Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Lübke, Wilhelm
Geschichte der Architektur von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart — Leipzig, 1855

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.29616#0069

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Erstes Kapitel. Griechische Baukunst.

55

war die edelste, beste Aristokratie, die jeder gebildete Geist mit Freuden
anerkennt, die Aristokratie der Edelsten, Besten.

In diesen Eigenschaften allein ist es zu suchen, dass griechische Eil- Griechische
düng, griechische Kunst bei aller fest ausgeprägten nationalen Form doch meingiutig.
eine Allgemeingültigkeit hat, welche sie zum unerreichten Vorbilde alles
Dessen, was naturgemäss, einfach, wahr und schön ist, für alle kommenden
Zeiten und Völker gemacht, welche ihr vorzugsweise den Ehrennamen der
klassischen erworben hat. Auch die Inder, Aegypter, Perser hatten ihre
Baukunst als eine wesentlich nationale ausgebildet. Aber jene nationalen
Charaktere waren zu einseitig beschränkt, als dass sie in ihren Werken
maassgebend für andere Völker, für künftige Kulturepochen hätten sein
können. Erst bei den Griechen war dies eben wegen ihrer harmonischen
Anlage, ihrer allseitigen, echt menschlichen Bildung der Fall. Desswegen
trägt bei aller Gemeingültigkeit die griechische Architektur doch am mei-
sten das Siegel freier Individualität an der Stirn; desswegen hat sie auch
zuerst eine eigentliche innere Geschichte. Zwar erscheint gegen jene nach
Jahrtausenden zählenden Kulturen der älteren Völker die Zeit des Griechen-
thums äusserst kurz. Aber sie durchläuft auf engem Raume einen weiten
Kreis von Entwicklungsstufen und bezeugt die Wahrheit, dass der Werth
des Daseins nicht nach der Länge der Zeitdauer, sondern nach der Tiefe
des schöpferisch lebendigen Inhalts gemessen werden muss.

Wir haben nun, um zur Betrachtung der griechischen Kunst zu ge- Vorzeit der
langen, die Nebel einer Vorzeit zu durchlaufen, deren Denkmäler zu den n Kunst.
eigentlich griechischen Schöpfungen sich ungefähr so verhalten, wie jene
als Vorstufen bezeichneten asiatischen und ägyptischen Werke. In diesen
rohen Arbeiten, deren Formgefühl von dem der Griechen weit entfernt ist,
vermögen wir nicht eine erste Periode griechischer Kunst zu erkennen.

Ihre Erwähnung mag daher an dieser Stelle voraufgeschickt werden. Sie
scheinen der Urbevölkerung Griechenlands, den alten Pelasgern, eigen-
thümlich gewesen zu sein. Ohne der öfter bei Homer erwähnten Grab-
hügel gefallener Helden ausführlicher zu gedenken, sei hier an die Reste
uralter Städtemauern erinnert, welche bei den Griechen selbst Verwun-
derung erregten, und wegen ihres fremdartigen Ansehens den Namen
cyklopische Mauern erhielten. Das Wesentliche dieser Reste, deren Cykiopische

Aiv/r m • __ Mauern.

rgos, Mycenae, JLiryns
und an anderen Orten antrifft, besteht
darin, dass anstatt eines Quaderbaues
eine höchst seltsame, willkürliche Be-
handlung des Steines stattfindet. Die
grossen Blöcke werden in unregelmäs-
siger Gestalt scharf ausgearbeitet und so
zusammengesetzt, dass die Fugen überall
in einander greifen und das Mauerwerk
dadurch ohne Anwendung von Mörtel
die grösste Festigkeit erlangt. Eigen-
thümlich sind auch die Thore solcher stadtthore.
Mauern behandelt; theils mit schräg zu
einander geneigten Seitenpfosten, die
durch einen mächtigen Steinbalken oben

Fig. 30.

Cyklopisches Mauerwerk.
 
Annotationen