Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift (26.1911-1912)

BEILAGE ZUR .,MODERNEN KÜNSTE

sehen Probleme erschöpft, so daB außer den ganz neuhar-
monischen nach dieser Richtung hin für die Zukunft nichts
mehr zu lösen sein wird; denn mit zwei Händen kann man
eben nicht mehr vollbringen. Dabei ist sein Satz von einem
unerhörten Klangzauber. Da sind Farben auf der Palette,
die zu den schönsten gehören, die man je vernommen. Und
wie verstand es der Meister, bei seinen bis heute unüber-
troffenen Klavierarrangements berühmter klassischer Or-
chesterwerke die Wirkung des Orchesters selbst zu errei-
chen; ich erinnere nur an seine mustergültige Transkription
der neun Sinfonien Beethovens für das Klavier zu zwei
Händen. Das sind kongeniale Nachschöpfungen, allerdings
nicht für Dilettanten geschaffen. Der einzige Vorwurf, den
man Liszt machen kann, ist der, daß er, wenigstens in der
ersten Zeit seiner Wanderjahre, dem rein virtuosischen Ele-
mente des Klaviers allzu freien Spielraum ließ, daß er die
Technik über den eigentlichen Gedanken stellte. Das war
eben jene Zeit, wo die persönliche Liebhaberei, durch tech-
nische Brillanz im höchsten Sinne zu glänzen, überwog.
Und doch, welch eine Kluft zwischen seinen Schöpfungen
und denen Thalbergs, die eine Zeitlang den Markt beherr-
schen durften. Hier jede Notenwendung ein Geistesblitz,
dort ein seichtes, schablonenhaftes, gleichgültiges Verfahren,


Franz Liszt.

das nur auf den Dilettantismus befruchtend wirken konnte.
Ja, ein Feuergeist lodert auch aus dem „Virtuosenkram", den
er in zahlreichen Opernfantasien niederlegte. Überall das
großzügigste Element der Gestaltung, überall das Walten
des unumschränkt herrschenden Genies.
Ganz anders verhält sich zum Teil die öffentliche Kunst-
meinuug zu Liszts eigenen Kompositionen. Man findet noch
heute die absprechendsten Urteile, allerdings nur von solchen
Leuten, die den Meister nicht verstehen können. Dazu ge-
hört ein Mitgehen, Miterleben, und nicht nur ein musik-
wissenschaftliches, sondern auch ein persönliches komposi-
torisches Können. Der Musikwissenschaftler — er ist gar
nicht so selten direkt unmusikalisch — bildet sich gewöhn-
lich seine Meinung an der Hand irgend eines, gar niqht so
selten ebenso unmusikalischen Ästheten. Da steht es ge-
schrieben: Liszt ist kein Komponist, und das muß wohl wahr
sein, denn der große berühmte (?) XYZ hat es ja gesagt.
Damit ist gar nichts bewiesen, da sich der große XYZ ge-
nau so irren kann, wie irgend jemand, der nur vom ein-
seitigen, engherzigen Standpunkt eine Sache, hier eine Kunst
beurteilt. Am schlimmsten spielte man sehr töricht Liszts
ureigener Schöpfung, der „sinfonischen Dichtung" mit:
Noch heute gibt es sonderbare Käuze, die behaupten, diese

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