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438 DIE VERVIELFÄLTIGENDEN KÜNSTE. III. OESTERREICH ETC.

Seine Grabstichelblätter nach Rasael, Luini und Holbein ersreuen sich gerechter
Anerkennung; insbesondere das Bildniss Amerbach's nach Letzterem erhebt sich
bis zu einer des Originals würdigen, coloristischen Wirkung. Die Bildnisse des
Kronprinzen und der Kronprinzessin des deutschen Reiches sind zwar leichter,
doch nicht ohne Geschmack ausgesührt. Belgien (teilte nur wenige, aber ge-
schickte und seinsühlige Zeichner von sranzösischer Schule u. A. Gustave Biot
und J. Delboete als Stecher, H. Danse als Radirer und Fl. Van Loo als
Lithographen. Holland lieferte bloss Stahlsliche von J. H. Renneseld und P.
J. Arendsen in Amsterdam.
Reichlicher hatte Italien ausgestellt, als machte es den Versuch, den alten
Rus seiner Grabsticheltechnik noch zu retten. Von C. Raimondi erschien ein
sehr grosses Blatt: Correggio's Himmelsahrt Maria im Dom zu Parma, zum Theile
noch nach der Zeichnung seines berühmten Schwiegervaters Paolo Toschi, aber
nicht mehr mit der weichen, schimmernden Farbentiese desselben ausgesührt. An
ähnlichen Härten leidet der grosse Stich Luigi Sivalli's nach dem sogenannten
„Tag" von Correggio. Sorgfältige Stichelblätter brachten noch T. A. Juvara, G.
Micale, M. A. Martini u. a. Einen eigentümlichen Contrast dazu bilden die
krästigen Radirungen von Francesco di Bartolo: Thierstücke und Bildnisse, die
wie aus dem Norden importirt erscheinen; darunter ein Gras Cavour in ganzer
Gestalt mit einem Beleuchtungsefsect ä la Rembrandt. Auch ein Zeichen der
ziellosen Strebungen in der heutigen italienischen Malerei.
Nur England hatte noch im grossen Massstabe gedruckte Kunstblätter aus-
gestellt. Schöpsen wir noch einmal Athem zum letzten, schweren Gange! Der
Quantität nach steht die englische Abtheilung der sranzösischen am nächsten, der
Qualität nach aber — ist es eine ganz andere Welt, in die wir uns hier versetzt
finden. Es ist, als wandelten wir durch die kunsthistorische Schreckenszeit ver-
gangener Tage. An die Vergangenheit erinnert selbst der leider verstorbene R.
A. E. Graves, der einzige geniale Lenker des Stichels, der uns den „Blue Boy"
des Gainsborough vervielsältigt hat. Die modernste Verbrämung bilden aller-
dings gelungene Nachbildungen von Kunstindustrie-Gegenständen durch die Etching
Class des Science and Art Departement im South-Kensington-Museum. Efsect-
volle Ausnahmen sind auch die Radirungen der drei Slocombe und von J. H.
M. Whistler: Anssehten und Architekturen, gut gezeichnet, grell beleuchtet und
mit tüchtigem „Bart" gedruckt. Dazwischen hin und wieder die Holzschnitte des
„Graphic," dessen unruhige Faustpraxis mit den aus dem Grunde herausgerisse-
nen Lichtern der soliden, wenn auch einförmigeren Illustration der „Illustrated
London News" den Rang abgelaufen hat. Fast alles Andere ist gemischte, sehr
gemischte Manier, Schabkunst, Aquatinta, Stahlstich und wie die edlen Surrogate
des kunstgerechten Kupserstiches alle heissen! Brutale Originalität und flache Fa-
brication reichen sich hier in bewunderungswürdiger Weise die Hand. Wahrlich,
wenn dem so ist, dass uns diese Insulaner nur ein verssossenes, srüher allgemeines
Stadium der Kunstreproduction conservirt haben , dann muss man es ja sast ein
Glück nennen, dass die Sündssuth der Photographie über sie hereingebrochen ist,
um wenigstens den Markt des Continentes von dieser Waare zu säubern!
M. Thausing.
 
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