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Lionardo’s Schule.

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Elftes Kapitel.
Lombarden und Piemontesen.

Ueber keine der italienischen Schulen sind wir so wenig unter-
richtet wie über die lombardische. Vasari ist hier flüchtiger als an-
derswo und weiss nur Weniges von Bildern, noch weniger von den
Meistern selbst zu erzählen. Nach der Einnahme Mailands durch die
Franzosen war das Land fortwährend politischen Erschütterungen an-
heimgegeben. Von einer Kunstpflege durch ein starkes und glänzendes
Fürstenthum, wie in den früheren Zeiten, war nicht mehr die Rede.
Lionardo selbst, welcher der dortigen Malerei neues Leben eingehaucht
hatte, war durch die kriegerischen Stürme vertrieben worden und kehrte
später nur zu vorübergehendem Aufenthalt zurück, da er, wie wir ge-
sehen, bald nach Frankreich übersiedelte. Dennoch war die Saat,
welche er durch Lehre und Beispiel ausgestreut hatte, so reichlich auf-
gegangen, dass seine Schule weit über sein persönliches Eingreifen
hinaus fortblühte und in glänzenden Denkmälern der Fresko- und Tafel-
malerei sich bewährte. Stand fürstliche Gunst ihren Arbeiten nicht
mehr zur Seite, so war doch in Einzelnen wie in Korporationen das
Bedürfniss nach künstlerischen Werken so stark, dass zahlreiche
Schöpfungen hervorgerufen wurden, die freilich fast ausschliesslich dem
religiösen Gebiet angehören. Denn auch jetzt bleibt die Lombardei,
fern von den Mittelpunkten des neuen Klassicismus, den kirchlichen
Anschauungen treuer zugethan als die meisten übrigen Gebiete Italiens.
So erlebt hier die kirchliche Kunst noch während der drei ersten De-
cennien des 16. Jahrhunderts eine Nachblüthe von anziehender Innig-
keit und Wärme der Empfindung. Für die Formgebung war das über-
mächtige Beispiel Lionardo’s bestimmend, und der süss-lächelnde Aus-
druck, welchen er seinen Köpfen verliehen, bleibt in den Werken seiner
Schule herrschend. Aber der grosse Meister hatte die Seinigen so
ernst anf das Studium der Natur hingewiesen, dass trotz der unleug-
baren Verwandtschaft der Typen doch überall eine frische Aufnahme
individueller Formen sich zu erkennen giebt und die conventionelle
 
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