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Die Madonna steht im Innern eines Refektoriums auf der Stufe eines
Altars. Ihre Augen senkt sie zu dem heiligen Augustinus, der in
vollem Bischofsornat vor dem Altar zu ihrer Linken kniet und den
ausdrucksvollen Kopf ihr andächtig zuwendet. Sein Seitenstück,
der heilige Frigdianus, ist schlecht erhalten; er kniet an der anderen
Seite des Altars und trägt wie sein Gegenüber den Bischofsstab, der
mit seiner ungeheuren Länge das Bild fast durchschneidet. Er
wendet dem Beschauer beinahe den Rücken zu. Maria hat mit der
rechten Hand das herkulische Bübchen umfaßt, mit ihrer Linken
stützt sie das linke Händchen des Kindes, das einen Apfel hält. Um
sich die Last des starken Knaben zu erleichtern, hat sie eine Art
Tragband um den Hals gebunden, in dessen Schlingen die Füßchen
des Kindes ihren Stützpunkt gefunden haben. Das Kind hat das
linke Bein ein wenig in die Höhe gezogen, gerade wie auf den beiden
Bildern der Anbetung in Florenz und Berlin. Wie dort ist es nicht
nackt, sondern in ein weißes Tuch gewickelt. Es schaut den heiligen
Fredianus an. Sechs halberwachsene kurzlockige Mädchenengel,
jeder aufs feinste individualisiert, stehen in zwei Gruppen rechts und
links mit großen Lilienbüscheln hinter dem Altar. Zwei sind darunter,
die diesen prächtig naiven „dümmlichen“ Ausdruck von Andacht
zur Schau tragen, den Botticelli wieder aufnimmt (Tondo des Kaiser
Friedrich-Museums). Aber die heilige Versammlung ist nicht allein.
Lippi hat irdische Zuschauer in das Altarbild eingeführt. Rechts
und links im Hintergründe schauen zwei Mönche und vorn zwei kleine
Kinder, auf eine Balustrade gelehnt, der Wundererscheinung zu. Be-
sonders das Imponierende der stehenden Maria hat dazu verführt,
das Bild in eine spätere Periode zu datieren. Denn erst das Cinque-
cento ist die eigentliche Zeit für diese Form der Madonna im Altar-
bilde. Wir haben es aber bei Fra Filippo nicht mit der Vorweg-
nahme eines neuen Problems, sondern mit Zurückgehen auf die alte
gotische Gewohnheit zu tun. Die Figur einer stehenden Madonna
kommt in der mittelalterlichen Kunst Italiens auf Malereien und
Mosaiken einzeln, aber auch im figurenreichen Andachtsbilde vor.
Die Majestät sitzt, während die in Anbetung versunkene Menge oder
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