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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,1.1910

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1910)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9031#0049
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ReligiösesLeben

war ich doch etwas bange. All meine sächsischen Verwandten mußten
mir versprechen, daß sie mir die Zimmer, in denen ich bei ihnen gewohnt
hatte, aufheben wollten, nnd daß ich jederzeit zu Besuch kommen dürfe.
Nun werde ich mein Zimmer bei euch vermissen."

„Abermorgen schon?" fragte Trissie bekümmert. „Wenn du jetzt fort-
gehst, wirst du uns bald vergessen."

„Ich muß hinaus, Lrissie. Es zieht mich mit Gewalt."

Rundschau

Ein Nachwort zum Enzy-
klikastreit

n der Christlichen Welt, die trotz
ihrer grundsätzlichen Versöh-
nungspolitik in Sachen der Kon-
fessionen den Protest gegen die
Enzhklika gutgeheißen hatte, hat
ein einzelner einen Gegenprotest
erhoben, der nach dem Recht
der meisten dieser Protestversamm-
lnngen fragt, Dinge zu schützen,
zn denen die Leilnehmer gar kein
inneres Verhältnis mehr haben.
Darauf hat Adolf Harnack in seiner
ruhigen und wohlabmessenden
Meise geantwortet, daß es sich um
den Schutz religiöser Güter gar
nicht handle, sondern einerseits um
Formfragen, die als solchewichtig ge-
nug seien —dennFormen seien die
wichtigsten Erziehungsmittel auch
für die Gesinnung —, andererseits
um die historische Mahrheit. Es
handle sich „um die Lrziehung der
rückständigen Kurie, damit sie die
Verkehrsformen des zwanzigsten
Iahrhunderts lerne". Diese For-
men seien der Ausdruck von „Ehrer-
bietung und Höflichkeit", welche ein
kostbares Gut darstellen, das „wir
auf einem langen Wege endlich
erworben haben". Auch weite
Kreise deutscher Katholiken gäbe es,
die in diesen Beziehungen auf seiten
der Protestler stünden, oder, wie
Harnack sich vorsichtiger ausdrückt:
„auch ihrerseits den römischen Lon
nicht mögen und uns im stillen
dankbar sind, wenn wir ihn uns

verbitten". Das dürfte in der Tat
bis in die Kreise der Zentrums-
führer hinein der Fall sein. Denn
es gibt neben dem römischen noch
immer auch Reste des spezifisch
deutschen Katholizismus, der aus
Walter von der Vogelweide sprach,
und auf dessen Wiedererwachen ein
Stück unsrer Hoffnung ruht.

So sehr ich hiernach Harnacks
Deutung der Protestbewegung teilc
und begrüße, so möchte ich doch
zwei Anmerkungen dazu machen.

Die erste bezieht sich auf jenen
Gegenprotest. So sehr Harnack
sachlich ihm gegenüber recht hat,
so sehr ist meiner Meinung nach
doch das Aufwachen von Stim-
mungen zu schätzen, die bei der-
artigen Kundgebungen in Dingen,
die immerhin mit religiösen Fra-
gen in Verbindung stehen, für das
Wichtigste die Selbstprüfung
halten. Gewiß macht das die eigen-
tümliche Schwäche des Protestan-
tismus aus gegenüber der Ge-
schlossenheit der katholischen Kirche,
daß bei uns keine zusammenhän-
gende Aktion einsetzen kann, ohne
daß sofort dieser Zweifel an der
inneren Berechtigung mit einsetzt.
Aber' gerade diese kirchenpolitische
Schwäche ist das Element in den
evangelischen Kirchen, auf das man
hoffen muß, so lange man sie einer
religiösen Neuschöpfung noch fähig
hält. Denn die Gesinnung, die bei
allen Dingen allein nach der in-
nern Wahrheit fragt (womit nicht

3H Kunstwart XXI V, (
 
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