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Das war em gefundenes Fressen. Mit 14 Rcrdfahrern
stießen wir durch bis Bahnhof Moll. Dort stand ein leerer
Personenzug unter Dampf. Die Bevölkerung war in die
WäLer nördlich geflohen und beobachtete uns von dort. Bel-
gische Truppen sahen wir nicht, aber viel weggeworfene Uni-
formen. Die Maschine hatte leid^r kein Wasser mehr, glich
also einem Bulkan, der jeden Augenblick explodieren konnte.
WaS tun? — Unschädlich gemacht werden mußte sie. Der
Befthl hieß, sie zur Entgleisung zu bringen. Der Versuch
mißlang. Die Lage für die 14 Radfahrer wurde kritisch. Da
hörten wir dicht hintereinander die beiden Brücken in die Luft
fliegen. Schon war einer auf der Maschine. Ein Ruck am
Hebel — runterspringen — und mit Schnellzugsgeschwindig-
keit sauste der leere Zug auf die zerstörte Brücke und mit
g'Waltigem elegantem Kopfsprung in den Kanal. Schnell
wurden noch die Telegraphen uud Fernsprechanlagen gründ-
lich zerstört und mit Unterstützung von mehreren endlich im
Auto herbeigeeilten Pionieren dre wichtigsten Weichen ge-
sprengt. Vier andere Maschinen, die sich im Schuppen be-
fanden, sollten auch noch zur Entgleisung gebracht werden.
Es gelang eine so weit anzuheizen, daß sie die andern grade
schlcppen konnte. Zu unserm Erstannen fuhren aber alle
dier Maschinen glatt über die angeblich genügend zerstörten
Weichen hinweg. So war der einzige Erfolg der Weichen-
sprengung eigentlich nur der, daß fast sämtliche Fensterscheiben
von Bahnhof Moll und Umgebung herausgeflogen waren.
Eine nochmalige Sprengung, die auch den letzten heilen Fen-
ftern den Rest gab, machte dann die Strecke unfahrbar. Da
es inzwischen dunkel geworden war, das Bataillon sich nach
Meerhout gezogen hatte, so waren wir nicht böse, daß wir
uns auch dorthin zurückziehen konnten, da kleine Abteilungen
schon öfters von dcn Belgiern weggeschnappt waren. Mit
dem Erfolg des Tages waren alle Teilnepmer und zu unserer
Freude auch die Vorgesetzten zufrieden.

Dezember 1917.

Weihnachten vorderTür!... Diese Worte be-
schäftigten uns schon seit Wochen. Wie konnten wir diesmal
das Fest begehen, um den Mannschaften der Kompagnie
wenigstens einigermaßen frohe Stunden zu bereiten? Vor
allem mußte etwas Besonderes zum Essen Herbeigeschasft w.er-
den, denn so wie bei vielen Menschen die Liebe durch den
Magen geht, so ist heutzutage für den Soldaten ein besonderes
Esien die Grundlage zu einer gehobenen Stimmung. Dank
der Fürsorge des Kompagnie-Feldwebels wurde daher seit
Wochen Mehl und Zucker aufgespart, um als Weihnachtsfreude
einen Kuchen „Christstollen" zu backen.

So kam der 24. Dezember 1917 heran. Früh morgens
wurden die Mannschaften zufällig durch Werfen scharfer Hand-
granaten nochmals an den Ernst der Zeit erinnert. Der Him-
mel hatte dazu ein gütiges Einsehen! Was man seit Jahren
nicht gehabt hatte, geschah: es schneite! Es schneit, es
schneit, du weißer Schnee! Gerade zu Weihnachten! Welche
freudige Stimmung fchon durch dies so seltene Winterwetter
unscrer Jugendjähre. Mancher Landwehrmann wird hier
an seine Kinder in der Heimat gedacht haben, Welche jede
Schneeflocke mit sttahlendem Auge bejubeln.

Nachnnttags 3 Uhr wurden die Mannschaften in das
hiesige Lichtspielhaus geführt, in welchem Damen und Herren
aus Antwerpen und Lüttich in dankenswerter Weise durch
Vorträge bemüht waren, die Weihnachtsstimmung zu heben.
Dies wurde auch auch voll erreicht und wohl vor allem durch
die musikalische Einführung, in welcher immer wieder die
Melodie des deutschen Weihnachtsliedes „Stille Nacht, heilige

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Nacht" hindurchklang. Wer bis jetzt noch keine Stimmung
gehabt hatte, dies Lied rührte wohl jedes Kriegerherz, es
erinnerte wohl Iedermann an die Heimat, an die Familie,
an die eigene Jugend.

>46 Uhr nachmittags hatte ich die Mannschaft zur Kom»
Pagnie-Feier in einem geräumigen Keller„antreten lasien.
Denn das mußte unbedingt sein, nämlich eine gemeinsame
Ansprache! Wa'r es wegen Mangel an geeigneten Räumlich-
keiten auch nicht möglich, eine gemeinsame Feier abzuhalten,
so sollte wenigstens eine kurze allgemeine Andacht stattfinden.
So geschah es auch! Nach Absingen eines Weihnachtsliedes
sprach ich zur Kompagnie von der Bedeutung des Festes für
die Deutschen. Jch verglich die verschiedenen Weihnachten des
Krieges, 1914, 1915, 1916 und nun gar 1917! Jch erinnerte
an die Lieben in der schönen, deutschen Heimat. Zum Schluß
klang ich aus in dem herrlichen Bibelwort „Ehre sei Gott in
der Höhe und Frieden aus Erden". Hierzu erwähnte ich, daß
gerade jetzt im Osten ein Licht aufsticge, welches geheimnis-
und verheißungsvoll diesen Spruch im Jahre 1918 wohl zur
Tatsache werden ließe. Dann sangen wir das Lied „O, du
fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit". Nun
ließ ich die Mannschaften wegtreten, auf daß sie sich zugsweise
in ein Kerporsllschaftszimmer begeben konnten.

Wie sah es nun hier aus? Die zugsältesten Unterofsiziere
hatten Christbäume geputzt und die Lichter angesteckt. Diese
und den Baumschmuck hatte je ein Mann aus den drei Zügen
in Brüsiel eingckauft, was durch Sttftungen der Zugsführer
möglich gewesen war. Jeder Mann der Kompagnie hatte
seinen Platz, auf welchem er fand: 5 Mark in bar, 10 gute
Zigarren, einige Zigaretten, 2)4 Pfund Aepfel und .... den
2 Pfund schweren Christstollen! Außerdem gab es als beson-
dere Bekösttgung )4 Pfund frische Wurst, nachmittags Kaffee
(echten!) mit Zucker und abends Erbsenbrei mit Speck. DaS
Eintrittsgeld zur Vorstellung am Nachmittage war auch von
der Kompagnie beglichen worden!

Wenig mit Liebe! Die Kompagnie-Offiziere, welche nmr
von Zug zu Zug gingen, fanden allgemeine Freude vor. Die
Leute sangen Lieder und zeigten frohe Gesichter.

Zum Schluß noch eins: Die Engländer sollen nur noch
einmal behaupten, wir wären ausgehungert! Da hätte Lloyd
 
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