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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 26.1911-1912

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8. Heft
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Kayssler, Friedrich: Mein zweites Theatererlebnis
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https://doi.org/10.11588/diglit.31171#0259

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103

:^F Mein zweites Jbeulererlebnis. ^^
Von Friedrich Kayssler.
Lieber Freund!
wünschen eine Fortsetzung meiner Theatererlebnisse. Ich gebe sie
Ihnen gern; aber wenn Sie vermuten sollten, daß diese Fortsetzung Sie
schon ins Berufstheater führen wird, so irren Sie sich. Der nun fällige
Abschnitt meiner theatralischen Erinnerungen liegt noch ganz außerhalb der be-
ruflichen Pflicht. Deshalb genießt er in meinem Gedächtnis ein ähnliches An-
sehen, wie die Iphigenien-Aufführung aus der Schulzeit her, von der ich Ihnen
kürzlich erzählte, wenn auch in einem andern Sinne.
Wie ich Ihnen schon in meinem letzten Briefe schrieb, ich schätze das noch
Außerberufliche, von der Tagespflicht noch Ungefesselte der Jugend als Entwick-
lungsfaktor im künstlerischen Leben sehr hoch, weil es den Alltag und seine
grämliche Schwester Gewohnheit nicht an sich herankommen läßt, weil es jene
Freiheit noch in Wirklichkeit darstellt, die sich der reife Mensch später umsonst
zurückwünscht und vergeblich immer wieder künstlich herzustellen versucht.
München. Wissen Sie, was ich damit meine? Helle, freie, sonnige Luft,
kräftig wie unsere norddeutsche, aber mit einem leichter beweglichen anregen-
den Element vermischt, das auf ein junges empfängliches Gemüt wirkt wie
Champagner. Das Bier wollen wir hier ganz beiseite lassen. Und jung waren
wir, und empfänglich auch, als wir zum erstenmal nach München kamen, der in
meinem letzten Briefe erwähnte Darsteller des Pylades aus unserer Breslauer
Iphigenien-Aufführung und ich.
Ich sollte vor meinem Eintritt zur Bühne einige Semester studieren und tat
es nicht ungern. Ich habe es auch später nicht bereut. Nicht als ob ich der
Meinung wäre, daß eine wissenschaftliche Vorbildung irgendwelchen positiven
Nutzen haben könnte für den Schauspielerberuf, sondern einfach, weil — ich
muß auch hier wieder darauf zurückkommen — der Student die Freiheit genießt,
nach eignen Gesetzen geistig wachsen und neue Elemente aufsaugen zu dürfen.
Dabei ist eigentlich das Sammeln positiver Kenntnisse keineswegs das wichtigste,
sondern vielmehr das gesunde, kräftige aufnahmedurstige Atmen und sich Be-
wegen in einer Atmosphäre, die gewissermaßen den neutralen Raum erfüllt, der
zwischen, oder wenn man sagen will, außerhalb der Berufe und ihrer Kasten-
und Sonderinteressen liegt. Der Student ist im allgemeinen von vornherein
überall im Leben gut legitimiert; man sieht ihn an als Angehörigen der jungen
geistigen Garde, von der man für den großen Kampf der Geister etwas erwartet;
ob er viel taugt oder nicht, welcher Fakultät er angehört, darauf kommt es nicht
an, er ist Student, er könnte den geistigen Marschallstab in der Kollegmappe
tragen, damit ist er legitimiert; man
ladet ihn ein, wenn er gut erzogen ist
und sieht ihn überall gern. Und so
leben viele, die später als erwachsene
Männer eingezwängt sind in die Dogmen
und Vorurteile ihres Sonderberufs, we-
nigstens diese Spanne ihrer Studenten-
zeit ein Leben, das man mit einigem
Recht als wirklich frei bezeichnen kann,
und das bedeutet viel. Ich habe als
Schauspieler großen Nutzen von meiner
Studentenzeit gehabt, obwohl ich die
Kollegs wenig besuchte.
Freilich gibt es eine Art von mehr
wissenschaftlich veranlagten Naturen, die
zeitlebens in dem Glauben bleiben, der
eigentliche rechte Weg zur Kunst führe
nur durch die Wissenschaft. Wenn solche
zum erstenmal auf die Bühne kommen,
bleiben sie nicht zunächst bescheiden in
der Ecke stehen und denken: hier bist
du neu und ganz klein, hier heißt es
zuerst Mäuschen sein und Augen und
Ohren aufsperren. Sondern sie lassen
die eiserne Bühnentür laut hinter sich
zufallen, treten mit sicherm Schritt mitten
auf die Bühne und denken: was heißt
das? Ich habe studiert. Das ist etwas.
Ja ja, einen Vorsprung haben sie schon,
aber einen nach rückwärts. Sie haben
keine Unbefangenheit mehr, die beschei-
den alle Poren öffnet und mit kindlicher
Empfänglichkeit aufnimmt und lernen
will, sondern sie kommen mit einer ab-
geschlossenen Vorbildung und Vormei-
nung und sind für alle Kunst von Grund
aus verdorben. Leider ist dies der
Weg vieler Regisseure in unserer Zeit.


Charles Jaeckle: Porträtbüste. Mit der Goldenen Medaille Berlin 1911 prämiiert.

[Nachdruck verboten.]
Doch ich wollte von München erzählen und wie ich dort zum erstenmal
mit der Kunst anknüpfte. Während des ersten Semesters, das ich noch ohne
Pylades mit meinem ältesten Jugendfreund und einigen andern Schulfreunden
in München verlebte, machte ich die ersten schüchternen Versuche, mit Männern
der Bühne in Berührung zu kommen. Mein Jugendfreund und ich hatten Emp-
fehlungen von Felix Dahn aus Breslau an Exzellenz von Possart in der Tasche,
das sollte mir die erste Pforte öffnen. Mein künstlerisches Kapital bestand, glaube
ich, damals außer dem Goetheschen Orest nur in der Rede des Marc-Anton, die
mich einst in einer denkwürdigen Meiningervorstellung durch den Mund Alex-
ander Barthels zum Schauspielerberuf erweckt hatte. Nach endlosen vergeb-
lichen Versuchen und Besuchen saßen wir endlich im Vorzimmer des Gewaltigen
und warteten, selbstverständlich endlos. Wir hatten unsere harmlos aussehen-
den Karten hineingeschickt: „stud. cam., stud. jur. et cam." — der vielbeschäftigte
Intendant konnte also nicht ahnen, daß er unter dieser unschuldigen Maske mit
einer krassen Berufsfrage behelligt werden sollte.
Nach bangen Viertelstunden wurden wir aufgerufen. Der Generalintendant
empfing uns mit ausgesuchter Liebenswürdigkeit, wir brachten ihm Grüße von
Felix Dahn, wir waren ja nur zwei harmlose Studenten, die zum erstenmal nach
München kamen und einen Besuch absolvierten, das Gespräch lief glatt und
freundlich, und alles war in schönster Ordnung. Aber nun kam der furchtbare
Moment. Ich raffte mich zusammen, schlug das Visier zurück und bekannte mich
der Absicht schuldig, zur Bühne gehen zu wollen. — Der Generalintendant brach
ab; der liebenswürdige Zug verschwand aus seinem Gesicht. Ein schneidendes,
fast vernichtendes Schweigen folgte, das fatale Schweigen des Überrumpeltseins
nach einer peinlichen Demaskierung. Der Generalintendant erhob sich, trat einige
Schritte zurück und bedeutete mir in völlig verändertem Tone kühlster Sachlich-
keit, ich sollte aufstehen. Ich stand auf. Er winkte mir, in die Mitte des Zim-
mers, ins volle Licht zu treten. Nach einem weiteren Schritt rückwärts und
fernerem finstern Schweigen winkte er mir, mich seitlich zu wenden, schritt
in weitem Kreise um mich herum und maß mich von allen Seiten, daß ich
vor Verlegenheit nicht wußte, wohin. Dann sagte er kurz und kalt: „Sie
können nicht zur Bühne gehen!" Ich war starr. Mein Gesicht muß wohl wie
eine einzige erklärungerflehende Frage ausgesehen haben, denn der General-
intendant fuhr fort: „Ja, Ihre Kopfbildung ist für die Bühne durchaus ungeeignet.
Das Auge ist zu tiefliegend und würde so gut wie wirkungslos bleiben. Sie
müßten ein außerordentlich starkes Talent
haben, um diese sehr großen Schwierig-
keiten ausgleichen zu können." -— Jetzt
war die Pause an mir. Endlich raffte
ich mich auf und fragte bescheiden, ob
ich nicht wenigstens zu einer Prüfung
zugelassen werden könnte. Aber die
kurze Antwort lautete, das hätte wenig
Zweck. Wenn ich durchaus wollte,
könnte ich mich wegen einer Prüfung
an den Oberregisseur Herrn Schneider
wenden. Aber wie gesagt, viel Zweck
habe es nicht. Der Besuch war zu Ende,
ich war einigermaßen niedergeschlagen
und wir empfahlen uns.
Kurz darauf ging ich zu Herrn Ober-
regisseur Schneider. Ich sollte eine
Szene aus Clavigo lernen und einige
Tage später auf der Bühne des Hof-
theaters vorsprechen. Es war mir
schmerzlich, daß es etwas Neues, mir
Ungewohntes sein sollte, was ich ver-
sprach; aber es half nichts. Die Bühne
des Hoftheaters kam mir vor wie das
Weltall; darin stand ein einziger Stuhl,
unter dem ich mir Marie Beaumarchais
vorstellen sollte. Ich fühlte mich un-
glücklich und abgesehen davon, daß ich
stecken blieb, empfand ich mein Probe-
stück als miserabel. Trotzdem konsta-
tierte Herr Schneider Begabung, aber
zugleich eine auffallende Neigung des
Organs, leicht zu ermüden und riet mir,
zum Halsarzt zu gehen; später sei er
geneigt, mich zu unterrichten. Das tat
ich; es wurde ein chronischer Rachen-
katarrh konstatiert und ich mußte mich
ausbrennen lassen. Die Behandlung
 
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