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Leo’s X. Kunstliebe.

299

Siebentes Kapitel.
Rafael unter Leo X.

Mit clem Tode Julius des Zweiten am LI. März 1513 schloss eine
wichtige Epoche nicht bloss für Rafael, sondern für das ganze römische
Kunstleben. Jener gewaltige Papst hatte mit genialem Blick die be-
deutendsten Künstler seiner Zeit herbeigerufen und ihnen die grössten
Aufgaben gestellt. Was unter ihm geschaffen wurde, die Anfänge von
St. Peter, die Decke der Sixtina, die beiden ersten Stanzen Rafael’s,
gehört zum Herrlichsten und Erhabensten unter den künstlerischen
Besitzthümern der Menschheit. Nicht in gleichem Sinne förderte der
noch junge Mediceer, der als Leo X. den päpstlichen Thron bestieg,
die Kunst. Wohl brachte er von den Traditionen seines Hauses die
Pflege der Wissenschaft, Literatur und Kunst mit; wohl blühten auch
unter ihm am päpstlichen Hofe alle jene geistigen Interessen, in deren
Pflege die Renaissancekultur gipfelt, und es konnte dem oberflächlichen
Blick so scheinen, als ob jetzt erst das Augusteische Zeitalter für jene
Epoche beginne. Aber in Wahrheit war es doch, anstatt des von hohen
Planen und Zielen erfüllten Julius, nur ein bequemer Genussmensch
und Lebemann, der als lachender Erbe die Plinterlassenschaft einer
grossen und stürmischen Vergangenheit antrat. In den Vergnügungen
seines Hofes wechselten mit den edleren Genüssen der Poesie und der
von Leo leidenschaftlich geliebten Musik derbe Spässe von Possen-
reissern, Mummenschanz aller Art, Pferderennen und Stiergefechte, bei
welchen, in ächt römischer Weise, es dem Vergnügen keinen Eintrag
that, wenn mehrere Menschen todt auf dem Platze blieben.
Indess auch den bildenden Künsten war der lebenslustige Me-
diceer zugethan, und wenn allerdings die grossen Arbeiten Bramante’s
und Michelangelo’s durch ihn eher durchkreuzt als gefördert wurden,
so fiel dagegen auf Rafael der ungeminderte Glanz päpstlicher Huld.
Von seinen Zuständen um diese Zeit erhalten wir die beste Anschauung
aus einem Briefe, welchen er an seinen Oheim Ciarla am 1. Juli 1514
schrieb. Die Verwandten daheim waren offenbar der Ansicht, dass es
 
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