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lerische Leistung als solche noch hervorgehoben
und betont werden muß, haben wir keine Kunst.
Solange auch dem kunstgewerblichen Erzeugnisse
der Stempel namhafter Künstler aufgedrückt
werden muß, haben wir keine allgemeine künst-
lerische Kultur.
Wir Heutigen bilden uns ein, mit dem Intellekt
schaffen zu können, anstatt mit dem Gefühl, dem
ästhetischen Instinkt. Unser Selbstbewußtsein
(im erkenntnistheoretischen Sinne verstanden) er-
richtet aber um uns eine hohe Mauer, die den
Blick ins Land der Phantasie, der Naivität ver-
sperrt. Doch läßt sich denken, daß auch mit hoch-
entwickeltem Intellekt ein hoher Geschmack sich
verbindet, wie es uns das 18. Jahrhundert lehrt.
Dem Kunstgewerbe unserer Zeit fehlt sowohl die
malerisch-zeichnerische Feinheit und Anmut jener
Zeit, wie die Energie und das Selbstbewußtsein
des 17. Jahrhunderts, aber auch die Klarheit
und Straffheit der Gotik. Die Charakterlosigkeit
des Kunstgewerbes des 19. Jahrhunderts ist auch
heute noch nicht völlig überwunden, und nur
wenige haben sie erst einsehen gelernt. Auf
dem der Japaner baut sich zum Teil unser
modernes Kunstgewerbe auf (z. B. die Keramik),
aber wie weit bleibt es doch gerade in den
Werken, die ihm am nächsten kommen, hinter
ihm zurück.
Daß die Kunstwerke vergangener Zeiten oft
so hoch über denen der unsern stehen, beruht
hauptsächlich mit auf der Tatsache, daß sie mit
soviel mehr Sorgfalt, Ruhe und planvoller Über-
legung vorbereitet und ausgeführt wurden. Und
heute: mit welcher wahnwitzigen Hast werden
z. B. in Berlin Bauten unternommen und Häuser
von hohem Wert und ausgezeichneter Erhaltung
abgebrochen, um neuen zu weichen, die in einigen
Jahrzehnten veraltet sein werden; ein neues
Museum wird auf unzureichender Stelle begonnen,
nachdem man dort einen gerade vollendeten
Neubau abgebrochen und noch andere ältere
Bauten abbrechen wird, und zwischen zwei ältere
gequetscht, dessen Unterbauten allein Millionen
verschlingen und dabei die Nachbarmuseen aufs
Höchste gefährden; ein Opernhaus wäre beinahe
nach einem charakterlosen Entwürfe gebaut worden,
wenn nicht in letzter Stunde noch durch Proteste
der Öffentlichkeit und der Künstlerschaft bewogen,
das Ministerium ein Einsehen gehabt hätte. Die
ganze planlose Vergrößerung und Umgestaltung
unserer Großstädte — in Wien reißt man die
ganze schöne Altstadt des 18. Jahrhunderts ein
und ersetzt sie durch eine schlechte neue, anstatt
diese neue daneben zu setzen, wie einsichtige
Architekten nach altem Muster vorschlugen! —
beweist schlagend den Mangel an Gestaltungskraft,
an Weitsichtigkeit und sozialen Formwillen. Und
auch in anderen Dingen zeigt sich dies. Ich
will hier nicht von den Künstlern und ihrem
Organisationsgeschick sprechen (FriedrichOffer-
mann hat in Heft 7 der Kunstwelt ausführlich
darüber gehandelt), mich beschäftigt allein die
Frage nach dem allgemeinen Geschmack. Und
dieser ist heute ein impressionistisch ver-
schwommener und kein architektonisch klarer,
die zufälligen Farbstimmungen gefallen heute
mehr wie die gefühlsmäßig oder bewußt gewählten,
der „Naturausschnitt“ genießt den Vorzug vor
der gebauten Landschaft, das Naturstudium wird
über die künstlerische Schöpfung gestellt, überall
triumphiert das Zufällige und wird durch den
Namen „Natur“ geheiligt, und wie das Leben der
Heutigen von Eindruck zu Eindruck, von Sen-
sation zu Sensation eilt, sind auch die Geschmacks-
urteile dieser Menschen oberflächige und unüber-
legte geworden und bei Käufen, wo es gilt, den
Geschmack zu betätigen, zeigt dieser sich un-
sicher und von Eingebungen abhängig.
Museen und öffentliche Sammlungen.
Neugründungen.
Der Oldenburgische Kunstgewerbeverein hat be-
schlossen, seine Sammlungen nebst dem Museums-
bau und Grundstück dem Staate zu übertragen
mit der Verpflichtung, für Erhaltung und Ausbau
des Museums Sorge zu tragen.
Das neue Wiesbadener Qesamtmuseum. In
Wiesbaden gelangt auf dem Gelände des ehe-
maligen Ludwigsbahnhöfes ein Museumsneubau
zur Ausführung, und zwar nach dem Entwurf
des Architekten Professor Dr. h. c. Theodor
Fischer in München. Nach einer weiteren Mit-
teilung wird das Museum eine dreiteilige Gliederung
zeigen und drei Spezialsammlungen aufnehmen,
nämlich das Nassauische Altertumsmuseum, die
Wiesbadener Gemäldesammlung und das Natur-
historische Museum. Eine Erweiterung der Be-
stände durch Schenkungen aus den großherzog-
lichen Schlössern und durch Überweisungen aus
den Lokalmuseen steht zu erwarten.
Die Umgestaltung des Frankfurter Kunst-
gewerbemuseums. Der mitteldeutsche Kunstge-
werbeverein übergab am 2. Juni sein neugeordnetes
Museum in der Neuen Mainzerstraße wieder der
Öffentlichkeit. Der Vorsitzende, Kom.-Rat Flinsch,
betonte in seiner Begrüßungsrede, daß sich die
polytechnische Gesellschaft das größte Verdienst
um die Ausgestaltung des mit bescheidenen Mitteln
gegründeten Museums erworben habe, und er-
wähnte u. a., daß der feste Anschaffungsfonds
lerische Leistung als solche noch hervorgehoben
und betont werden muß, haben wir keine Kunst.
Solange auch dem kunstgewerblichen Erzeugnisse
der Stempel namhafter Künstler aufgedrückt
werden muß, haben wir keine allgemeine künst-
lerische Kultur.
Wir Heutigen bilden uns ein, mit dem Intellekt
schaffen zu können, anstatt mit dem Gefühl, dem
ästhetischen Instinkt. Unser Selbstbewußtsein
(im erkenntnistheoretischen Sinne verstanden) er-
richtet aber um uns eine hohe Mauer, die den
Blick ins Land der Phantasie, der Naivität ver-
sperrt. Doch läßt sich denken, daß auch mit hoch-
entwickeltem Intellekt ein hoher Geschmack sich
verbindet, wie es uns das 18. Jahrhundert lehrt.
Dem Kunstgewerbe unserer Zeit fehlt sowohl die
malerisch-zeichnerische Feinheit und Anmut jener
Zeit, wie die Energie und das Selbstbewußtsein
des 17. Jahrhunderts, aber auch die Klarheit
und Straffheit der Gotik. Die Charakterlosigkeit
des Kunstgewerbes des 19. Jahrhunderts ist auch
heute noch nicht völlig überwunden, und nur
wenige haben sie erst einsehen gelernt. Auf
dem der Japaner baut sich zum Teil unser
modernes Kunstgewerbe auf (z. B. die Keramik),
aber wie weit bleibt es doch gerade in den
Werken, die ihm am nächsten kommen, hinter
ihm zurück.
Daß die Kunstwerke vergangener Zeiten oft
so hoch über denen der unsern stehen, beruht
hauptsächlich mit auf der Tatsache, daß sie mit
soviel mehr Sorgfalt, Ruhe und planvoller Über-
legung vorbereitet und ausgeführt wurden. Und
heute: mit welcher wahnwitzigen Hast werden
z. B. in Berlin Bauten unternommen und Häuser
von hohem Wert und ausgezeichneter Erhaltung
abgebrochen, um neuen zu weichen, die in einigen
Jahrzehnten veraltet sein werden; ein neues
Museum wird auf unzureichender Stelle begonnen,
nachdem man dort einen gerade vollendeten
Neubau abgebrochen und noch andere ältere
Bauten abbrechen wird, und zwischen zwei ältere
gequetscht, dessen Unterbauten allein Millionen
verschlingen und dabei die Nachbarmuseen aufs
Höchste gefährden; ein Opernhaus wäre beinahe
nach einem charakterlosen Entwürfe gebaut worden,
wenn nicht in letzter Stunde noch durch Proteste
der Öffentlichkeit und der Künstlerschaft bewogen,
das Ministerium ein Einsehen gehabt hätte. Die
ganze planlose Vergrößerung und Umgestaltung
unserer Großstädte — in Wien reißt man die
ganze schöne Altstadt des 18. Jahrhunderts ein
und ersetzt sie durch eine schlechte neue, anstatt
diese neue daneben zu setzen, wie einsichtige
Architekten nach altem Muster vorschlugen! —
beweist schlagend den Mangel an Gestaltungskraft,
an Weitsichtigkeit und sozialen Formwillen. Und
auch in anderen Dingen zeigt sich dies. Ich
will hier nicht von den Künstlern und ihrem
Organisationsgeschick sprechen (FriedrichOffer-
mann hat in Heft 7 der Kunstwelt ausführlich
darüber gehandelt), mich beschäftigt allein die
Frage nach dem allgemeinen Geschmack. Und
dieser ist heute ein impressionistisch ver-
schwommener und kein architektonisch klarer,
die zufälligen Farbstimmungen gefallen heute
mehr wie die gefühlsmäßig oder bewußt gewählten,
der „Naturausschnitt“ genießt den Vorzug vor
der gebauten Landschaft, das Naturstudium wird
über die künstlerische Schöpfung gestellt, überall
triumphiert das Zufällige und wird durch den
Namen „Natur“ geheiligt, und wie das Leben der
Heutigen von Eindruck zu Eindruck, von Sen-
sation zu Sensation eilt, sind auch die Geschmacks-
urteile dieser Menschen oberflächige und unüber-
legte geworden und bei Käufen, wo es gilt, den
Geschmack zu betätigen, zeigt dieser sich un-
sicher und von Eingebungen abhängig.
Museen und öffentliche Sammlungen.
Neugründungen.
Der Oldenburgische Kunstgewerbeverein hat be-
schlossen, seine Sammlungen nebst dem Museums-
bau und Grundstück dem Staate zu übertragen
mit der Verpflichtung, für Erhaltung und Ausbau
des Museums Sorge zu tragen.
Das neue Wiesbadener Qesamtmuseum. In
Wiesbaden gelangt auf dem Gelände des ehe-
maligen Ludwigsbahnhöfes ein Museumsneubau
zur Ausführung, und zwar nach dem Entwurf
des Architekten Professor Dr. h. c. Theodor
Fischer in München. Nach einer weiteren Mit-
teilung wird das Museum eine dreiteilige Gliederung
zeigen und drei Spezialsammlungen aufnehmen,
nämlich das Nassauische Altertumsmuseum, die
Wiesbadener Gemäldesammlung und das Natur-
historische Museum. Eine Erweiterung der Be-
stände durch Schenkungen aus den großherzog-
lichen Schlössern und durch Überweisungen aus
den Lokalmuseen steht zu erwarten.
Die Umgestaltung des Frankfurter Kunst-
gewerbemuseums. Der mitteldeutsche Kunstge-
werbeverein übergab am 2. Juni sein neugeordnetes
Museum in der Neuen Mainzerstraße wieder der
Öffentlichkeit. Der Vorsitzende, Kom.-Rat Flinsch,
betonte in seiner Begrüßungsrede, daß sich die
polytechnische Gesellschaft das größte Verdienst
um die Ausgestaltung des mit bescheidenen Mitteln
gegründeten Museums erworben habe, und er-
wähnte u. a., daß der feste Anschaffungsfonds