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Meyer, Julius [Hrsg.]; Nagler, Georg Kaspar [Bearb.]
Allgemeines Künstler-Lexikon: unter Mitwirkung der namhaftesten Fachgelehrten des In- u. Auslandes (1): Aa - Andreani — Leipzig: Engelmann, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.49957#0126
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van Aeken.

Vor Allem jedoch war Spanien früher ausser-
gewöhnlich reich an seinen Werken. Philipp IT.
besass nicht weniger als 16 Gemälde. Acht da-
von gingen beim Brand, der 1608 das Pardo ver-
nichtete, zu Grunde. Nach Argota di Molina
waren dabei sieben Vorstellungen der Versuchung
und der höllischen Plagen des hl. Antonius; das
achte war die Abbildung eines ungeheuerlichen
Kindes, das drei Tage nach seiner Geburt sieben
Jahre alt schien. Pater Siguenza, der erste Be-
schreibe!’ des Gebäudes und der Kunstschätze
des Eskurial, welcher ausführlich von diesem
Künstler spricht, ohne dass irgend wie deutlich
würde, dass er ihn persönlich gekannt hätte,
theilt seine Werke in drei Klassen : 1) Gegen-
stände der Andacht, historische Vorstellungen
aus dem Leben und Leiden Christi, durchgängig
würdig und ernst aufgefasst, wobei jedoch die
Feinde des Heilandes schon in allerlei Zerrbil-
dern und mit roher Leidenschaftlichkeit in den
Gesichtszügen abgebildet seien; 2) Versuchun-
gen durch höllische Geister und Plagen der Hölle,
meist mit dem hl. Antonius als Hauptfigur, da-
rin die Ungethüme sowol der heidnischen als
christlichen Mythologie entlehnt sind, voll
schreckenerregender Drachen und phantastischer
Vögel und Thiere; 3) Symbolische Vorstellungen
der Verkehrtheiten und Untugenden der Men-
schen, wobei das Spiel der Leidenschaften auf
sinnreiche Weise veranschaulicht wird. Die Ge-
mälde, welche wir von anderen Autoren oder in
authentischen Dokumenten erwähnt finden, ge-
hören grösstentheils zu den beiden erstgenannten
Kategorien; von der dritten werden wir gleich
im Museum zu Madrid mehr als ein merkwürdi-
ges Beispiel antreffen. Uebrigens hatte Pater
Siguenza versäumt, auch noch eine vierte Gat-
tung anzuführen, die der Bauernkirchweihen,
Trinkgelage und fröhlichen Gesellschaften; viel-
leicht, dass er Werke dieser Art in Spanien nicht
vorfand. Die politischen Beziehungen, welche
in der ersten Hälfte des 16. Jahrh. zwischen den
Niederlanden und Spanien bestanden, erklären
die Anwesenheit einer so grossen Anzahl von
Bildern der niederländischen Schule in Palästen
und Kirchen Spanien’s zur Genüge; und gerade
diejenigen von Bosch müssen eine besondere
Anziehungskraft für den spanischen Volkscha-
rakter gehabt haben. Sehr charakteristisch ist
es, dass Philipp II., in dem die kirchliche Rich-
tung seines Volkes einen besonderen Ausdruck
erhielt, in der Mönchszelle, seinem Sterbezim-
mer, ein Bild von Bosch hatte aufstellen lassen,
worauf die Sünden dargestellt waren, von denen
das Christenthum die Menschheit befreien sollte.
In der Mitte war das Bild Christi gemalt, umge-
ben von himmlischem Glanz; das Ganze aber
trug die Aufschrift: Cave Cave dominus videt!
III, Charakteristik. Bilder in Madrid.
Durch seine eigenthümlichc Anschauungsweise
hat van Aeken in der Kunst seines Jahrh. eine

ganz besondere Stellung eingenommen. Zunächst
durch die Ursprünglichkeit und unerschöpfliche
Lebendigkeit seiner Phantasie. Nicht nur war
er der Vorläufer jener Richtung der niederlän-
dischen Kunst, welche sich an das Volksleben
hielt und an seine ungebundenen Aeusserungen
sinnlicher Ausgelassenheit, also der Erste auf
der Bahn, die später von Brouwer, Teniers,
van Ostade, Jan Steen eingeschlagen worden;
sondern er ist auch im eigentlichen Sinne des
Wortes der Schöpfer einer ganz neuen Richtung,
der phantastischen, gewesen. Zahlreich waren
seine Nachfolger. Bereits unter seinen Schülern
müssen ihrer gewesen sein, die nach seinen
Kompositionen Gemälde ausführten, welche für
seine Arbeiten gehalten und verkauft wurden.
D. Felipe de Quevara meint mit Recht, dass
nicht alle ihm zugeschriebenen Werke ächt wä-
ren und dass der hohe Werth, der darauf gelegt
ward, zur Nachahmung verleitet hätte. Später
sind selbst Dürer, Cranach, aber vor Allem die
Brueghels u..A., auch bei gleich grossem oder
noch grösserem Talent, in seinen Spuren ge-
gangen.
Die ihm vorausgehenden Meister, van Eyck,
Rogier, Memling, gläubige Söhne der Kirche
und unter der Herrschaft ihres Dogmas malend,
hatten sich wol auch an das Uebernatürliche und
Symbolische, das sie in den Lehren der Kirche
fanden, gewagt; aber erstBosch hat den schreck-
haften Vorstellungen der Hölle mit ihren Qualen
und Strafen Gestalt und Farbe verliehen. Ein-
mal in das düstere Gebiet eingetreten, ergriff er
mit Wollust alles, was seine Einbildungskraft
aufsteigen sah, und gab es mit aller Kraft der
sinnlichen Erscheinung wieder. Kein Wunder
also, dass in seinen höllischen Vorstellungen
alles gleich spukhaft ist. die Gestalten der Men-
schen und Thiere missgeschaffen, ungeheuerlich
und in den ungereimtesten Mischungen; die
Handlung selbst sowol als die Scene, worin sie
vorgeht, zwar ihren Motiven nach wiederum der
sichtbaren Welt entnommen, durch die Phantasie
des Künstlers aber mittelst der abenteuerlichsten
Formen und Farben, vor Allem auch mit An-
wendung von Rauch und Flammen, auf die
wunderbarlichste Weise versinnlicht.
Obschon das humoristische Element in diesen
Phantasmagorien nicht ganz fehlt, obschon es
auch in den Qualen und Strafen durchblickt,
welche er die menschlichen Untugenden, auch
diejenigen, welcher sich die Geistlichkeit da-
mals schuldig machte, in der Hölle erleiden lässt,
war es ihm doch in der Regel vollkommen ernst
mit seinen Vorstellungen. Als achter Sohn der
Kirche hat er sicher selbst daran geglaubt. Mög-
lich sogar, dass er eine moralische Absicht mit
seinen Darstellungen verband. Darauf scheinen
wenigstens jene Allegorien zu deuten, wovon
das Museum von M a dr i d zwei merkwürdige Bei-
spiele bewahrt. Das eine hat den Triumph des
Todes zum Vorwurf. Mitten in einer dichten
 
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