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I. WOHNUNGSAUSSTATTUNG.

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Mode erscheint, das ist in der That nur sein eigener constanter Charakter. Was
wir heute sehen, ist der Art nach gar nichts anderes, als was wir 1867 in Paris
sahen. Nur Einzelheiten und Nebensachen schlagen eine andere Richtung ein,
fügen sich aber für jetzt aufs allerbeste in die alte Ordnung. Dies gilt z. B. von
den nicht seltenen orientalischen Mustern, die als applicirte Stickereien oder in
den Geweben zur Verzierung der Möbel verwendet werden. Die orientalische
Frage ist für Frankreich noch von geringerer Bedeutung als z. B. für England
und zumal für Oesterreich. Ebenso sind die Spuren, welche die Wirkung der
internationalen Frage, d. h. die Bestrebungen sür eine Resorm in antifranzösischer
Richtung, erkennen lässt, nicht unbedeutend, aber die französische Kunstindustrie
kann vieles verdauen und wird damit in ihrer Weise fertig; sie nimmt das Fremde
und Fremdartige auf und wandelt es in ihr Eigenes um. Denn das ist eine der
wesentlichsten Eigenschaften des französischen Geschmacks, nicht dass er Neues
schafft und erfindet, sondern die Empfänglichkeit für alles Fremde und das Ta-
lent, es seiner Weise conform zu machen. Daher einerseits in der französischen
Kunstindustrie eine ausserordentliche Vielseitigkeit, andrerseits vollständiger Mangel
an Originalität; der französische Künstler ist findig, aber nicht erfinderisch.
In der Hauptsache lebt der französische Geschmack und somit auch alles,
was die Wohnung betrifft, noch ganz im Stil und in den Stilarten des achtzehnten
Jahrhunderts; er verschmäht keine derselben, nur dass sich die Vorliebe mehr und
mehr von dem Anfang hinweg gegen das Ende dieses berühmten Säculums ge-
zogen hat. Jene Zeit gefiel sich im Capriziösen, in willkürlichen Einsällen, stand
auf gutem Fuss mit den Bizarrerien von China und Japan, brachte das Persische
in Mode, kokettirte in späterer Periode mit der Antike, liebte die Bagatelle und
trug den colossalen Reifrock, und zeigte sich somit ziemlich tolerant im künstle-
rischen Glauben. Auf stilistische Dogmen und starre Confession gab sie nicht viel;
nur hatte sie ihre Vorliebe, ihre Passionen. Das muss man bedenken, wenn man
in den verschiedenen Decorationen und all dem bunten, scheinbar künstlerisch sich
widersprechenden Geräth, das uns die französische Ausstellung zur Ausstattung
der Wohnung vor Augen führt, den gemeinsamen Charakter erkennen will.
Die Franzosen haben in einem ihrer überdeckten Höfe Modelle von Zimmern
oder Theile von Zimmern ausgestellt, die aber keinen vollständigen Begriff der
französischen Wohnung geben. Wir mussen das Bild aus dem, was Tapezierer,
Möbelfabrikanten, Teppichweber u. s. w. ausgestellt haben, insbesondere aber
auch aus den kleinen Räumen des französischen Commissionshauses ergänzen,
dann erhalten wir die Ideen, die den französischen Decorateuren noch immer als
Ideale vorschweben. Da ist (vonPicarel) das Stück einer Wand mit der Thüre
und dem Felde darüber, weiss mit goldenen Rococo-Ornamenten in Relies und
mit einem zarten Gobelinsgemälde in der Sopraporte; da ist daneben (von Noel
Quill et) eine andere Wanddecoration mit reich geschnitzten Ornamenten und mit
einem ssachen Relies über der Thüre, das von zwei Amoretten gehalten wird,
alles weiss wie Stuck mit zartem Grau und Chamois, und eine ähnliche von
Lefebre mit reichem Stuckgesims in Weiss und verschiedenen kalten Draptönen.
Sind wir damit nicht ganz in der Mitte und der zweiten Hälste des achtzehnten
Jahrhunderts? Setzen wir die reichen Himmelbetten von Levy & Worms und
 
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