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Die Venezianer.

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Zwölftes Kapitel.
Die Venezianer.

Auch für Venedig war die Zeit gekommen, da seine Malerei die
höchste Stufe der Entwicklung ersteigen, die letzten Reste herber alter-
thümlicher Strenge und Befangenheit abstreifen und sich zu freier
Schönheit entfalten sollte. Und zwar vollzog sich merkwürdiger Weise
diese letzte Phase höchster Vollendung zu einer Zeit, da es mit der
stolzen Macht der Republik unaufhaltsam abwärts ging, da einerseits
die immer gewaltiger vordringenden Türken ihr im Orient die lange
behaupteten Gebiete entrissen, andrerseits die Entdeckung des Seeweges
nach Ostindien (1498) den levantinischen Handel auf andere Bahnen
führte und die Markusstadt ihres bisher ausschliesslichen Vorrechtes
als Stapelplatz und Vermittlungspunkt zwischen Morgen- und Abendland
beraubte. Und doch war die seit Jahrhunderten angesammelte Fülle
von Reichthümern und die überlieferte monumentale Gesinnung immer
noch so mächtig, dass die Malerei jetzt ihre glänzendsten Aufgaben
erhielt und mit ihrer Farbenpracht einen verklärenden Abendschein
über die sinkende Herrlichkeit Venedigs ausgoss.
Gemäss der früher schon begründeten Eigenart seiner Kunst war
es auch jetzt nicht wie in der florentinischen und römischen Schule
der Geisteshauch aus dem klassischen Alterthum, der die Kunst zur
vollen Freiheit und Grösse entband, sondern der reiche aus den natür-
lichen lokalen Bedingungen hervorgehende Zauber, der dieser im tiefsten
Grunde naturalistisch angelegten Malerei ihre Vollendung gab. Wer
an einem jener sonnigen Tage des Südens die noch in ihrem Verfall
verführerische Lagunenstadt in ihrer Lage mitten in den Meeresfluthen
sieht, deren Grüsse in schimmernden Lichtreflexen an den Marmor-
facaden verwitterter Paläste hinaufzittern, der begreift, dass hier alle
Lust eines farbenglänzenden, schönheitverklärten Erdendaseins ihre
Heimath gefunden hat. Die milde Feuchte der Seeluft vermählt sich
mit dem Strahlenschein eines sonnig klaren Himmels, und beide Ele-
mente im Verein weben jenen duftigen Schmelz der Töne, der wie
 
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