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Gesichtsrekonstruktion der Moorleiche aus dem lichter Moor
Damit sollte gleichsam dem Umstand Rechnung
getragen werden, dass in diesem Fall in besonderem
Maße eine Reihe von Variablen berücksichtigt werden
mussten, die das Erscheinungsbild maßgeblich beein-
flussen, für die jedoch keine anatomischen Merkmale
herangezogen werden konnten. Während die markan-
ten Gesichtsmerkmale, wie beispielsweise die Position
der Augen, die Form des Kinns oder die Ausprägung
der Wangenknochen direkt auf das Schädelskelett
zurückzuführen und vom jeweiligen Ernährungs- oder
Gesundheitszustand weitgehend unabhängig sind,
mussten die nicht knöchern ableitbaren individuellen
Merkmale der Nasen- und Ohrenform, des Haaransat-
zes und die Haartracht, die Lippenform und -stärke,
der Ernährungszustand und die Muskulatur durch die
Rekonstrukteure interpretiert und nahezu frei an der
anatomischen Position orientiert und gestaltet werden.
Einen weiteren Aspekt bilden Merkmalsdarstel-
lungen im Gesicht, die Aussagen über das Alter einer
Person geben sollen. Auch hier spielt die individuelle
Interpretation eine besondere Rolle, denn gerade
bei historischen bzw. urgeschichtlichen Individuen
fehlen uns konkrete Vorlagen, so dass die Vorstel-
lung, wie sich das biologische Alter in der betrach-
teten Periode und unter den jeweiligen endo- und
exogenen Faktoren individuell zeigt, stark variieren
kann. Hier ist es oftmals nur möglich, das für die
jeweilige Person ermittelte Alter anzudeuten oder
charakteristisch für die Altersgruppe darzustellen,
wobei individuelle Reifezeichen unter Umständen
unter- bzw. überbetont in Erscheinung treten. Im
Fall des Mädchens aus dem Uchter Moor stellt sich in
diesem Zusammenhang beispielsweise die Frage, ob
sie mit ihrem Alter von 16-19 Jahren eine pubertie-
rende Heranwachsende oder bereits eine junge Frau
in der Reife einer Jungerwachsenen war. Vor allem
bei erlebten Mangelerkrankungen oder häufigen
Erkrankungen ergäbe sich ein Gesichtsausdruck mit
möglichen Zeichen beginnender oder fortgeschritte-
ner körperlicher Auszehrung.
Durch die Anfertigung mehrerer Rekonstruk-
tionen sollte ferner vermieden werden, einen konkre-
ten Menschen abzubilden. Statt dessen sollen dem
Betrachter mögliche biologische Variabilitäten vor
Augen geführt und ihm damit die Möglichkeit gege-
ben werden, sich unter Einbeziehung aller zum
Leben des Mädchens bestehenden Informationen
selber ein Bild von ihrem Aussehen zu schaffen.
Das in den letzten Jahrzehnten weit fortge-
schrittene Wissen über die menschliche Anatomie,
das individuelle Wachstum und die Einflüsse der
Ernährung auf die körperliche Entwicklung unter
Einbeziehung sozio-kultureller Faktoren ermöglicht
es, immer weitergehende Aussagen auch zu morpho-
logischen Gestaltungsparametern zu treffen. Dabei
hat insbesondere die Möglichkeit der dreidimensio-
nalen Abbildung des Skeletts mit Hilfe technischer
Verfahren wie der Computertomographie (CT) oder
der Magnetresonanztomographie (MRT) neue Wege
eröffnet. So wird es möglich, Menschen auch noch
lange Zeit nach ihrem Tod virtuell zurück in ihre
ursprüngliche Gestalt zu versetzen.
Plastische Gesichtsrekonstruktion verbindet
Elemente naturwissenschaftlich-medizinischer
Forschungen mit der manuellen und errechneten,
z.T. auch künstlerischen Umsetzung der Gestaltung
der Weichteilstrukturen auf der Grundlage des Schä-
dels. Diese werden oftmals als Rekonstruktionen
im sogenannten „Rapid Prototyping“-Verfahren
auf Basis computertomographischer Dokumenta-
tionen erstellt. Bekannte Beispiele hierfür sind die
Rekonstruktionen historischer Persönlichkeiten wie
Friedrich Schiller (Dare 2010) oder der Seeräuber
Störtebeker (Wiechmann et al. 2003). Aber auch
von urgeschichtlichen Moorleichen, wie z.B. dem
Grauballe Mann, dem Kind von Windeby oder dem
„Roten Franz“ wurden entsprechende Rekonstruk-
tionen angefertigt (Helmer 1983, 1984; Bergen
2002, Püschel et al. 2004, Asingh & Lynnerup
2007). Daneben wird das Verfahren der Gesichtsre-
konstruktion als etablierte kriminalistische Methode
eingesetzt, um bei Schädelfunden unbekannter
Personen durch die Darstellung des Gesichts den
untersuchenden Behörden Ermittlungsansätze zur
Identifikation bereitzustellen. Hierzu stehen unter-
schiedliche Verfahren der plastischen, computer-
gestützten und zeichnerischen Rekonstruktion zur
Verfügung (z.B. Wilkinson 2004; Buzug et al. 2005;
Ohlrogge et al. 2007).
Plastische Rekonstruktionen am Schädelmodell
erfolgen dabei entweder nach der „Manchester-Me-
thode“ (Prag & Neave 1997), bei der zunächst die
Muskulatur und danach die Haut mit der Unterge-
websschicht auf den Schädel modelliert wird, oder
nach der „amerikanischen Methode“ (Gatliff &
Snow 1979; Krogman & Iscan 1986), bei der beide
Schritte in einem Modellier-Arbeitsgang erfolgen.
Die computergestützte zwei- oder dreidimensionale
Rekonstruktion ist die digitale Weiterentwicklung der
„Manchester-Methode“ im virtuellen Raum (Wilkin-
son 2010). Mit der zeichnerischen Rekonstruktion
besteht die Weiterentwicklungen der sogenannten
Phantomzeichnungen, wobei die Darstellung sowohl
im Portrait als auch im Profil erfolgt. Die Vorgehens-
weise ähnelt dabei dem Verfahren der plastischen
Gesichtsrekonstruktion der Moorleiche aus dem lichter Moor
Damit sollte gleichsam dem Umstand Rechnung
getragen werden, dass in diesem Fall in besonderem
Maße eine Reihe von Variablen berücksichtigt werden
mussten, die das Erscheinungsbild maßgeblich beein-
flussen, für die jedoch keine anatomischen Merkmale
herangezogen werden konnten. Während die markan-
ten Gesichtsmerkmale, wie beispielsweise die Position
der Augen, die Form des Kinns oder die Ausprägung
der Wangenknochen direkt auf das Schädelskelett
zurückzuführen und vom jeweiligen Ernährungs- oder
Gesundheitszustand weitgehend unabhängig sind,
mussten die nicht knöchern ableitbaren individuellen
Merkmale der Nasen- und Ohrenform, des Haaransat-
zes und die Haartracht, die Lippenform und -stärke,
der Ernährungszustand und die Muskulatur durch die
Rekonstrukteure interpretiert und nahezu frei an der
anatomischen Position orientiert und gestaltet werden.
Einen weiteren Aspekt bilden Merkmalsdarstel-
lungen im Gesicht, die Aussagen über das Alter einer
Person geben sollen. Auch hier spielt die individuelle
Interpretation eine besondere Rolle, denn gerade
bei historischen bzw. urgeschichtlichen Individuen
fehlen uns konkrete Vorlagen, so dass die Vorstel-
lung, wie sich das biologische Alter in der betrach-
teten Periode und unter den jeweiligen endo- und
exogenen Faktoren individuell zeigt, stark variieren
kann. Hier ist es oftmals nur möglich, das für die
jeweilige Person ermittelte Alter anzudeuten oder
charakteristisch für die Altersgruppe darzustellen,
wobei individuelle Reifezeichen unter Umständen
unter- bzw. überbetont in Erscheinung treten. Im
Fall des Mädchens aus dem Uchter Moor stellt sich in
diesem Zusammenhang beispielsweise die Frage, ob
sie mit ihrem Alter von 16-19 Jahren eine pubertie-
rende Heranwachsende oder bereits eine junge Frau
in der Reife einer Jungerwachsenen war. Vor allem
bei erlebten Mangelerkrankungen oder häufigen
Erkrankungen ergäbe sich ein Gesichtsausdruck mit
möglichen Zeichen beginnender oder fortgeschritte-
ner körperlicher Auszehrung.
Durch die Anfertigung mehrerer Rekonstruk-
tionen sollte ferner vermieden werden, einen konkre-
ten Menschen abzubilden. Statt dessen sollen dem
Betrachter mögliche biologische Variabilitäten vor
Augen geführt und ihm damit die Möglichkeit gege-
ben werden, sich unter Einbeziehung aller zum
Leben des Mädchens bestehenden Informationen
selber ein Bild von ihrem Aussehen zu schaffen.
Das in den letzten Jahrzehnten weit fortge-
schrittene Wissen über die menschliche Anatomie,
das individuelle Wachstum und die Einflüsse der
Ernährung auf die körperliche Entwicklung unter
Einbeziehung sozio-kultureller Faktoren ermöglicht
es, immer weitergehende Aussagen auch zu morpho-
logischen Gestaltungsparametern zu treffen. Dabei
hat insbesondere die Möglichkeit der dreidimensio-
nalen Abbildung des Skeletts mit Hilfe technischer
Verfahren wie der Computertomographie (CT) oder
der Magnetresonanztomographie (MRT) neue Wege
eröffnet. So wird es möglich, Menschen auch noch
lange Zeit nach ihrem Tod virtuell zurück in ihre
ursprüngliche Gestalt zu versetzen.
Plastische Gesichtsrekonstruktion verbindet
Elemente naturwissenschaftlich-medizinischer
Forschungen mit der manuellen und errechneten,
z.T. auch künstlerischen Umsetzung der Gestaltung
der Weichteilstrukturen auf der Grundlage des Schä-
dels. Diese werden oftmals als Rekonstruktionen
im sogenannten „Rapid Prototyping“-Verfahren
auf Basis computertomographischer Dokumenta-
tionen erstellt. Bekannte Beispiele hierfür sind die
Rekonstruktionen historischer Persönlichkeiten wie
Friedrich Schiller (Dare 2010) oder der Seeräuber
Störtebeker (Wiechmann et al. 2003). Aber auch
von urgeschichtlichen Moorleichen, wie z.B. dem
Grauballe Mann, dem Kind von Windeby oder dem
„Roten Franz“ wurden entsprechende Rekonstruk-
tionen angefertigt (Helmer 1983, 1984; Bergen
2002, Püschel et al. 2004, Asingh & Lynnerup
2007). Daneben wird das Verfahren der Gesichtsre-
konstruktion als etablierte kriminalistische Methode
eingesetzt, um bei Schädelfunden unbekannter
Personen durch die Darstellung des Gesichts den
untersuchenden Behörden Ermittlungsansätze zur
Identifikation bereitzustellen. Hierzu stehen unter-
schiedliche Verfahren der plastischen, computer-
gestützten und zeichnerischen Rekonstruktion zur
Verfügung (z.B. Wilkinson 2004; Buzug et al. 2005;
Ohlrogge et al. 2007).
Plastische Rekonstruktionen am Schädelmodell
erfolgen dabei entweder nach der „Manchester-Me-
thode“ (Prag & Neave 1997), bei der zunächst die
Muskulatur und danach die Haut mit der Unterge-
websschicht auf den Schädel modelliert wird, oder
nach der „amerikanischen Methode“ (Gatliff &
Snow 1979; Krogman & Iscan 1986), bei der beide
Schritte in einem Modellier-Arbeitsgang erfolgen.
Die computergestützte zwei- oder dreidimensionale
Rekonstruktion ist die digitale Weiterentwicklung der
„Manchester-Methode“ im virtuellen Raum (Wilkin-
son 2010). Mit der zeichnerischen Rekonstruktion
besteht die Weiterentwicklungen der sogenannten
Phantomzeichnungen, wobei die Darstellung sowohl
im Portrait als auch im Profil erfolgt. Die Vorgehens-
weise ähnelt dabei dem Verfahren der plastischen