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Österreich / Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale [Hrsg.]
Mittheilungen der K.K. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale — 2.1857

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https://doi.org/10.11588/diglit.20631#0063
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— 54

der übrigen Künste begonnen bat, ist man mit Nothwendig-
keit darauf geführt worden, auch in der Behandlung von
Sculpturen und Malereien, sowie in der stylgemässen Com-
position von künstlerischen Kirchen-Utensilien nach den
stetigen Gesetzen der Liturgie die Principien der mittel-
alterlichen Kunst zur Geltung zu bringen. So hat man
in Frankreich, England und am Rheine in neuester Zeit nicht
nur begonnen die Kirchen nach solchen Grundsätzen bau-
lich einzurichten, sondern man hat auch das Studium des
Kirchenmobilars, der Gewänder und die formelle Einrich-
tung derselben in Übereinstimmung mit der Architectur sich
zur Aufgabe gestellt *)-

Um nun eine gründliche Kenntniss und eine allseitige
Übersicht zu gewinnen von den alten kunsthistorischen For-
men der kirchlichen Gefässe und Utensilien, wie sie, aus dem
Mittelalter stammend, in reichster Abwechslung und in den
edelsten Verhältnissen heute noch vielfach angetroffen wer-
den, bat man zur Bildung des Geschmacks begonnen
nicht nur für den schaffenden Componisten, sondern auch für
den ausübenden Techniker in vielen Diöcesen Deutschlands
und Frankreichs Sammlungen von alten Originalien an Sculp-
turen, Goldschmiedewerken, Emails, Gravuren und Ciselirun-
gen, dessgleichen auch Gypsabgüsse yoii schönen mustergil-
tigen Geräthschaften anzulegen; man forscht ferner angele-
gentlichst nach dem Schlüssel jener reichhaltigen symbolisch-
figurativen Darstellungen, wie sie in Sculpturen, Minia-
turen und Wandmalereien so sinnig zu finden sind, nach den
Werkstätten, woraus jene Meisterwerke der verschiedensten
Kunstzweige hervorgingen, nach jenen modificirenden Ein-
flüssen, wodurch sie sich je nach Provinzen formell unter-
schieden, nach der künstlerisch-technischen Ausführung,
wodurch sich die Kunstwerke des Mittelalters heute noch so
yortheilhaft auszeichnen.

Will man nach diesem anregenden Vorgänge der
Nachbarländer auch in Österreich, wo in jüngster Zeit ein
überaus erfreuliches reges Streben nach Erkenntniss der
inhaltsreichen Formen der eigenen schöneren Vorzeit erwacht
ist, nicht einseitig stehen bleiben, oder nur zur Hälfte
die Lösung der gestellten Aufgabe herbeiführen, so darf
man auch hier nicht abgesondert als alleiniges Ziel die
Erforschung der alten Baumonumente sich zur Aufgabe
stellen, sondern man muss gleichmässig dahin trachten,
alle übrigen der Architectur beigeordneten Kunstzweige,
die ehemals zu einem reichen, schönen Blüthenkranze
verwebt waren, in den Kreis wissenschaftlicher Unter-
suchung zu ziehen. Auf diese Weise wird man allmählich
zu einem wohlgeordneten Inventarium gelangen von den

*) Selbst aucli auf dem Gebiete der Musik ist man , allerdings nach harten
Kämpfen, zur Überzeugung gelangt, dass der Inhalt unserer heutigen
musikalischen Conceptionen vielfach inhaltslos und tändelnd geworden
ist, und es sind insbesonders Freunde einer ernsteren Kirchenmusik
bemüht, den ausgearteten, an modernen Einflüssen leidenden Kirchen-
gesang zu seiner alten Würde und zu seiner Erhabenheit hinsichtlich
der Form und des Vortrages wieder zurückzuführen.

Kunstschätzen der österreichischen Kronländer, und man
wird auch bei der heutigen praktischen Neuschaffung ange-
henden strebsamen Künstlern nicht nur die rechten Vor-
bilder und Anhaltspunkte bieten, sondern man wird ihnen
auch in technischer Beziehung Muster vor Augen führen
können, die geeignet sind vermöge der heute viel entwickel-
teren Mechanik, der überhandnehmenden geist- und kunst-
tödtende'n Fabrikarbeit entgegen zu treten.

Von diesem hohem Gesichtspunkte ausgehend, halten
wir es auch gerechtfertigt und im Einklänge mit der Auf-
gabe, deren Lösung uns gestellt ist, nicht ausschliesslich
den Baumonumenten Österreichs, sondern auch allen übrigen
Kunstzweigen, welche doch, wie jeder Sachverständige
wissen wird, in einem inneren geistigen Zusammenhänge
mit den Formen der Architectur stehen, unsere Aufmerk-
samkeit zuwenden. Wir glauben damit zugleich den viel-
fach ausgesprochenen Wünschen competenter Stimmen nach-
zukommen und den Gesichtskreis der Kunstanschauungen
und Forschungen nicht wenig zu erweitern.

Indem wir daher unsere Aufmerksamkeit auch den mit
der Architectur verbundenen Zweigkünsten des Mittelalters
von jetzt ab zuwenden, wollen wir heute schon damit begin-
nen, auf ein Unternehmen hinzuweisen, dass sich unter uns
vorbereitet hat und worüber wir durch den ausgegebenen
Prospectus und durch persönliche Beziehungen zu dem
Veranstalter in Kenntniss gelangt sind.

Was nämlich der — leider kürzlich verstorbene gelehrte
Abbe Martin in Frankreich für das Verständniss der alten
kirchlichen Kunstformen, namentlich auf dem Gebiete der
Paramentik geleistet, das strebt in neuster Zeit in Deutsch-
land ein Werk an, das unter dem Titel: „Geschichte der
liturgischen Gewänder des Mittelalters“ von Franz Bock,
Conservator des erzbischöflichen Museums in Cöln (Verlag
von Henry und Cohen in Bonn, 18S6), herausgegeben wird
und auch in diesen Blättern bereits eingehend gewürdigt
wurde. Man kann mit Zuversicht erwarten, dass dieses Werk
einen erheblichen Einfluss nehmen wird auf eine allmähliche
würdigere Umgestaltung der heute so sehr entstellten, modern
zugeschnittenen liturgischen Gewänder, und dass dadurch der
Weg angebahnt werde, dieselben mit Rücksicht auf Stoff,
Gewebe, Farbe, Zeichnung und Schnitt zu ihrer früheren
Zweckmässigkeit, Bedeutung und Würde zurückzuführen.

In einem der Abschnitte dieses Werkes sollen nun
auch bei Behandlung des bischöflichen Pontificalornates im
Mittelalter, die altehrwürdigen, berühmten Krönungs-
insignien der deutschen Kaiser eine ausführliche Beschrei-
bung finden, da, wie bekannt, die deutschen Kaiser am
Tage ihrer feierlichen Krönung bischöfliche Gewänder
anzulegen die Auszeichnung genossen. Zu diesem Zwecke
hat der Verfasser — der bereits durch längere Zeit in
Europa die liturgischen Gewänder des Mittelalters, durch
Mittel des Fürsten Holienzollern - Sigmaringen unterstützt,
zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschungen gemacht

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