Die Dynamik politischer Traditionsbildung
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König deshalb, weil er es umsichtig verstanden hatte, den Böhmenkönig zunächst
zu isolieren, bevor er schließlich im Kampf gegen ihn antrat. Rudolf konnte auf die
Unterstützung der Reichsfürsten zählen, weil er ihre Rechtsvorstellungen in den
einzelnen Phasen des Konfliktes berücksichtigt hatte. ^ Der englische König agier-
te von einer höheren Warte aus, aber auch er mußte bei seinen Entscheidungen das
Rechtsbewußtsein seiner Barone respektieren, sonst riskierte er, für willkürlich
gehalten zu werden. Und das war für ihn immer eine gefährliche Situation.^ Inso-
fern liefern die Konflikte über die Bewertung von Rechtspositionen, die die Mäch-
tigen des Landes im Laufe der Zeit für sich reklamierten, Aufschluß über das Zeit-
verständnis der Beteiligten. Sie eröffnen einen Zugriff auf den Rhythmus der
Erinnerungen.
Hundert Jahre waren eine lange Zeit.^ Für einen herrschaftlichen Rückgriff
erwiesen sie sich als eine zu lange Zeit.^ Denn Edwards Quo warranfo-Kampagne
stieß auf so viele Widerstände, dass der König sich schließlich dazu bewegen ließ,
in fraglichen Fällen den Status Quo zu akzeptieren und auf seinen Anspruch der
Rückführung in königliche Hand zu verzichten.^ Daraus läßt sich erkennen, dass
sich zwischen der herrschaftlichen Erinnerung und der Erinnerung der mächtigen
Untertanen keine namhafte Differenz öffnen durfte. Sie ließ sich durch die Kö-
nigsmacht nicht überbrücken, sondern konnte zu einer Gefahr für die königliche
Herrschaft werden. Am Ende des 13. Jahrhunderts war auch ein Dokument nicht
in der Lage, den Zustand seiner ursprünglichen Entstehung unverbrüchlich fest-
zuschreiben. Zu dieser Zeit führte die zunehmende Bedeutung der verschiedenen
und Huldigung, bzw. zur Rechtfertigung seiner Weigerung vor dem Pfalzgrafen aufgefor-
dert wurde (MGH Constitutiones, Bd. 3, ed. Schwalm, Nr. 72), und das am 26. August 1278
in der Schlacht bei Dürnkrut seinen Abschluß fand - in der Ottokar sein heben ließ: REDLICH,
Rudolf von Habsburg, S. 203-333; J. HOENSCH, Premysl Otakar II. von Böhmen. Der goldene
König, Graz/Wien/Köln 1989, S. 200-254; G. ALTHOFF, Rudolf von Habsburg und Ottokar
von Böhmen. Formen der Konfliktaustragung und -beilegung im 13. Jahrhundert, in: Spiel-
regeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, hg. von dems.,
Darmstadt 1997, S. 85-98; KAUFHOLD, Deutsches Interregnum, S. 357-401; KRIEGER, Rudolf
von Habsburg, S. 127-161.
14 Vgl. dazu zuletzt KAUFHOLD, Deutsches Interregnum, S. 387-392.
15 Vgl. etwa ebda, S. 110-126.
16 Justinian hatte den Kirchen den besonderen Schutz einer Verjährungsfrist von 100 Jahren
zugestanden (Novelle 9). Diese Frist wurde dann auch in das Decrefam Graham übernommen
(C.16 q.3 c.7); vgl. dazu auch WALTHER, Gemessene Zeit, S. 214f. und 220f.
17 Justinian hatte die lange Verjährungsfrist von 100 Jahren für Kirche schließlich wieder an die
normale Verjährungsfrist von 40 Jahren angepaßt (Novelle 111 und Novelle 131.6), nachdem
sich die lange Verjährungsfrist in der Praxis als schwierig erwiesen hatte (expen'menfo inuem'a-
tar mahle), vgl. dazu WALTHER, Gemessene Zeit, S. 215.
18 Vgl. etwa SUTHERLAND, Quo Warranto Proceedings, S. 145-166 mit einer Übersicht über eine
Reihe von Pozessen in verschiedenen Grafschaften (Zitat S. 161: „In terms of recoveries ma-
de, the proceedings in Yorkshire (1279-1281) were an almost ludicrous failure. The results in
Buckinghamshire (1286) were not much better"), vgl. zu einer nüchternen Bilanz der Kam-
pagne ebda, S. 162-189. Zu der Frage, wie weit die Erinnerung in den Prozessen infolge der
Qao warraato-Kampagne zurückging, vgl. die Aufstellung in Appendix IV (ebda, S. 226-228).
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König deshalb, weil er es umsichtig verstanden hatte, den Böhmenkönig zunächst
zu isolieren, bevor er schließlich im Kampf gegen ihn antrat. Rudolf konnte auf die
Unterstützung der Reichsfürsten zählen, weil er ihre Rechtsvorstellungen in den
einzelnen Phasen des Konfliktes berücksichtigt hatte. ^ Der englische König agier-
te von einer höheren Warte aus, aber auch er mußte bei seinen Entscheidungen das
Rechtsbewußtsein seiner Barone respektieren, sonst riskierte er, für willkürlich
gehalten zu werden. Und das war für ihn immer eine gefährliche Situation.^ Inso-
fern liefern die Konflikte über die Bewertung von Rechtspositionen, die die Mäch-
tigen des Landes im Laufe der Zeit für sich reklamierten, Aufschluß über das Zeit-
verständnis der Beteiligten. Sie eröffnen einen Zugriff auf den Rhythmus der
Erinnerungen.
Hundert Jahre waren eine lange Zeit.^ Für einen herrschaftlichen Rückgriff
erwiesen sie sich als eine zu lange Zeit.^ Denn Edwards Quo warranfo-Kampagne
stieß auf so viele Widerstände, dass der König sich schließlich dazu bewegen ließ,
in fraglichen Fällen den Status Quo zu akzeptieren und auf seinen Anspruch der
Rückführung in königliche Hand zu verzichten.^ Daraus läßt sich erkennen, dass
sich zwischen der herrschaftlichen Erinnerung und der Erinnerung der mächtigen
Untertanen keine namhafte Differenz öffnen durfte. Sie ließ sich durch die Kö-
nigsmacht nicht überbrücken, sondern konnte zu einer Gefahr für die königliche
Herrschaft werden. Am Ende des 13. Jahrhunderts war auch ein Dokument nicht
in der Lage, den Zustand seiner ursprünglichen Entstehung unverbrüchlich fest-
zuschreiben. Zu dieser Zeit führte die zunehmende Bedeutung der verschiedenen
und Huldigung, bzw. zur Rechtfertigung seiner Weigerung vor dem Pfalzgrafen aufgefor-
dert wurde (MGH Constitutiones, Bd. 3, ed. Schwalm, Nr. 72), und das am 26. August 1278
in der Schlacht bei Dürnkrut seinen Abschluß fand - in der Ottokar sein heben ließ: REDLICH,
Rudolf von Habsburg, S. 203-333; J. HOENSCH, Premysl Otakar II. von Böhmen. Der goldene
König, Graz/Wien/Köln 1989, S. 200-254; G. ALTHOFF, Rudolf von Habsburg und Ottokar
von Böhmen. Formen der Konfliktaustragung und -beilegung im 13. Jahrhundert, in: Spiel-
regeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, hg. von dems.,
Darmstadt 1997, S. 85-98; KAUFHOLD, Deutsches Interregnum, S. 357-401; KRIEGER, Rudolf
von Habsburg, S. 127-161.
14 Vgl. dazu zuletzt KAUFHOLD, Deutsches Interregnum, S. 387-392.
15 Vgl. etwa ebda, S. 110-126.
16 Justinian hatte den Kirchen den besonderen Schutz einer Verjährungsfrist von 100 Jahren
zugestanden (Novelle 9). Diese Frist wurde dann auch in das Decrefam Graham übernommen
(C.16 q.3 c.7); vgl. dazu auch WALTHER, Gemessene Zeit, S. 214f. und 220f.
17 Justinian hatte die lange Verjährungsfrist von 100 Jahren für Kirche schließlich wieder an die
normale Verjährungsfrist von 40 Jahren angepaßt (Novelle 111 und Novelle 131.6), nachdem
sich die lange Verjährungsfrist in der Praxis als schwierig erwiesen hatte (expen'menfo inuem'a-
tar mahle), vgl. dazu WALTHER, Gemessene Zeit, S. 215.
18 Vgl. etwa SUTHERLAND, Quo Warranto Proceedings, S. 145-166 mit einer Übersicht über eine
Reihe von Pozessen in verschiedenen Grafschaften (Zitat S. 161: „In terms of recoveries ma-
de, the proceedings in Yorkshire (1279-1281) were an almost ludicrous failure. The results in
Buckinghamshire (1286) were not much better"), vgl. zu einer nüchternen Bilanz der Kam-
pagne ebda, S. 162-189. Zu der Frage, wie weit die Erinnerung in den Prozessen infolge der
Qao warraato-Kampagne zurückging, vgl. die Aufstellung in Appendix IV (ebda, S. 226-228).