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Diese Nummer der Kunstnachrichten ist 8 Seiten stark.

Auflage: 12600.

KUNSTNACHRICHTEN
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LJAHRG. No. 10-12

15. März 1912

Die „Akademie für Jedermann“.

Wir berichteten im letzten Heft der Kunst-
nachrichten von der Eröffnung der „Akademie
für Jedermann“ in der Mannheimer Kunst-
halle am 22. Januar 1912, die mit einer Reihe
von Vorträgen eingeleitet wurde. Mit diesem
ist nun der vorerst wichtigste Teil des Pro-
gramms des „Freien Bundes zur Einbür-
gerung der bildenden Kunst in Mann-
heim“ in die Erscheinung getreten. Es be-
stehen begründete Hoffnungen, daß auch die
übrigen Teile des Programms verwirklicht werden
können, und da diese Gründung von sich reden
gemacht, möchten wir in diesem Blatte die Ideen
des Bundes, obwohl sie den meisten unserer
Leser sicherlich schon, wenn auch nur in den
Hauptzügen, bekannt sind, näher betrachten. Sie
sind in einer Werbeschrift von Dr. Wichert,
dem Gründer des Bundes, niedergelegt.
Dr. Wichert hat gründliche Arbeit geleistet.
Er geht aus von einer Kritik der Kultur unserer
Zeit, und aus der Erkenntnis ihrer Nöte kamen
ihm die Gedanken zum Aufbau des „Freien
Bundes“. Wohlgemerkt: er nennt ihn „Bund“,
nicht „Verein“, denn er soll seine Angehörigen
verbinden in dem gemeinsamen heißen Ringen
um eine tiefere künstlerische Natur. Er ist eine
„schöpferische Gemeinschaftshandlung“ und soll
zu solchem führen. Der Bau des Bundes ist
so wohl durchdacht, daß man ihn fehlerfrei
nennen möchte. Den Unterbau, das Sockel-
geschoß, bildet die „Akademie für Jeder-
mann“, sie soll die lebendigen Ströme der Künste
bis in das Herz eines jeden einzelnen Mitgliedes
der Stadtgemeinde hineinleiten. Sie soll Bedürf-
nisse wecken, Kenntnisse vermitteln auf die be-
quemste Art (durch Vorträge mit Lichtbildern),
das Auge schärfen durch den täglichen Verkehr
mit Kunstwerken. Sie wendet sich an die breiten
Schichten des Volkes und soll sie zur Kunst

führen. Man muß ihm Lust zur Sache machen,
es gewissermaßen spielend heranführen an Dinge,
deren Lustwert es noch nicht erkennt. Dazu
soll es keine Bücher nehmen — denn wir leben
in einer ungern und flüchtig lesenden Zeit (das
hat Dr. Wichert richtig erkannt), und nur ganz
wenige haben Muße, schwerere Literatur zu über-
winden. Es soll in einem behaglichen theater-
artigen Saale nach dem Abendessen mit Licht-
bildern nach nur guten Kunstwerken und er-
läuterndem Vortrag unterhalten und so angezogen
und immer weiter in das Land des Schönen
hineingeführt werden. Mit diesen Lichtbildabenden
soll aber zugleich einer der Auswüchse unserer
Kultur, das Kinematograph entheater, be-
kämpft werden. Daß allerdings Dr. Wichert
hierzu selbst den „Kientopp“ benutzen will, heißt
doch wohl den Teufel durch Beelzebub austreiben.
Die glücklich gewonnene Beruhigung und Samm-
lung des Bürgers würde einer erneuten Unruhe
und Flüchtigkeit weichen. Der Kinofilm hat so
verwüstend auf unseren Geschmack, ja sogar auf
die Malerei gewirkt, z. B. bei den Futuristen,
von denen wir im letzten Heft berichteten*), und
wird es immer, wenn er technisch auch noch so
verbessert wird, daß ihn jeder geschmackvolle
Mensch von sich fernhalten muß. Ferner wundert
es mich, daß Dr. Wichert nicht vorgeschlagen
hat, Lumiereaufnahmen zu reproduzieren. Das
Lichtbild nach dem Lumiereverfahren aufgenom-
men (das freilich noch der Verbesserung bedarf),
bedeutet zurzeit das Ideal farbiger Reproduktion:
bei richtiger Einstellung auf die Leinwand (in
genauer Originalgröße!) kann es eine viel treffendere
Vorstellung eines Ölgemäldes geben, als jedes
andere Lichtbild oder eine farbige Reproduktion,

*) Für diese Malergruppe ist alles Existierende nur Bewegung,
ein Pferd hat nicht vier Beine, sondern 100mal vier: das Bild
wird zum Extrakt des Kinofilm!
 
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