7. Siedlungsarchäologie oder Fundplatztopographie
„De salubritate Regionum: Petatur igitur aer
calore et frigore temperatus, qui fere medios
optinet collis, quod neque depressus hieme pru-
inis torpet aut torret aestate vaporibus neque
elatus in summa montium perexiguis ventorum
motibus aut pluviis omni tempore anni saevit.
Haec igitur est medii collis optima positio, loco
tarnen ipso paulum intumescente, ne cum a ver-
tice torrens imbribus conceptus adfluxerit, fun-
damenta convellat“.^
Dieser Auszug aus Columellas Buch über die Land-
wirtschaft, entstanden ca. 60 n. Chr., belegt, dass
bei der Wahl eines Wohnplatzes jeweils bestimm-
te Faktoren bewußt wahrgenommen und diesen
entsprechend ein potentieller Standort gewählt
oder verworfen wurde. In den folgenden Kapiteln
soll daher untersucht werden, ob und, wenn ja,
welche Faktoren für die Siedlungen der Römi-
schen Kaiserzeit von Bedeutung waren und wel-
che Aspekte bei der Siedlungsplatzwahl keine oder
nur eine untergeordnete Rolle spielten.
7.1 Methode der siedlungsarchäologischen
Analyse
Die Forschungsgeschichte zur Siedlungsarchäo-
logie der letzten zwanzig Jahre fassen Schier
(1990,10 ff.) ausführlich und Schade (2000,140 f.)
kurz zusammen, sodass auf eine erneute allgemei-
ne Darstellung hier verzichtet wird. „Siedlungsar-
chäologie“ bedeutet vor allem, großflächig ausge-
grabene Siedlungen auf ihre inneren Strukturen
zu untersuchen. Da diese im Arbeitsgebiet nicht
vorliegen, handelt es sich bei der vorliegenden
Analyse also um Landschaftsarchäologie, bei der
nicht die spezielle Siedlung im Vordergrund steht,
sondern der Bezug zur Umgebung (zur Definition
der Begriffe „Landschaftsarchäologie“, „Siedlungs-
archäologie“ „Anthropogeographie“ s. Schade
2000, 158 f., 166 f.).
Im folgenden sollen alle genau lokalisierbaren
Fundplätze auf ihre topographische Situation hin
untersucht werden. Im ersten Abschnitt steht der
eigentliche Siedlungsplatz im Vordergrund der
Betrachtung. Hier werden die Faktoren Gelände-
form, Hangabschnitt und Neigung, Höhenlage,
Exposition, relative Höhenlage über dem Talgrund
sowie die Lage des Fundplatzes zu Gewässern
untersucht. In Anlehnung an die Analysen von
Schier (1990) werden diese Faktoren als Mikro-
ebene bezeichnet. Im zweiten Untersuchungsab-
schnitt wird die Gesamtlage der Siedlungen und
Gräber in der Landschaft betrachtet und auch die
Lage der einzelnen Fundstellen zueinander. Die-
se Faktoren bezeichnen die „Makroebene“ (Schier
1990, 89 ff.). Einen Schwerpunkt bei der Betrach-
tung stellt die Analyse des Bodens bzw. der Boden-
kundlichen Standorttypen dar.
Ein Problem, das sich bei jeder historisch-geogra-
phischen Arbeit erneut stellt, ist die Frage nach
der Abgrenzung des Untersuchungsobjektes. Alle
Einteilungen, Entfernungsangaben etc. können
nur modellhaften Charakter haben, da es keine
Standardfundplätze gibt. Um trotzdem eine wis-
senschaftliche Nachprüfbarkeit zu erlangen, sind
von verschiedenen Autoren Lösungsmöglichkei-
ten vorgeschlagen worden. (Linke 1976, 9; Hee-
ge 1989; Fries 1995; Schier 1990, 91133 134). In vor-
liegender Untersuchung wird das Siedlungsumfeld
in Anlehnung an andere siedlungsarchäologische
Arbeiten als ein Kreis mit einem Radius von 750 m
definiert (Abb. 8). Diese Einteilung ist rein willkür-
lich, dient zum schematisierten Vergleich der ein-
zelnen Siedlungsumfelder und spiegelt selbstver-
ständlich nicht das ehemals reale Siedlungsumfeld
wieder. Die Wahrscheinlichkeit aber, zumindest
einen Teil der ursprünglich wohl in Siedlungsnähe
liegenden Agrarflächen anzusprechen, ist bei die-
ser Methode groß. Ethnoarchäologische Untersu-
chungen haben gezeigt, dass diese schematisierten
Modelle durchaus zutreffen können und somit
133 „Über gesunde Lagen: Erstrebenswert ist also eine in Wärme und Klima gemäßigte Atmosphäre, wie sie etwa auf halben
Höhen zu herrschen pflegt, wo sie nicht, in Niederungen eingesenkt, zur Winterzeit von Reif erstarrt oder im Sommer in der
Gluthitze brät, noch zu den höchsten Erhebungen emporgehoben, bei den geringsten Windstößen und Regenschauern zu
jeder Jahreszeit wütet. Die beste Lage ist also die am halben Hang, allerdings so, dass der Bauplatz etwas herausspringt, damit
nicht ein Gießbach, der nach Niederfällen herabbraust, die Fundamente gefährdet.“ (Columella, De re rustica, Kap. 1.4).
134 Schier definiert kein fest umrissenes Gebiet, da er es für wichtiger hält, die Geländeausprägung des einzelnen Platzes mit
einzubeziehen. So ist etwa für die Umgebung einer in einem Tal gelegenen Siedlung eine lineare Umgebung anzunehmen.
Dieses Vorgehen trifft die ursprünglichen Gegebenheiten vermutlich besser, ist aber dann doch letztlich vom Empfinden
des jeweiligen Betrachters abhängig. Die „Kreismethode“ hat sicher ihre Schwächen, im Dienste einer objektiven Ver-
gleichbarkeit scheint sie mir aber die bessere Alternative zu sein.
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„De salubritate Regionum: Petatur igitur aer
calore et frigore temperatus, qui fere medios
optinet collis, quod neque depressus hieme pru-
inis torpet aut torret aestate vaporibus neque
elatus in summa montium perexiguis ventorum
motibus aut pluviis omni tempore anni saevit.
Haec igitur est medii collis optima positio, loco
tarnen ipso paulum intumescente, ne cum a ver-
tice torrens imbribus conceptus adfluxerit, fun-
damenta convellat“.^
Dieser Auszug aus Columellas Buch über die Land-
wirtschaft, entstanden ca. 60 n. Chr., belegt, dass
bei der Wahl eines Wohnplatzes jeweils bestimm-
te Faktoren bewußt wahrgenommen und diesen
entsprechend ein potentieller Standort gewählt
oder verworfen wurde. In den folgenden Kapiteln
soll daher untersucht werden, ob und, wenn ja,
welche Faktoren für die Siedlungen der Römi-
schen Kaiserzeit von Bedeutung waren und wel-
che Aspekte bei der Siedlungsplatzwahl keine oder
nur eine untergeordnete Rolle spielten.
7.1 Methode der siedlungsarchäologischen
Analyse
Die Forschungsgeschichte zur Siedlungsarchäo-
logie der letzten zwanzig Jahre fassen Schier
(1990,10 ff.) ausführlich und Schade (2000,140 f.)
kurz zusammen, sodass auf eine erneute allgemei-
ne Darstellung hier verzichtet wird. „Siedlungsar-
chäologie“ bedeutet vor allem, großflächig ausge-
grabene Siedlungen auf ihre inneren Strukturen
zu untersuchen. Da diese im Arbeitsgebiet nicht
vorliegen, handelt es sich bei der vorliegenden
Analyse also um Landschaftsarchäologie, bei der
nicht die spezielle Siedlung im Vordergrund steht,
sondern der Bezug zur Umgebung (zur Definition
der Begriffe „Landschaftsarchäologie“, „Siedlungs-
archäologie“ „Anthropogeographie“ s. Schade
2000, 158 f., 166 f.).
Im folgenden sollen alle genau lokalisierbaren
Fundplätze auf ihre topographische Situation hin
untersucht werden. Im ersten Abschnitt steht der
eigentliche Siedlungsplatz im Vordergrund der
Betrachtung. Hier werden die Faktoren Gelände-
form, Hangabschnitt und Neigung, Höhenlage,
Exposition, relative Höhenlage über dem Talgrund
sowie die Lage des Fundplatzes zu Gewässern
untersucht. In Anlehnung an die Analysen von
Schier (1990) werden diese Faktoren als Mikro-
ebene bezeichnet. Im zweiten Untersuchungsab-
schnitt wird die Gesamtlage der Siedlungen und
Gräber in der Landschaft betrachtet und auch die
Lage der einzelnen Fundstellen zueinander. Die-
se Faktoren bezeichnen die „Makroebene“ (Schier
1990, 89 ff.). Einen Schwerpunkt bei der Betrach-
tung stellt die Analyse des Bodens bzw. der Boden-
kundlichen Standorttypen dar.
Ein Problem, das sich bei jeder historisch-geogra-
phischen Arbeit erneut stellt, ist die Frage nach
der Abgrenzung des Untersuchungsobjektes. Alle
Einteilungen, Entfernungsangaben etc. können
nur modellhaften Charakter haben, da es keine
Standardfundplätze gibt. Um trotzdem eine wis-
senschaftliche Nachprüfbarkeit zu erlangen, sind
von verschiedenen Autoren Lösungsmöglichkei-
ten vorgeschlagen worden. (Linke 1976, 9; Hee-
ge 1989; Fries 1995; Schier 1990, 91133 134). In vor-
liegender Untersuchung wird das Siedlungsumfeld
in Anlehnung an andere siedlungsarchäologische
Arbeiten als ein Kreis mit einem Radius von 750 m
definiert (Abb. 8). Diese Einteilung ist rein willkür-
lich, dient zum schematisierten Vergleich der ein-
zelnen Siedlungsumfelder und spiegelt selbstver-
ständlich nicht das ehemals reale Siedlungsumfeld
wieder. Die Wahrscheinlichkeit aber, zumindest
einen Teil der ursprünglich wohl in Siedlungsnähe
liegenden Agrarflächen anzusprechen, ist bei die-
ser Methode groß. Ethnoarchäologische Untersu-
chungen haben gezeigt, dass diese schematisierten
Modelle durchaus zutreffen können und somit
133 „Über gesunde Lagen: Erstrebenswert ist also eine in Wärme und Klima gemäßigte Atmosphäre, wie sie etwa auf halben
Höhen zu herrschen pflegt, wo sie nicht, in Niederungen eingesenkt, zur Winterzeit von Reif erstarrt oder im Sommer in der
Gluthitze brät, noch zu den höchsten Erhebungen emporgehoben, bei den geringsten Windstößen und Regenschauern zu
jeder Jahreszeit wütet. Die beste Lage ist also die am halben Hang, allerdings so, dass der Bauplatz etwas herausspringt, damit
nicht ein Gießbach, der nach Niederfällen herabbraust, die Fundamente gefährdet.“ (Columella, De re rustica, Kap. 1.4).
134 Schier definiert kein fest umrissenes Gebiet, da er es für wichtiger hält, die Geländeausprägung des einzelnen Platzes mit
einzubeziehen. So ist etwa für die Umgebung einer in einem Tal gelegenen Siedlung eine lineare Umgebung anzunehmen.
Dieses Vorgehen trifft die ursprünglichen Gegebenheiten vermutlich besser, ist aber dann doch letztlich vom Empfinden
des jeweiligen Betrachters abhängig. Die „Kreismethode“ hat sicher ihre Schwächen, im Dienste einer objektiven Ver-
gleichbarkeit scheint sie mir aber die bessere Alternative zu sein.
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