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Kaufhold, Martin; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Rhythmen politischer Reform im späten Mittelalter: institutioneller Wandel in Deutschland, England und an der Kurie 1198 - 1400 im Vergleich — Mittelalter-Forschungen, Band 23: Ostfildern, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.34739#0322
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314

Kapitel 10

lieh sein. Doch die Fragestellung zielte weniger auf den jeweils konkreten Verlauf
der institutionellen Formierungsvorgänge, als vielmehr auf vergleichbare Heraus-
forderungen.
Bei der Frage nach den Übereinstimmungen in der inneren Dynamik institu-
tioneller Formierungsprozesse im Reich, in England und an der Kurie ist eine Ge-
meinsamkeit nicht zu übersehen. Die Erinnerung, die den inneren Zusammenhang
der politischen Tradition stiftete, war als menschliche Erinnerung weniger vom
Standort als von den Lebens- und Kommunikationsbedingungen der Epoche
abhängig. Die Frage menschlicher Erinnerung hat in der Konsequenz auch eine
anthropologische Dimension. Die anthropologische Perspektive ist für Historiker
kein einfaches Feld, und sie würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen,
aber ein Ausblick ist doch möglich. Er eröffnet in diesem Fall vor allem einen Blick
auf die Überlegungen der Juristen und die Erfahrungen der Missionare.
Sie waren es, die von Zeit zu Zeit Erfahrungen damit machten, wie lange es
dauerte, Menschen für einen neuen Glauben zu gewinnen und die darüber Be-
trachtungen anstellten. Dafür gab es Vorbilder: Als Gott seinen Bund mit Abraham
schloß und ihm in Aussicht stellte, dass seine Nachkommen so zahlreich sein wür-
den, wie die Sterne am Himmel, da eröffnete er ihm auch einen Blick in die Zu-
kunft dieses Geschlechts.^ Er sagte ihm die Zeit in Ägypten als eine Zeit der Prü-
fung voraus, versprach ihm aber die Rückkehr nach Israel: DM aFer wirst z'n Fric&n
ZM deinen Vätern /leimgeFen; in FoFem Aiter wirst dn FegraFen werden. Erst die werte
Generation wird in'erder zariidAedren; denn nocii Fat die Sciudd der Anwriter niedt dir
ooiies Ma/? erreicdtZ Es ging um die Bedingungen eines Neuanfangs, für den der
Stamm alte Verflechtungen (mit den Amoritern) hinter sich lassen mußte. In der
Perspektive unserer Untersuchung ist dies die Frage nach der Dauer der Entfrem-
dung. Für eine vollständige Entfremdung von alten Gebräuchen veranschlagte die
Genesis drei bis vier Generationen. Erst die vierte Generation hatte sich aus den
alten Verstrickungen gelöst und war bereit für einen neuen Beginn. In dieser frü-
hen Phase läßt sich aus einer solchen Feststellung noch kein genauerer Zeitraum
ableiten, da die Gründungsväter des Volkes Israel eindrucksvolle Lebensalter er-
reichten. Aber auch nach der Annäherung an das Lebensalter, das in Antike und
Mittelalter erreicht werden konnte, blieben die drei bis vier Generationen ein Zeit-
raum, in dem ein sozialer Verband alte Traditionen hinter sich lassen und neue
begründen konnte. In diesem Zeitrahmen vollzog sich die Annahme des christli-
chen Glaubens durch die heidnischen Normannen im nordwestlichen Franken-
reichP Nun erstreckte sich die Dauer von drei bis vier Generationen über die Dau-
er von etwa 120 Jahren. Dabei ging es nicht um den Glaubenswechsel einzelner
Menschen oder von kleineren Familienverbänden, sondern um den Glaubens-
wechsel einer heterogenen Volksgruppe, die unter den einfachen Kommunikati-

1 Gen. 15.
2 Gen. 15, 15-16.
3 Vgl. dazu M. KAUFHOLD, Die wilden Männer werden fromm. Probleme der Christianisie-
rung in der Frühzeit der Normandie, in: Historisches Jahrbuch 120 (2000), S. 1-38, bes. S. 33-
36.
 
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