Momentane eher ein Abzug von der Dringlich-
keit der Charakteristik. Wenigstens liegen hier schon
die Keime jener genrehaften Umbildung der Person
in den achtziger Jahren, die selbst einem Knaus später
die flachen Porträts Mommsens und Hoff mann v.
Fallerslebens (Nat.-Gal.) einbrachten. Nur Paul Meyer-
heim hat in dem Porträt der Frau Louise Lehfeldt
die genrehafte Umbildung glücklich durchgeführt, in
dem die leise Komik des Motivs in der ganzen Ge-
stalt der Person begründet erscheint. Von dem be-
kanntesten Bildnismaler der fünfziger und sechziger
Jahrzehnte von Eduard Magnus hat das angebliche
Porträt der Henriette Sonntag in der schweren Haltung
der modellhaften Zeichnung und der flachen glasigen
Farbe mehr die Nachteile der Berliner Malergeneration.
Doch wird selbst die leicht oberflächliche Offenheit
des Ausdrucks immer noch mehr Interesse in Anspruch
nehmen als die Aufmachung des Bildnisses Frau Martha
Wolffs von Magnus (1860), die mit der getragenen
Liebenswürdigkeit des Wiener Winterhalters konkur-
rieren möchte, doch aber nur die kühle Verschönerung
der gesellschaftlichen Erscheinung erreicht. Hier scheint
eine Grenze der Berliner Porträtkunst zu liegen oder
der Berliner Gesellschaft. Auch in der malerischen
Qualität erscheinen plötzlich die koketten Reize weicher
Hintergründe. Überhaupt spielen weiche leicht ver-

blasene Mitteltöne eine große Rolle. Doch überrascht
aus jenen Zeiten der vergessen verstorbene Ferdinand
Schauß mit einer Reihe Porträts, aus der das Bildnis
seines Vaters 1865 und ein koloristisch sehr schön ab-
gestimmtes Damenbildnis 1863 besonders hervorragen.
Von der Seite des Geschmacks hat er die sicherste
Note dieser Zeit, wohl nicht ohne Einfluß Wiens.
Seine Porträts von Liszt und Desire Artot, obwohl
schon siebziger Jahre, bleiben phrasenlos, wenngleich
die koloristischen Interessen bereits anfangen zu ver-
sagen. Der älteren Tradition nahe bleibt noch Oscar
Begas mit dem Doppelbildnis seiner Töchter. Das
puppig Hübsche, mit dem hier aber bereits die Charakte-
ristik bestritten wird, deutet den langsamen Nieder-
gang der älteren Unbefangenheit an. Die neue ge-
sellschaftliche Schicht der Reichshauptstadt präsentiert
jetzt die Dame und alle Verschönerungskünste spielen,
so daß Carl Gussow in einem großen Damenporträt
(Frau H. W.) 1879 weder in Menschenschilderung
noch in künstlerischer Erkenntnis über die rohe-
sten Effekte hinausgekommen ist. Doch das »Maleri-
sche« war für Berlin entdeckt worden und eine
falsche Romantik zieht auch in das Frauenideal ein.
Die lange schwarze Wimper, der weit sich verlierende
Iphigenienblick werden Mode und die Haltung geht
aus der Sachlichkeit in die Pose über. Selbst in dem
guten Stück Malerei, das Gussow in dem Jugend-
bildnis der Else Lehmann mit grauen Tönen ent-
wickelt, ist Blick und Haltung auf Sentimento ein-
gestellt: Neben Makartidealen treten die Noten lässiger
Vornehmheit als Hochrenaissanceideale, wie in dem
Bildnis von Carl Beckers Gattin, auf und suchen in
gewählten Farben Stimmung zu machen. Doch gab
es einige, die sich besannen und dem Zug zum
»Malerischen« in der Pariser Malschule eine sichere
Bahn geben wollten. Karl Koeppings Selbstporträt,
1880 in Paris gemalt, ist eine ganz freie malerische
und doch höchst selbstbewußte Leistung. Inmitten
dieser falschen achtziger Jahre begann Stauffer-Bern
in Berlin als Bildnismaler. Innerhalb seiner maleri-
schen Genossen muß er seine einseitige Zeichenbe-
gabung wie eine Freiheit gefühlt haben. Was er
von malerischen Mitteln beibringt, ist münchnerisch.
Das Bildnis des Herrn Mosse ist ganz im Lenbach-
stil, nur hat die Form ihre eigene Energie.

Der Verfall ging dann rapid. Bereits die Bild-
nisse von Gustav Richter, er selbst und seine Frau
1882 zeigen nicht nur in der Darstellung die ver-
flachende Gleichgültigkeit gegen das Individuelle, son-
dern kennzeichnen auch in der Malerei einen süßlichen
Kolorismus, der nachträglich auf eine trockene Zeich-
nung getuscht wird und nur noch von dem Porträt
des Grafen Harrach erreicht wird.

In den neunziger Jahren wird das Niveau von
der Akademie bestritten. Oft schwindet sogar der
falsche malerische Wurf und es bleibt auch dies nicht
mehr übrig. Hie und da hält sich dieser geschickte
Wurf, wie in Koners Bildnis von Ernst Curtius oder
in Schulte-im-Hofes Porträt von Geh.-R. Friedländer.

Jede Zeit ist gegen die ihr unmittelbar Vorangegan-
gene am ungerechtesten. Aber gegen die künstlerischen
 
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