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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Hrsg.]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 55.1919/​1920 (Oktober-März)

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Nr. 12 (19. Dezember 1919)
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Literatur / Notizen / Kunstmarkt / Versteigerungs-Ergebnisse
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https://doi.org/10.11588/diglit.29588#0285

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J. Meier=Graefes »Cezanne und fein KreiS'

249

wärtig möglicfien Vollendung ifi das Buch
in diefer Beziehung auch wirklich voll»
kommen befchaffen.

Die nähere Bezeichnung der ganzen
Publikation als »Beitrag« zu der <bei
Kriegsausbruch in neuer Auflage ftecken-
gebliebenen) »Entwicklungsgefchichte der
Malerei« des gleidien Verlages, läßt ver-
muten, daß diefe Bilderfülle der eigentliche
Zwedc der Veröffentlichung fei und das
Supplement die dort unvermeidlichen, aber,
für Cezanne doppelt fchmerzlichen Lüdcen
im Anfchauungsmaterial ergänzen foll.
Der Text, der fidi als febftändiger Prolog
zum felbftändigen Schaufpiel der Repro-
duktionen gibt, beftätigt das.

Wer nicht gleich überlegt, daß Cezanne
keine eigentlidie »Schule« gehabt hat, den
mag die nähere Beftimmung des literarifchen
Themas — »Cezanne und fein Kreis« —
zu falfchen Erwartungen führen,- immer»
hin hätte ja die Nachfolge und Aus-
wirkung diefer eminenten künftlerifdicn
Eigenkraft im allgemeineren Sinne auch
einmal zu fdiriftftellerifcher Behandlung
reizen können. Tatfächlich aber foll der
Zufatz die Grenzen des Objekts nidit
ausdehnen, fondern verengen. Wenn ich
aus dem Inhalt des Buches die Meinung
der Überfchrift recht verftanden habe, fo
hat Meier=Graefe den Umfang des Be-
griffes der Cezannekunft beftimmen wollen
und dafür das Bild des Kreifes fo ge-
braucht, wie es häufig von derErkenntnis-
theorie angewandt wird ebenfalls, um die
umfänglichen Grenzen von allgemeinen
Begriffen zu fixieren.

Durdi die Befchränkung, welche der
bloße »Beitrag« auch für den Textver-
faffer bedeutet, fowie durch die befondere
Einftellung auf die Darlegung feiner per-
fönlichen Gefamtanfchauung vom Wefen
diefer befonderen Kunft, macht fich der
Autor ausdrüddidi von allen Anfprüchen
auf biographifdie V ollftändigkeit oder irgend
anderes, als was feine unmittelbaren Inter-
effen angeht, frei.

Cezanne gegenüber ift das vielleidit
gegenwärtig überhaupt der einzige Weg.
Hiftorifdr ift die Kunft diefes Großen des-
halb noch längft nicht abfchließend zu
interpretieren, weil wir immer mehr zu
der Überzeugung gedrängt werden, er fei

als der Begründer eines der Zukunft ge-
hörigen neuen Stilbegriffs anzufehen, und
das hiftorifche Objekt werde deshalb erft zu
faffen fein, wenn deutliche Spuren einer
fruchtbaren Weiterwirkung erkannt und ver-
ftanden werden können. Wenn man an die
Parallele denkt, die einmal zwifchen der
hiftorilchen Bedeutfamkeit Cezannes und
Giottos gezogen wurde — <wie zutreffend
fie ift, fehen wir erft heute recht ein) ~,
fo läßt fich das Problematifche begreifen,.
das jeder Verfuch, Cezanne unter rein
hiftorifchen Afpekt zu bringen, notwendig
haben muß: Giotto konnte erft von der
Warte Masaccios aus in feiner echten hi-
ftorifthen Größe begriffen werden,- das Du»
gentiftifche an feiner Kunft tritt gegen die
Zukunftswerte, die fich zu Beginn des
Quattrocento erfchfießen, vollftändig in
den Hintergrund. Und dennoch hat auch
das Zeitalter Cimabues <wie Dantes eherne
Verfe es bezeugen) Giotto gewürdigt.
Das Dugento aber konnte fchlechterdings
nur feinesgleichen an dem Toskaner er-
kennen/ wie denn auch die Generation,
welche in der Atmofphäre des Impreffio»
nismus groß geworden ift, nur den ImpreC
fioniften Cezanne voll zu würdigen weiß.

Meier = Graefes Anfchauung von die-
fem hat eine merkliche Verfthiebung über
die Grenzen des Impreffionismus hinaus
erfahren. Allein es ift kein Zufall, daß
in dem neu entworfenen Gefamtbilde vom
Kreife Cezannes dennoch, nach wie vor,
alles Intereffe auf die eine Epoche der
fiebziger und achtziger Jahre konzentriert
wird, die im Werdegang Cezannes einen
klaffifdien Höhepunkt des Impreffionis»
mus bedeutet,- daß ferner alle Fakten und
Fakturen feiner Entwiddungsgefthidite hier
zu münden und ihre Begründung zu er-
fahren ftheinen,- und zuletzt, daß der ge-
famte Spätftil <der objektiv fo gut vor-
handen ift wie feine Vorläufer) lediglidi
infolge eines allgemein zu tief angenom»
menen Blickpunktes in Meier = Graefes
Perfpektive, von der Horizontlinie des
20. Jahrhunderts verdedct wird.

Ich bin weit entfernt, das Gefamtbild
Meier = Graefes an einzelnen Stellen
emendieren zu wollen. Dazu bietet lieh
keinerlei Anlaß, denn die Darftellung ift
in fich fo begründet und abgefchloffen wie
 
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