6. Der Fundstoff
6.1 Keramik
Als Fundgut mit dem bei weitem größten Anteil
im Arbeitsgebiet gebührt der Keramik besondere
Aufmerksamkeit. Da in der Regel von kaiserzeit-
lichen Siedlungsstellen in Südniedersachsen nur
zerscherbtes Material vorliegt, geschlossene Kera-
mikkomplexe die Ausnahme darstellen und nur in
den seltensten Fällen Gefäße komplett rekonstru-
ierbar sind, ist die Klassifizierung anhand der Rän-
der oft unsicher.73 Eine Gliederung des Materials
anhand der Ränder, Böden oder Verzierungen
erlaubt in der Regel nur eine grobe Datierung, da
die meisten Merkmale während der gesamten Zeit-
spanne der Römischen Kaiserzeit vertreten sind,
oder auch schon in der jüngeren vorrömischen
Eisenzeit auftreten können (Mildenberger 1972,
80). Zudem repräsentieren Siedlungsfunde im
Gegensatz zu Gräbern auch immer eine längere
Zeitspanne, sodass hier ebenfalls ein Unsicher-
heitsfaktor besteht. Auf die Problematik der Da-
tierbarkeit von Oberflächenfundplätzen und die
Identifizierung von kaiserzeitlichem Material und
dessen chronologische Unempfindlichkeit wurde
schon hingewiesen. In der vorliegenden Arbeit
wird auf die von R. von Uslar (1938) vorgegebe-
ne Typeneineinteilung zurückgegriffen, da diese
bereits den Formenbestand der germanischen
Keramik bis auf wenige Ausnahmen voll erfasst
hat (s. auch Halpaap 1994, 55 f.).
6.1.1 Forschungsgeschichte
Keramik stellt bei Siedlungsplätzen den größten
Anteil des Fundstoffes dar, schon deshalb kommt
ihr eine besondere Bedeutung zu. Um die vorher-
gehende Argumentation zu stützen, soll daher
noch einmal kurz die Forschungsgeschichte zur
rhein-wesergermanischen Keramik referiert wer-
den (ausführlich zur älteren Forschungsgeschich-
te Kempa 1995, 70 ff.).
1922 untergliederte E. Rademacher die germani-
sche Keramik anhand von Beifunden wie Fibeln
und Terra Sigillata. Dabei stellte er zwei Leitfor-
men fest, den „Wahner Typ“ und eine zeitlich spä-
tere Form, den „Giessener Typ“ (1922, 187 ff.).
Die 1938 erschienene Arbeit „Westgermanische
Bodenfunde des ersten bis dritten Jhs. nach Chris-
tus aus Mittel- und Westdeutschland“ von R. von
Uslar basiert zum Teil auf den Ergebnissen Ra-
demachers und ist heute immer noch grund-
legend. R. von Uslar entwickelte seine Leitformen
hauptsächlich an Siedlungskeramik bzw. der ger-
manischen Keramik aus den Kastellen des Tau-
nus-Limes. Er konnte sechs Typen untergliedern,
die z. T. in ihrer Definition sehr weit gefasst sind.
Zeitlich einzugrenzen sind nur die Formen I (ent-
spricht dem „Wahner Typ“) und II (entspricht dem
„Giessener Typ). Insgesamt herrscht ein Konsens
über die generelle Datierung dieser Leitformen,
wenngleich in der von Uslar nachfolgenden For-
schung verschiedene Zeitansätze und Entwick-
lungsgänge der Typen diskutiert wurden (s. u.). Die
ältere Römische Kaiserzeit wird durch das Vor-
kommen der Form I nach von Uslar geprägt, die
jüngere Römische Kaiserzeit dagegen durch die
Form II. Form I beginnt in Eggers Bl und ist in
B2 die bestimmende Form. Die Gefäßform II be-
ginnt wohl schon in B2 und reicht bis C2 hinein.
Der Übergang bzw. die Ablösung des Typs I erfolgt
durch I/IIabzw. II. Nach Rosenstock (1979,172)
erfolgt dieser Prozess am Ende des 2. Jhs. n. Chr.
im Zusammenhang mit den Markomannenkrie-
gen. Zusammengenommen ist die gesamte germa-
nische Keramik aufgrund der langen Laufzeiten
chronologisch sehr unempfindlich. Eine genaue
Parallelisierung der Keramiktypen mit dem Egger-
schen Chronologieschema ist daher nicht möglich
(Siegmund u. a. 1996, 63). Neuere typologische
Einteilungen der germanischen Keramik aufbau-
end auf dem von Uslarschen Schema wurden in
jüngerer Zeit von verschiedenen Autoren vorge-
nommen (Halpaap 1994; Heiner 1984; 1989;
Kempa 1995; Walter 2000). Diese können aber
trotz interessanter neuer Ansätze die von Uslar-
sche Arbeit nicht ersetzen.
Aus der Tatsache, dass frühe rhein-wesergermani-
sche Keramik in einigen Fundzusammenhängen
mit Gefäßen elbgermanischer Prägung gefunden
wurden, schließt R. Halpaap (1994,67 f.), dass die
73 So ist oft sogar die Randbildung an ein und demselben Gefäß unterschiedlich (s. Tafel 32.5,6). Bei der Aufnahme des Mate-
rials kam es wiederholt vor, dass zwei verschieden Scherben mit voneinander abweichenden Profilen gezeichnet wurden
und sich bei genauerer Betrachtung als zu demselben Gefäß gehörig erwiesen oder z. T. sogar direkt aneinander passten.
Vor diesem Hintergrund erscheinen mir allzu genormte Klassifikationen von vorgeschichtlicher/handgemachter Keramik
methodisch fragwürdig.
73
6.1 Keramik
Als Fundgut mit dem bei weitem größten Anteil
im Arbeitsgebiet gebührt der Keramik besondere
Aufmerksamkeit. Da in der Regel von kaiserzeit-
lichen Siedlungsstellen in Südniedersachsen nur
zerscherbtes Material vorliegt, geschlossene Kera-
mikkomplexe die Ausnahme darstellen und nur in
den seltensten Fällen Gefäße komplett rekonstru-
ierbar sind, ist die Klassifizierung anhand der Rän-
der oft unsicher.73 Eine Gliederung des Materials
anhand der Ränder, Böden oder Verzierungen
erlaubt in der Regel nur eine grobe Datierung, da
die meisten Merkmale während der gesamten Zeit-
spanne der Römischen Kaiserzeit vertreten sind,
oder auch schon in der jüngeren vorrömischen
Eisenzeit auftreten können (Mildenberger 1972,
80). Zudem repräsentieren Siedlungsfunde im
Gegensatz zu Gräbern auch immer eine längere
Zeitspanne, sodass hier ebenfalls ein Unsicher-
heitsfaktor besteht. Auf die Problematik der Da-
tierbarkeit von Oberflächenfundplätzen und die
Identifizierung von kaiserzeitlichem Material und
dessen chronologische Unempfindlichkeit wurde
schon hingewiesen. In der vorliegenden Arbeit
wird auf die von R. von Uslar (1938) vorgegebe-
ne Typeneineinteilung zurückgegriffen, da diese
bereits den Formenbestand der germanischen
Keramik bis auf wenige Ausnahmen voll erfasst
hat (s. auch Halpaap 1994, 55 f.).
6.1.1 Forschungsgeschichte
Keramik stellt bei Siedlungsplätzen den größten
Anteil des Fundstoffes dar, schon deshalb kommt
ihr eine besondere Bedeutung zu. Um die vorher-
gehende Argumentation zu stützen, soll daher
noch einmal kurz die Forschungsgeschichte zur
rhein-wesergermanischen Keramik referiert wer-
den (ausführlich zur älteren Forschungsgeschich-
te Kempa 1995, 70 ff.).
1922 untergliederte E. Rademacher die germani-
sche Keramik anhand von Beifunden wie Fibeln
und Terra Sigillata. Dabei stellte er zwei Leitfor-
men fest, den „Wahner Typ“ und eine zeitlich spä-
tere Form, den „Giessener Typ“ (1922, 187 ff.).
Die 1938 erschienene Arbeit „Westgermanische
Bodenfunde des ersten bis dritten Jhs. nach Chris-
tus aus Mittel- und Westdeutschland“ von R. von
Uslar basiert zum Teil auf den Ergebnissen Ra-
demachers und ist heute immer noch grund-
legend. R. von Uslar entwickelte seine Leitformen
hauptsächlich an Siedlungskeramik bzw. der ger-
manischen Keramik aus den Kastellen des Tau-
nus-Limes. Er konnte sechs Typen untergliedern,
die z. T. in ihrer Definition sehr weit gefasst sind.
Zeitlich einzugrenzen sind nur die Formen I (ent-
spricht dem „Wahner Typ“) und II (entspricht dem
„Giessener Typ). Insgesamt herrscht ein Konsens
über die generelle Datierung dieser Leitformen,
wenngleich in der von Uslar nachfolgenden For-
schung verschiedene Zeitansätze und Entwick-
lungsgänge der Typen diskutiert wurden (s. u.). Die
ältere Römische Kaiserzeit wird durch das Vor-
kommen der Form I nach von Uslar geprägt, die
jüngere Römische Kaiserzeit dagegen durch die
Form II. Form I beginnt in Eggers Bl und ist in
B2 die bestimmende Form. Die Gefäßform II be-
ginnt wohl schon in B2 und reicht bis C2 hinein.
Der Übergang bzw. die Ablösung des Typs I erfolgt
durch I/IIabzw. II. Nach Rosenstock (1979,172)
erfolgt dieser Prozess am Ende des 2. Jhs. n. Chr.
im Zusammenhang mit den Markomannenkrie-
gen. Zusammengenommen ist die gesamte germa-
nische Keramik aufgrund der langen Laufzeiten
chronologisch sehr unempfindlich. Eine genaue
Parallelisierung der Keramiktypen mit dem Egger-
schen Chronologieschema ist daher nicht möglich
(Siegmund u. a. 1996, 63). Neuere typologische
Einteilungen der germanischen Keramik aufbau-
end auf dem von Uslarschen Schema wurden in
jüngerer Zeit von verschiedenen Autoren vorge-
nommen (Halpaap 1994; Heiner 1984; 1989;
Kempa 1995; Walter 2000). Diese können aber
trotz interessanter neuer Ansätze die von Uslar-
sche Arbeit nicht ersetzen.
Aus der Tatsache, dass frühe rhein-wesergermani-
sche Keramik in einigen Fundzusammenhängen
mit Gefäßen elbgermanischer Prägung gefunden
wurden, schließt R. Halpaap (1994,67 f.), dass die
73 So ist oft sogar die Randbildung an ein und demselben Gefäß unterschiedlich (s. Tafel 32.5,6). Bei der Aufnahme des Mate-
rials kam es wiederholt vor, dass zwei verschieden Scherben mit voneinander abweichenden Profilen gezeichnet wurden
und sich bei genauerer Betrachtung als zu demselben Gefäß gehörig erwiesen oder z. T. sogar direkt aneinander passten.
Vor diesem Hintergrund erscheinen mir allzu genormte Klassifikationen von vorgeschichtlicher/handgemachter Keramik
methodisch fragwürdig.
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