Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Hrsg.]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 55.1919/​1920 (Oktober-März)

DOI Heft:
Nr. 14 (2. Januar 1920)
DOI Artikel:
Grautoff, Otto: Pierre Auguste Renoir
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.29588#0325

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Pierre Auguste Renoir f

287

haben in verfchiedenen Zeiten die ganze Fülle und die ganze Sinnlidtkeit
einer Erfdteinung in ein Bild gelegt. Würde idt diefe Gedanken vor dem
Leferkreis diefer Zeitfdirift noch einmal ausführen, fo würde ich Binfenweis-
heiten wiederholen. Und dennodi! Nidit einmal alle Franzofen fcheinen zu
empfinden, was uns deutfdien Bewunderern Renoirs felbltverltändlich erfdieint.
L. Dimier, einer der durchgebildetlten jüngeren Kunfthiltoriker Frankreichs
und Kunltkritiker der nationaliftifchen Action frangaise, die die Kultur’Frank-
reidts gegen das barbarifdte Deutfchland fdtützen will, endete feinen Renoir-
nekrolog von zwanzig Zeilen mit den Worten: »Les tableaux que depuis
trente ans il executait pour le commerce, dans un coloris rouge et sollicite,
n'ajouteront rien ä sa gloire.« Und im Temps beriditet Paul Souday, daß
Andre Lhote in der neuelten Nummer der Nouvelle revue franqaise gegen
Fantin=Latour, Degas und Renoir Sturm laufe. Einen ähnlidien Artikel hat
Daniel Flalevy im Divan veröffentlicht, der fidi im wefentlichen allerdings gegen
Degas zu riditen fdieint. Er habe den menfdilichen Körper und vor allem den
weiblichen entftellt und zwar Itarke, aber auch widerwärtige Geltalten gefchaffen.
Souday bemerkt dazu: »Dreißig Jahre lang haben wir für die Anerkennung
von Degas und Renoir gekämpft und jetzt, da ihr Ruf endlich das ganze
Land erfüllt, will die Jugend von heute diefe beiden großen Meifter des
19. Jahrhunderts wieder von ihrem Piedeltal Itürzen! Muß von neuem be-
wiefen werden, daß Renoir von franzöfifdier Art ilt, daß er ein ernfter und
reiner Charakter war?«

Als ein echter und fdiöner Franzofe hat er gerade in feiner Sterbeltunde
einen Ernft bewiefen, der an das ftählerne Ethos eines Pascal erinnert.
Einige Minuten vor feinem Tode bat er um einen Bleiltift. Er nahm ihn,
zeichnete in die Luft und fagte: »Je fais encore des progres.« Dann fiel fein
Kopf auf die Seite, und er hauchte fein Leben aus. Wie diefe Sterbeftunde
waren die letzten Wochen feines Lebens erfüllt von feuriger Arbeitsglut. Vor
einigen Wodten noch weilte er in Paris. Er ließ fich in den Louvre tragen.
In der salle Lacaze des Louvre fah er eines feiner fchönften Bilder wieder:
das Bildnis der Frau Charpentier. Still ftanden feine Freunde um ihn herum,
während fein Geift fidh in Erinnerungen an diefe kluge und gütige Frau ver-
for. »Comme cette femme etait belle!« flüfterte er »Ah! que j'aurais ä faire
encore des progres!« Llnd der raltlofe Schönheitsfucher von 78 Jahren ließ
fich weiter durch die Säle desLouvre tragen, hielt an vorRubens, vor Watteau,
vor Fragonard und vor Manet, um von ihnen zu lernen, wie er noch Fort^
fchritte machen könne.

»Nun gibt es keinen Frauenmaler mehr,« fchrieb der Eclair in feinem
Nekrolog. Diefer lapidare Satz umfchreibt den ganzen Umfang des ungeheueren
Verluftes, den die europäifche Kunft mit dem Tode Renoirs erlitten hat.
 
Annotationen