Kapitel 7
Vom Konflikt zur Verfassung: Die konkreten Verfassungs-
kämpfe des 14. Jahrhunderts
Das 14. Jahrhundert erlebte dramatische Verfassungskämpfe, die auf ihre Weise
die Entwicklungen des 13. Jahrhunderts zu einem Abschluß brachten, oder die das
Potential, das die Krisen des 13. Jahrhunderts bereits erkennen ließen, mit grimmi-
ger Folgerichtigkeit ausschöpften. In Deutschland kam die Entwicklung des Kö-
nigswahlrechts nach einem langen Konflikt zum verfassungsrechtlichen Abschluß
- allerdings erst nach einem Ringen um den Thron und einem Herrscherwechsel,
und in England wurden sogar zwei Könige abgesetzt und getötet. So weit war es
im 13. Jahrhundert nicht gekommen. Die Ereignisse folgten nicht unmittelbar auf-
einander, die Doppelwahl, die die letzte große Auseinandersetzung um die Erhe-
bung und den Status des römisch-deutschen Königs im Mittelalter einleitete, fand
1314 statt, die Goldene Bulle wurde 1356 feierlich erlassen. Und bis zu ihrer Rezep-
tion vergingen nochmals Jahrzehnte. Der englische König Edward II. verlor seinen
Thron und sein Leben 1327, die Herrschaft Richards II. nahm 1399 ein vergleichba-
res Ende. Damit stellt sich bei diesen Konflikten die Frage nach ihrem Zusammen-
hang, nach einem historischen Spannungsbogen von der Akzentuierung des Prob-
lems bis zu seiner verfassungsrechtlichen Lösung (in Deutschland) oder nach
einem möglichen Vorbildcharakter, den der Widerstand gegen Edward II. in der
Herrschaftszeit Richards II. entwickeln konnte. Das mußte nicht allein für die Op-
position gegen den König gelten, auch der Herrscher mochte das Schicksal seines
Vorgängers vor Augen haben, ohne dass er daraus dieselben Schlüsse zog wie
seine Gegner. Wir haben im vorangehenden Kapitel verfolgt, wie sich die Traditi-
onsbildung im 14. Jahrhundert veränderte. Die Frage ist nun, wie sehr die Akteure
von der verstärkten schriftlichen Überlieferung Gebrauch machten. Schon der
Abstand zwischen den Königsabsetzungen in England überschritt die Erinne-
rungsspanne eines durchschnittlichen Menschenlebens deutlich.
Die Ereignisse als solche sind in der Forschung wiederholt behandelt wor-
den.^ Hier soll es nicht um eine Wiederholung der Ereignisgeschichte gehen, son-
dern um eine Skizze der Konfliktverläufe, die die inneren Zusammenhänge und
Nachwirkungen herausstellt. Es geht um den Rhythmus, nicht um die Nacherzäh-
lung. Allerdings müssen wir dazu die Eigenheiten der entscheidenden Konflikte
Die Literatur zur politischen Geschichte des 14. Jahrhunderts in Deutschland und England ist
in den zurückliegenden Kapiteln verschiedentlich zitiert worden.
Vom Konflikt zur Verfassung: Die konkreten Verfassungs-
kämpfe des 14. Jahrhunderts
Das 14. Jahrhundert erlebte dramatische Verfassungskämpfe, die auf ihre Weise
die Entwicklungen des 13. Jahrhunderts zu einem Abschluß brachten, oder die das
Potential, das die Krisen des 13. Jahrhunderts bereits erkennen ließen, mit grimmi-
ger Folgerichtigkeit ausschöpften. In Deutschland kam die Entwicklung des Kö-
nigswahlrechts nach einem langen Konflikt zum verfassungsrechtlichen Abschluß
- allerdings erst nach einem Ringen um den Thron und einem Herrscherwechsel,
und in England wurden sogar zwei Könige abgesetzt und getötet. So weit war es
im 13. Jahrhundert nicht gekommen. Die Ereignisse folgten nicht unmittelbar auf-
einander, die Doppelwahl, die die letzte große Auseinandersetzung um die Erhe-
bung und den Status des römisch-deutschen Königs im Mittelalter einleitete, fand
1314 statt, die Goldene Bulle wurde 1356 feierlich erlassen. Und bis zu ihrer Rezep-
tion vergingen nochmals Jahrzehnte. Der englische König Edward II. verlor seinen
Thron und sein Leben 1327, die Herrschaft Richards II. nahm 1399 ein vergleichba-
res Ende. Damit stellt sich bei diesen Konflikten die Frage nach ihrem Zusammen-
hang, nach einem historischen Spannungsbogen von der Akzentuierung des Prob-
lems bis zu seiner verfassungsrechtlichen Lösung (in Deutschland) oder nach
einem möglichen Vorbildcharakter, den der Widerstand gegen Edward II. in der
Herrschaftszeit Richards II. entwickeln konnte. Das mußte nicht allein für die Op-
position gegen den König gelten, auch der Herrscher mochte das Schicksal seines
Vorgängers vor Augen haben, ohne dass er daraus dieselben Schlüsse zog wie
seine Gegner. Wir haben im vorangehenden Kapitel verfolgt, wie sich die Traditi-
onsbildung im 14. Jahrhundert veränderte. Die Frage ist nun, wie sehr die Akteure
von der verstärkten schriftlichen Überlieferung Gebrauch machten. Schon der
Abstand zwischen den Königsabsetzungen in England überschritt die Erinne-
rungsspanne eines durchschnittlichen Menschenlebens deutlich.
Die Ereignisse als solche sind in der Forschung wiederholt behandelt wor-
den.^ Hier soll es nicht um eine Wiederholung der Ereignisgeschichte gehen, son-
dern um eine Skizze der Konfliktverläufe, die die inneren Zusammenhänge und
Nachwirkungen herausstellt. Es geht um den Rhythmus, nicht um die Nacherzäh-
lung. Allerdings müssen wir dazu die Eigenheiten der entscheidenden Konflikte
Die Literatur zur politischen Geschichte des 14. Jahrhunderts in Deutschland und England ist
in den zurückliegenden Kapiteln verschiedentlich zitiert worden.